liche Gelegenheit zu bieten und der schreienden '.Kot des Religionsunterrichts zn steuern. Diese Verblendung Hut zn der Bildung von freien Privatgeineinden geführt, denen es nn der unentbehrlichen Unterlage der juristischen Persönlichkeit und damit an jeder Gewähr für materielle und sonstige Stetigkeit fehlt. Diese Privatgeineinden leiden Not und bilden selbst einen argen Rotstand. Sie legen ihren Mit­gliedern, die zur Hauptgemeinde zn steuern verpflichtet bleiben^ besondere Lasten aus, die im Falle der Weigerung beizutreiben sie keine Macht haben, und es ist selbstverständlich, dass hier bei Mißhelligkeiten und Streitigkeiten eine große Flucht be­ginnt. Sie haben mit unzureichenden Mitteln Snnagogen gebaut, mit unzureichenden weil unfundierten Mitteln Religions- schulen eingerichtet und zumeist nach wenigen Jahren sich ge­nötigt gesehen, die Hilfe der Hauptgemeinde anznrusen. Hier kommen die Almosen zur Geltung, von denen wir oben sagten, daß sie wie Bestechungen wirkten. Ans der blasse der Hanptgemeinde wurden und werden an die Privat­gemeinden Subventionen gezahlt, zn gering, um damit be­friedigendes zu leisten, und gerade groß genug, um eine unsächliche Abhängigkeit zu etablieren.

Besäße die Gemeindeverwaltttug in Geldangelegenheiten nicht eine fast bedauerliche Souveränität, man würde ne haft­pflichtig machen können für die Summen, die auf solche Weise verwendet worden sind. Aber wenn die Haftpflicht versagt, die Frage bleibt berechtigt, wie die Gemeindeverwaltung sich hat befugt halten könneit, jene Gelder anders als vorüber­gehend, nämlich bis zu dem Zeitpunkt anzuweisen, ivo die Hauptgemeinde selbst in Erfüllung ihrer Verpflichtungen thnn würde, was die Privatgemeinden, diese kümmerlichen Rot- gebilde- subsidiär thaten. War die Synagoge, war die Religionsschule der Privntgemeiitde ein Bedürfnis, so ntnßte die Hauptgemeinde jene bauen und diese einrichten und beide unterhalten; im anderen Falle hat sie kein Recht, einen Zuschuß zu gewähren. Um dem Vorstände für die Wahlert eine Klientel zu sichern, dazu sind die Gemeindemittel nicht da, auch nicht dazu, die Luxnsneigung zu überflüssigen Sondergebilden zu unterstützen. Wo aber ein wirkliches, echtes Bedürfnis vorhanden ist, da rnüsfen die Mittel der Gemeinde in ansreichendern Maße zur Verfügung stehen und mit ihnen muß die Aufsicht der Gemeinde gewährt werden.

Man darf annehmen, daß in weitaus den meisten Füllen Privatgemeinden sich nur da gebildet haben, wo ein legitimes und aufrichtiges religiöses Bedürfnis vorlag. Dafür spricht schon der Umstand, daß die Mitglieder der Privatgemeinden neben den allgemeinen noch besondere Lasten ans sich zn nehnten bereit sein mußten. Wie leicht aber solche Privat­vereinigungen verwahrlosen, dafür fehlt es nicht an traurigen Beispielen. An dem einen wie an dem anderen trägt die Gemeindeverwaltung die Schuld: Weil der Gemeindevorstand nicht that, was ihm oblag, mußten die Privatgemeinden ent­stehen, und weil der Gemeindevorstand an die Privatgemeinden Almosen verteilte und sie unkontroliert ließ, könnten tie der Verwahrlosung verfallen.

Auch auf diesem Gebiete also erkennen wir ein pflicht­widriges Verhalten des Gemeindevorstandes, ein völliges Ver­leugnen seiner Obliegenheiten.

Wenn die abgesprengten Teile des Judentums die Steigung bekunden, den verlorenen Anschluß neu zn suchen, so ist dies per unverwüstlichen iinmanenteu Kraft des Judentums zn danken. Der Vorstand der Gemeinde Berlin hat an dieser

erfreulichen Erscheinung keilten Teil. Er selbst hat akti.> und mehr noch durch Passivität nur verwüstende, nirgend belebende Wirkung geübt.

Dir (ikiiidiiticriitsHiiililfn in Wien.

Stell, 7. April.

Wie in voriger Rümmer dieses Blattes kurz gemeldet, haben Die am 1. d. M. hier vollzogenen Wableit zum Ge­meinderat mit einem unerwartet großen Siege der Antisemiten geendet, die jetzt über <>4 Mandate verfügen und somit der Erlangung der Majorität in unsrem kommunalen Parlamente, die 70 Stimmen beträgt, bis auf einen Schritt näher gerückt sind. Ist es nun auch nicht die Aufgabe einer vornehmlich den inneren Angelegenheiten des Judentums gewidmeten Zeitschrift, ihren Kollegen von der Tagespresse ins Handiverk zn pfuschen und partei-politische Fragen in ihren Spalten zn behandeln, so müssen wir heute dennoch von dieser Ge­pflogenheit abweichen, weil die Beleuchtung, die der Ausfall der Wahlen in Wien in der politischen Tagespreise erfährt, den fernstehenden Leser nicht im geringsten erleuchtet. Die antisemitische Presse bejubelt der Sieg, die liberale betrauert den Riedergang der gnteit Sache; weder auf der einen itoch aus der anderen Seite aber wird die Ursache besprochen, als deren Wirkung die Wahlen vom 1. April anzuseheit sind. Hier möchten wir nun einsetzen, und in diesent Artikel jenen Ursachen eine besondere Aufmerksamkeit, znwenden.

Zunächst eine kurze Bemerkung zur Orientierung. Der Wiener Geineinderat setivas mehr als in Deutschland die Stadtverordneten-Versammlung) besteht ans 108 Mitgliedern. Davon scheidet alle zwei Jahre der dritte Teil ans und wird durch Reuivahlen ersetzt. Das Wahlrecht ist an eilten ge- ivissen Besitz- und Bildungs-Zensus gebunden, der die Mit­wirkung der arbeitenden Klaffen, die, wie in Berlin, zumeist der Sozialdemokratie zngehören, von vornherein ansschließt. Die Wähler sind in drei Wahlkörper geteilt. Der unterste, dritte, der weitaus zahlreichste, gehört dein Kleinbürgerstand an; der zweite der Intelligenz, d. i. den akademischen Graden, Beamten nnb L.hrern; der erste Wahlkörper dem Groß­bürgertum, populär gesprochen: Den Hausherren.

Und nun eilten Schritt weiter iits Innere. Im Wiener Gemeiitderate waren bis vor wenigen Jahren die Liberalen Alleinherrscher, d. h. nicht etwa Liberale, wie man sie anders­wo kennt: freisinnige Männer, die sich durch nichts und niemand ivankend machen lafseit, sondern eine ganz besondere Art voit Liberalert, die nach alter Sitte die Ruhe als erste Bürgerpflicht ansehen und jedes entschiedene Auftreten per- horreszicren. Ehemals regte sich eilte dentokratische Opposition iin Gemcinderat, deren Führer der bekannte Dr. Kronawetter war, sie wurde aber voit der liberalen Partei aufs schärfste beküinpft und auch besiegt. Die Rücksichtslosigkeit war die Stärke, die der liberalen Partei die Uebermacht sicherte. Aber sie sollte ihren Meister finden. Es kaut eine neue oppositionelle Partei, die sich zum Teil aus gescheiterten Resten der früheren Oppositionspartei bildete, von der liberalen Partei gelernt hatte nnb diese an Rücksichtslosigkeit und Ge­meinheit weit übertraf: die antiseinitische Partei. Die hat denn auch schließlich gesiegt. Im Anfang der achtziger Jahre begann diese Entwickelung. Ohne auch nur ein Tageblatt in Wien für sich zn haben, unter sich selbst gespalten, gelang