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Israelitische Wochenschrift.

Nr. 51.

auf die Verhinderung der festen Ansiedlung der bezeichnten Kategorie von Pilgern in der genannten Provinz abziele. Zu diesem Zweck habe die Pforte festgesetzt, daß für die Dauer derartiger Pilgerfahrten (Hin- und Rückreise) ein Maximum von drei Monaten einzuräumen ist. Das ist der Agitations­erfolg der Zionisten, durch die das Kolonisationswerk, vor Allem jene Armen und Unglücklichen, deren letzte Zuflucht die Auswanderung nach Palästina bildet, hart geschädigt werden. Das ist das positive Ergebnis des Humbugs, der mit den geheimnisvollen Andeutungen von diplomatischen Schritten und Erfolgen getrieben worden ist und der nur im Anfang Selbsttäuschung gewesen sein kann. Der andere Teil der zionistischen Führerschaft hat von vornherein bewußt auf dem Boden des Humbug gestanden. Dr. Nordaus komödian­tischer Eifer ist von Anbeginn erlogen gewesen, lediglich darauf berechnet, Aufsehen zu erregen. Er war Cyniker, ehe er Zionist wurde, und aus Cynismus hat er fich zionistisch ver­kleidet. Er wäre ebenso gern und vielleicht noch lieber An­tisemit geworden, wenn er hätte hoffen dürfen, damit größeres Aufsehen zu erregen. Diese krankhafte Sucht, originell zu erscheinen, die ihn zu Absonderlichkeiten treibt und ihn zwingt, eine ziemlich dürftige dialektische Begabung und ein kläglich oberflächliches Wissen zur bewußten Vertretung von Schiefheiten zu verwenden, hat ihn jetzt bestimmt, sich gegen die Erteilung der politischen Rechte an die rumänischen Juden in deren Interesse und im Interesse des rumänischen Volks zu erklären. Damit ist Dr. Nordau den Antisemiten schon recht nahe gerückt. Wir erleben wohl noch seinen völligen Uebergang zu dieser Richtung. Das wäre der erste Dienst, den er dem Zionismus leistet, der einzige, den er ihm zu leisten im Stand ist.

Die Hultusbeamlen m den Gememdebund.

Zweihundertundneun Kultusbeamte, Prediger, Lehrer, Kantoren, haben nachstehendes Schreiben an den Vorstand des deutsch­israelitischen Gemeindebundes gerichtet:

Walde bürg i. Schl., 5. Dezember 1900.

An

den Wohllöotichen Ausschuß des deutsch-israelitischen Gemeindebundes

zu Berlin.

Unterzeichnetes Komitee erlaubt sich hierdurch ganz er­gebenst, einem Wohllöblichen Ausschuß nachstehende Bitte höfltchst zu unterbreiten.

Die deutsch-israelitischen Kutusbeamten seufzen seit langem unter wirtschaftlicher und sozialer Not. Ihre Besoldung ist gering,' der Ansiellungsmodus hält sie in beständiger Unsicher­heit, und die ihnen von Gemeindewegen eingeräumte Stellung entspricht durchaus nicht der Würde ihres hl. Amtes.

Diese traurige Lage hat jüngst Herr Kollege Bähr- Waldenburg i. Schl, in einem auf der General-Versammlung des Vereins israelitischer Lehrer in Schlesien und Posen von ihm gehaltenen und in derIsraelitischen Wochenschrift" Nr. 29 abgedruckten Vortrag in treffender und wahrheitsgetreuer Weise beleuchtet und einen warmen Appell an die Kollegen gerichtet, doch endlich etwas zur Herbeiführung besserer Zustände zu unternehmen.

Dieser Anregung folgend traten die Unterzeichneten zu­sammen, um für die Hebung ihres für die Erhaltung oes Judentums so notwendigen Standes Mittel und Wege zu suchen. Alle sind wir darin einig: So geht es nicht weiter etwas muß geschehen!

Menschen, Beamte, denen die Fürsorge für die heiligsten und höchsten Güter übertragen ist, die würdig genug sind, den ganzen Kultus selbständig zu leiten; würdig genug, das Wort Gottes zu verkünden; .dig genug, die Heilsaaten der Religion und Gesittung in die Herzen unsrer Jugend zu streuen und inbrünstige Gebete für das Wohl der Gemeinde zum Himmel emporzusenden; würdig genug, endlich dafür zu sorgen, daß der Tisch des Israeliten ein Tisch des Herrn sei solche Menschen, solche Beamte, müßten sie nicht aus Gründen der Billigkeit und der Religiosität eine ebenso würdige, ihrem hohen Berufe entsprechende Anstellung und Behandlungfinden ? Muß da nicht jede andere Praxis als unbegreiflich erscheinen? Und doch ist hier das Unbegreifliche traurige Wirklichkeit. Die Anstellungsverhältnisse der Kultusbeamten sind die denk­bar mißlichsten. Nicht genug, daß die Besoldung nur dürftig und für das arbeitsunfähige Alter sowie für die Relikten keine Fürsorge getroffen ist, öffnet das lose, nur auf kurze Zeitdauer bemessene Vertragsverhältnis der Willkür Thür und Thor. Der Kultusbeamte kann bei jedem beliebigen An­laß brotlos gemacht werden, und dies geschieht auch leider oft genug. Und die Folge dieser wirtschaftlichen Not ist die soziale Not: Mangel an Achtung und Ansehen, vielfache gesellschaftliche Zurücksetzung und Demütigung.

Das ist ein unwürdiger, unhaltbarer Zustand. Hier muß Wandel geschafft werden. Es ist hohe Zeit, daß auch für die Kultusbeamten bessere Tage aubrechen, und diese herbeiführen zu helfen, haben die Unterzeichneten sich zur Auf­gabe gemacht. Wir glauben, damit nicht nur unsren Standcs- genossen, sondern auch dem Judentum einen großen Dienst zu erweisen.

Der Wege, die zum Ziel führen, giebt es mehrere. Doch halten wir den Weg für den besten und ersprießlichsten, der uns im Einklang mit den Gemeinden erhält und ein gutes Einvernehmen möglichst noch erhöht. Das ist der Weg der gegenseitigen Verständigung, und diese könnte gewiß leicht ge­fördert und herbeigeführt werden, wenn der deutsch-israelitische Gemeindebund uns seine hilfreiche Unterstützung dazu leihen und bei den einzelnen Gemeinden für unsre gerechte Sache eintreten wollte.

Wir wenden uns darum an einen Wohllöblichen Ausschuß des deutsch-israelitischen Gemeindebundes mit der ebenso inständigen als eindringlichen Bitte:

Wohlgeneigtest seinen weitreichenden Einfluß dahin gel­tend machen zu wollen, daß für die deutsch-israelitischen Kultusbeamten bessere Anfteüungs- und Existenzbedingungen geschaffen werden.

Wir bitten insbesondere:

Wohlderselbe möge seine gütige Fürsorge darauf hinlenken wollen:

I. Daß ein Normaloertrag für die Anstellung der Kultus­beamten ausgearbeitet werde, in welchem folgende Momente Berücksichtigung finden: