Kamburg. Nr. 1. 2. Jahrgang ♦ mm* Qk 11 a t _ Asrnrurrfches Mmilirublstt Das „Israelitische Farnilieublatt" erscheint jeden Mittwoch und wird sämmtlicheu Angehörigen der israelitischen Gemeinde« von Hamburg, Altona, Wandsbeck und Harburg regelmäßig gratis zugeftellt. ♦ Abonnements füt AnSwürtige: ♦ Hamburg, 4. Januar 1899. !♦ Inserate: ♦ ♦ 75 pro Vierteljahr, werden von sämmtlicheu ♦ Redaction und Expedition: ♦ pro 4-gesp. Petitzeile 30 /£, bei größeren Aufträgen und ♦ ♦ Postanstalten, Zeitungsspediteuren, sowie in unserer ♦ Alte ABL-Strafte Nr. 57. ♦ Wiederholungen entspr. Rabatt. — Jnseraten-Annahme ♦ t Expedition entgegengenommen. ♦ Fernsprecher: 4088, Amt I. ♦ in der Expedition und in allen Annoncen - Bureaux. ♦ Lhaimka, Meihnüchten, Neujahr. Jehuda Halewi, der um 1086 geborene Alt- caMianer, bildete den Glanzpunkt seiner Zeit. Mächtig bat Heine dessen Popularität gefördert, der ihn im Romanzero mit den Versen besang: „Rein und wahr¬ haft, sonder Makel war sein Lied wie seine Seele." Doch nur eine Seite des vielbegnadeten Mannes rühmte Heine, nur den Lorbeer der Poesie wand er ihm um die Stirne, nur den Sänger pries er. Aber wie ein vollendeter Dichter, war Jehuda ein geistvoller Denker auch. Das Schwesternpaar Poesie und Philo¬ sophie lebten gemeinsam in seiner Brust. Das Ver¬ hältnis des Judenthums zu Christenthum und Islam suchte er klarzustellen und er that dies in seinem unsterblichen, dialogisch abgefaßten Buche „Cosri". Der Name und Gedankenbau des Buches ruhen auf folgendem Grunde: „König Bulau beherrschte das zwischen dem schwarzen und kaspischen Meere lebende Chazarenvolk. Im gewohnten Heidenthum fand sein gereifter Geist keine Befriedigung mehr. Er suchte in Disputationen mit Bekennern des Christenthums und Islams Be¬ lehrung über diese Religionsformen. Erst als er ge¬ wahrte, daß sich beide 'auf die Lehre Mosis stützten, wendete er sich an einen Juden, der ihn belehrte und bekehrte. So entstand im 10. Jahrhundert das jüdische Reich der Chazaren, das sich etwa drei Jahrhunderte erhielt. Die Disputationen der Anhänger der drei Religionen benützte Halewi zum Ausgangspunkt seiner tiefgehenden Betrachtungen. Ob dieser Triumph des Judenthums vor etwa tausend Jahren dessen Antagonisten verbitterte, gegen die Juden aufreizte, zu Gewaltacten Anlaß gab, wird in den Annalen nicht berichtet. Freilich war die Welt damals noch weit zurück, die Cultur mit allen Fort¬ schritten und Errungenschaften der Gegenwart noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Verjudet zu sein ward mehr als Lob, denn als Tadel anerkannt. Wie tief die Völkerstämme noch im Naturzustände versunken waren, wie roh und ohne Politur ihre Lebensweise, Umgangsformen und religiösen Anschauungen sein mochten, antisemitischen Borurtheilen und Gemeinheiten, waren sie doch nicht zugänglich. Es mußte erst noch ein Jahrtausend verstreichen, bis eine derartige Weisheit sich einen Thronsitz in einer Residenzstadt wie Wien zu erobern vermochte. Vom jüdischen Chazarenreiche weiß die Geschichte nur Spärliches zu berichten. Besäße die Nachwelt nicht die Correspondenz eines Chazaren- königs Josef mit dem berühmten Spanier, dem Staats¬ mann und Mäcen Chisdai ben Jsak ibn Schaprut aus Cordova, der um 950 blühte, so würde sie keine Kunde von der Existenz eines solchen Reiches je er¬ langt haben. Es dürfte weder weltbewegend, geschweige welterschütternd gewesen sein, seinen Glanz und Ruhm nicht in verheerenden Kriegen und blutigen Siegen gesucht und gesunden haben. Ob aber bei friedlicher Ruhe und vom Waffengetöse mcht gestörten Frieden das Volkswohl nicht besser gedieh, möchte wohl kein Vernünftiger bezweifeln. Nicht bloß jene Frauen si^d die besten, von denen am wenigsten gesprochen wird; auch jene Völkerstämme zählen zu den glücklichsten, die in stiller Beharrlichkeit ihren steigewählten Beschäftigungs¬ arten nachgehen und fo.lgen können. Das Morgenroth der jüdischen Geschichte, die An¬ fänge, wie dix Israeliten im Leben erscheinen, sind auch durchaus nicht geräuschvoll, weder tobend noch lärmend. Wir hören nichts wie griechische oder nordische Helden¬ sagen; aber mit kindlichen Schriftzügen ist schon der innerste Kern des werdenden Stammes im Beginne verzeichnet, dem dieser allezeit treu geblieben ist. Familienglück, idyllische Häuslichkeit, ein anmuthvolles, sittenstrenges und edelsinniges Weib, wohlgerathene Kinder waren und bilden immerdar das Ideal eines wahren Juden. Und wie anders, um wie viel seliger, besser, erfreulicher und gemüthlicher würde sich das staatliche und Bölkerleben gestalten, wenn die Welt in diesem Sinne verjudet wäre, das Bestreben unentwegt verfolgen würde, sich in solcher Weise verjuden zu wollen. Weisen doch die allerjüngsten christlichen Fest- und Feiertage, Weihnachten und Neujahr, un¬ leugbar aus das uralte Judenthum zurück. Der jüdische Monat Kislew entspricht dem gleich¬ zeitigen December. Am 25. Kislew beginnt bei den Juden das Lichtfest, Chanuka, das Weihefest, das acht Tage lang durch allabendliches Lichtanzünden gefeiert wird. Am 25. December feiert die Kirche den Weihnachts¬ tag. Die Ursache des Entstehens des Weihnachtsfestes ist durchaus nicht sichergestellt. Da weisen einige Ms das. heidnische Julfest hin, das den Wechsel der Jahres¬ zeit feiert, weil zu dieser Zeit der Winter eintritt und das Wachsen der Tage beginnt. Die Kirche, die heid¬ nische Anschauungen consequent abweist, ernannte und erhob den Tag zum Geburtslage ihres Begründers. Aber weder dessen Geburtstag, noch dessen Geburts¬ stätte sind historisch zweifellos erwiesen. So wird Nazareth im Palästinensischen Galiläa und auch Beth¬ lehem als Geburtsort Christi bezeichnet. Ebenso unerwiesen ist dessen Abstammung vom Hause Davids. Denn weder die Genealogie im Evangelium Matthäus 1, noch die in Lucas 3 sind kritisch unanfechtbar und geben dem Zweifel Raum. Auch muß man dabei bedenken, daß die Evangelien weit über ein Jahrhundert nach dem Ableben Christi erst nach mündlichen Traditionen abgefaßt wurden. Auch der heilige Augustinus, der Kirchenvater, schrieb gegen Ende des 4. Jahrhunderts: „Die vier Evangelien sind lange nach der Zeit der Apostel durch unbekannte Männer geschrieben worden, die sie nach Aposteln benannten." Es scheint daher viel wahrscheinlicher und wäre auch um vieles gerechtfertigter anzunehmen, daß das Weih¬ nachtsfest des 25. December die kirchliche Annahme des Chanuka vom 25. Kislew sei. Sind ja auch Ostern und Pfingsten in Folge der gleichzeitigen beiden Frühlingsfeste Passah und Wochensest, Schebuoth, geschaffen worden. Die historische Bedeutung des jüdischen Chanuka ist auch für die Kirche von gleich einffußreicher Wichtigkeit. Man könnte sogar Chanuka den Begründer der Weihnachten nennen. Der fanatisch unmenschliche Der Stadtrath. Eine Erzählung aus der Gegenwart von I. Herzberg (Bromberg). (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Löwen erblaßte. Stammelnd preßte er dir Worte hervor: „Derselbe Friedheim, der vor Jahren Commis im Geschäfte des Productenhändlers Markus Forbach gewesen?" „Derselbe ist es," entgegnete Friedheim lächelnd. „Und Sie waren es, der uns gestern aus der Bedrängniß befreite und uns mit so köstlichen Gaben so reich bedachte? Und Sie wollen auch des Weiteren sich unser annehmen? Haben Sie denn wirklich alles vergeffen, was die Vergangenheit birgt?" „Reden Sie nicht mehr davon," entgegnete Friedheim, „ich will nur Ihr Wohlergehen. Ich möchte Sie alle von des Lebens bitteren Sorgen befreien, und ich spreche die Erwartung aus, daß Sie von meinem Anerbieten Gebrauch machen werden. Aber ein ernstes Wort will ich doch zu Ihnen reden. Ich habe von einer anderen Seite vernommen, daß Sie sich von einer bösen Leidenschaft zuweilen hinreißen lassen, sich in ungebühr¬ lichem Zustande auf der Straße zeigen und so der Gegenstand des Hohns und Spottes werden, namentlich denen gegenüber, die gegen uns Juden einen unverlöschlichen Haß im Herzen tragen und jede Gelegenheit mit herzlicher Freude wahrnehmen, ihren Haß aus^udrücken und zu bethätigen. Gestern noch soll eS wieder zu einer argen Scene gekommen sein. Dies darf in Zukunft nicht mehr Vorkommen, wenn Sie sich mein Wohlwollen erhalten wollen, da in Ihrer demnächstigen Stellung Aufmerk¬ samkeit und Nüchternheit unbedingt von Ihnen gefordert wird. Aber, auch chrch einer anderen Seite hin richte ich diese Mahnung an' Sie. Sie wissen, wie sehr verbreitet der Groll gegen unsere Glaubensgenossenschaft in dieser Zeit ist, wie sehr man jede. Gelegenheit gern ergreift, diesen Groll an den Glie¬ der« dieser Genossenschaft auSzulaffen und gleich die lNesammt- Heft anklagt, wenn der Einzelne Grund zur Anklage giebt. Jeder Einzelne lebe, daher so, daß er keinen Grund zur Anklage giebt, dann müssen die Beschuldiguimen der Gesammtheit verstummen, wenigstens da,.wo die Böswilligkeit sich nicht festgesetzt hat, die auch verketzert, wenn kein Grund vorliegt. Hüten Sie stch also, jene« Leuten allen, die Sie z« hänseln und zu necken trachten, Grund und Ursache zu geben. Beherrschen Sie Ihre Leiden- schaft, unter der auch die Ihrigen zu leiden haben." „Ich verspreche Ihnen, ein anderer Mensch zu werden," betheuerte Löwen. „Es soll für mich, wie für die Meinigen ein neues Leben beginnen." „Es freut mich, daß Sie gewillt sind, meine Worte zu beherzigen. Nach den langen Jahren so bitteren Leidens thut es wirklich Noth, und nur in Ihrer Hand liegt das Wohl und Wehe der Ihrigen. Seien Sie mir treu, und Sie erhalten sich stets meine Gunst. Sehen Sie, Ihr bedauernswerthes Weib bedarf der Erholung, der Kräftigung und Stärkung, auf daß sie noch einmal erblühe und ihres Lebens wieder froh werde." Dann näherte sich Friedheim der-Frau Löwen, die jetzt mit verklärtem Antlitze zu ihrem edlen Retter aufschaute, und reichte ihr seine Rechte.. „Leben Sie wohl, Frau Löwen. Haben Sie irgend ein Bedürfniß, so wenden Sie sich direct an mich. Mein Comptoir befindet sich Osterstraße 19." Nachdem er auch Hirsch Löwen und dem Knaben die Hand zum Abschied gereicht hatte, entfernte er sich. VII. Im Salden'schen Hause herrschte an diesem Nachmittage eine gedrückte Stimmung. Namentlich war es Salden selbst, der durch Geberden und Aeußerungen seiner Stimmung Worte lieh. Vater und Tochter saßen am Familientische. Meta Salden war mit einer Handarbeit beschäftigt, die aber nicht sonderlich gefördert wurde, da ihre Gedanken sich mit ganz Anderem be¬ schäftigten, und nur ab und zu erinnerte sie sich ihrer Arbeit, die dann für wenige Augenblicke wieder ausgenommen wurde. Der gestern angeregte Gedanke ihres Vaters, zu dem Lieutenant von Wiedenhof in nähere Beziehungen zu treten, hatte sie unausgesetzt beschäftigt. So ungeheuerlich dieser Ge¬ danke ihr im ersten Augenblicke auch erschienen war, je mehr sie ihn nach den verschiedensten Seiten hin erwog, desto Imehr schwand das Ungeheuerliche, und immer mehr stieg in ihr der weitere Gedanke aus, daß eine Verwirklichung dessen, was der Vater plante, nicht so ganz unmöglich sei. Sie hatte sich nach der gestrigen Unterredung mit dem Bater die bittersten Borwürfe gemacht, daß sie so bald, ohne auf die erbetene Bedenkzeit zu bestehen, dem Plan? ihres Vaters ihre Zustimmung ertheilt hatte. Heute aber erschien ihr Alles in einem ganz anderen Lichte, und kein Vorwurf, keine Ber denken machten sich mehr geltend. Freilich, nicht das Herz war hier bei ihr bestimmend, sondern lediglich der Verstand. Sie befreundete sich immer mehr mit dem Gedanken, einst in die große Welt eingeführt werden zu können. Gestern hatte ihr Herz noch gesprochen, in dem noch tief verborgen ein Fünklein für Volk und Glaube geglüht hatte, und dies hatte sie zu dem Einwurfe gedrängt. Der Verstand aber»hatte jetzt völlig den Sieg über das Herz errungen, und das einzige Fünklein war schon erloschen. Meta Salden halte nur noch den einzigen Wunsch, daß das Projekt des Vaters recht bald eine feste Gestalt annehmen möge. Aber auch Salden wünschte nichts sehnlicher, als die Ver¬ wirklichung seiner Pläne. Bei ihm waren es aber noch ganz andere Dinge, die eine Beschleunigung als besonders wünschens- werth erscheinen ließen. Denn heute wäre er, wenn alle Hebel in Bewegung gesetzt würden, noch im Stande gewesen, der Tochter eine angemessene Mitgift zukommen zu lassen; freilich die jüngere Tochter Recha, ein gar liebliches Mädchen, mußte dann aber auch in ihrem Interesse dabei beeinträchtigt werden. Seine bedeutenden Kapitalien lagen wohl fest, doch genoß er noch so viel Vertrauen, daß es ihm ein Leichtes gewesen wäre, sich andere zu beschaffen, da er noch immer genügende Sicher- heit bieten konnte. Er durfte daher nicht zögern, denn ein plötzlicher Schicksalsschlag könnte ihm jäh sein stolzes Phantasie¬ gebäude zertrümmern. Auf der anderen Seite war es wieder der grenzenlose Leichtsinn des Lieutenants, der hier bestimmend auf ihn wirkte. Je länger die Angelegenheit sich hinzögerte, desto größere Opfer mußte er bringen, wodurch er an seinem Vermögen immer mehr geschädigt wurde. Denn all das, was er heute noch dem jungen Mann zukommen ließ, mußte er als unwieder¬ bringlich verloren betrachten. Später würde es ja ganz anders sich gestalten, denn die Mitgift seiner Tochter würde er ja sicher stellen, der Leichtsinn würde schwinden und zu ferneren Opfern würde er dann »ßohl auch nicht gedrängt werden, da dann gewiß die Anlässe hierzu fehlen werden. Seltsam, wie doch vorgefaßte Meinungen selbst von den- jenigen mit größter Zähigkeit cultivirt werden, die sonst mit. |