;« M. 14 Kgm-urg. Israelitisches ♦ 2. Jahrgang „Israelitische Familierrblatt" erscheint jeden Mittwoch und wird sämmtlichen Angehörigen der israelitischen Gemeinden von Hamburg, Altona, Wandsbeck und Harburg regelmäßig gratis zugestellt. 4 - Abonnements für Auswärtige: 4 Hamburg, 5. April 1899. '♦ Inserate: 4 4 4 75 , /*& pro Vierteljahr, werden von sämmtlichen Postanstalten, Zeitungsspediteuren, sowie in unserer Expedition entgegengenommen. 4 ♦ Redaction und Expedition: Alte AVL-Stratze Nr. 57. :♦ ♦ pro 4-gesp. Petitzeile 30 bei größeren Aufträgen und Wiederholungen entspr. Rabatt. — Jnseraten-Annahme 4 4 4 Postzeitungsliste, 2. Nachtrag, No. 3785 a. ♦ Fernsprecher: 4088, Amt I. !♦ in der Expedition und in allen Annoncen - Bureaux. feilte rrir- bc# Qambuv&cv Cetttf?*!« Von Dr. Gustav KarpeleS. Es ist bekannt, daß Heine wiederholt, namentlich in den Briefen an Moses Moser, seiner Abneigung gegen die Bestrebungen einer Neubelebung des Juden¬ thums allein auf Grundlage synagogaler Reformen kräftigen Ausdruck gegeben hat. Graetz hat den Dichter vielleicht gerade deshalb im elften Band seiner Geschichte der Juden mit solcher Ausführlichkeit und Vorliebe be- handelt. Er sagt von Heine: „Der Verjüngungsprozeß schien ihm zu langsam, die Mittel, die dazu angewendet wurden, zu kleinlich, das ganze Thun Derer, die dafür wirken wollten, namentlich ihr Liebäugeln mit der herr¬ schenden Kirche, schien ihm schwächlich, affenartig und unwürdig." In der Thal muß man es bedauern, daß Heine seine Anschauungen über die Reform von einem Jacobson, Auerbach, Kley, Günsburg und derartigen Geistern empfangen mußte, von Leuten, von denen er selbst sagt, daß sie nur „dem Judenthum neue Deco- ^rationell und Coulissen geben" wollen, „und der Souffleur soll ein weißes Bäffchen statt eines >Bartes tragen." Jndeß hat Graetz seine Nachrichten über Heine nur Strodtmanns Buche und den unzuverlässigen Briefen von Hermann Schiff entnommen. Eine Zusammen¬ stellung don Thatsachen, wie sie die Forschung über das Leben des Dichters inzwischen eruirt hat, ist aber noch nicht vorgenommen worden. Ich will den Versuch machen, an der Hand der einschlägigen Berichte und Briefe das Verhältniß Heines zu den Reformbestre¬ bungen, die sich um den Hamburger Tempel gruppirten, festzustellen. Man wird daraus ersehen, daß es nicht ausschließlich „die Vorliebe für das consequente und strenge Rabbinerthum" gewesen ist, welche Heines Ab¬ neigung hervorgebracht hat, sondern zum Theil auch ein persönliches Element, wie leider in all seinen Lebensverhältnissen. Dieses persönliche Element hat aber Graetz entweder nicht gekannt oder bedeutend unterschätzt, so daß sein Urtheil über Heine dadurch vielfach ein schiefes geworden ist. Einer der besten Freunde Heines in Hamburg war der Zuckermakler Gustav Gerson Cohen, der zugleich öiner der Begründer des dortigen Tempels im Jahre 1818 war. Auch Heines reicher Onkel, Salomon Heine, interessirte sich für den Reformverein. In dessen Hause verkehrten Eduard Kley und Gotthold Salomon, der Erste ein mittelmäßiger, der Andere aber ein aus¬ gezeichneter Kanzelredner und ein lebhafter Geist. Die ganze Hamburger Gemeinde war in den Jahren 1818 bis 183(1 in zwei große feindliche Lager gespalten. Jeder Gebildete mußte Partei nehmen. Als der junge Heine im Jahre 1823 nach der Alsterstadt kam, wurde er natürlich ebenfalls in den Strudel der Debatten -TCa v» 1 n m a f av ia Söit rttt Siö gUHlUt JV4 W*l VWl WH VW t amburger Reformfreunde empfohlen worden war. eine besten Freunde hier wie dort waren begeisterte Anhänger des Tempels und erwarteten von ihm ein wirksames Eintreten für diese Idee der Assinnlirung, der Reform, des Aufgehens in die Gefämmtheit. Heine war aber einmal nicht für das „ideale Auer¬ bachthum". Schon ein Jahr vorher hatte er sich in Briefen an Moser und Wohlwill mit aller Entschiedenheit gegen diese Art von Reform ausgesprochen. Er konnte die Hamburger Juden überhaupt nicht leiden, und er schrieb schon damals (23. August 1823) an Moser: „Wenn man sich für sie interessiren will, darf man sie nicht ansehen, und ich finde es zuträglicher, mich von ihnen entfernt zu halten." Dann urtheilte er über die drei Führer des Ham¬ burger Tempelstreites, und zwar in einer sehr ab¬ fälligen Weise. Wir müssen dieses Urtheil wörtlich bringen, wenn wir es auch selbstverständlich vom histo¬ rischen Standpunkt aus nicht billigen, um das ganze Verhältniß besser begreifen zu können. Graetz hat sich die Sache allerdings leichter gemacht. Er hat die Kraftstellen in dem Urtheil Heines über Bernays ein¬ fach ausgelassen. Das ist aber nicht angängig, auch selbst, wenn man, wie gesagt, das Urtheil keineswegs unterschreiben oder gar gutheißen möchte. „Dr. Sa¬ lomon habe ich endlich besucht. Er hat mir nicht ganz mißfallen; er ist aber doch ein Auerbachianer. Kley habe ich nicht besucht. Du weißt, er war mir von jeher zuwider, und er ist wirklich ekelhaft. Der Monas sWohlwill) ist noch der Alte. Ich liebe ihn, und ich möchte ihn gern heilen von einer Sentimentalität, die er in sich selbst hineingelogen und die ihn jetzt ver¬ stimmt. Bernays habe ich predigen gehört; er ist ein Charlatan. Keiner von den Juden versteht ihn, er will nichts und wird auch nie eine Rolle spielen; aber er ist doch ein geistreicher Mann und hat mehr Spi¬ ritus in sich als Dr. Kley, Salomon, Auerbach I. und II. Ich habe ihn nicht besucht, obschon ich hin¬ länglichen Anlaß hatte. Ich achte ihn nur, insofern er die Hamburger Spitzbuben betrügt, doch den seligen Cartouche achte ich weit mehr." Wenige Tage darauf, 27. September 1823, schil¬ dert er Moser ganz ausführlich die große Affäre, die er mit Cohen wegen der Hamburger Reform gehabt: „Du wirst gewiß gelacht haben, als Du hörtest, daß ich mich mit ihm wegen des Tempels überworfen. Ich hatte ihm bei meiner ersten Anwesenheit im Ham¬ burg meine ehrliche Meinung darüber mitgetheilt, aber in höchst gemilderten Ausdrücken. Bei meiner zweiten Anwesenheit in Hamburg beschuldigte er mich, und auf Ehre mit Unrecht, daß ich mich bei Salomon Heine über Kley und Bernays anders geäußert habe als bei ihm. Dies hatte zur Folge, daß ich, als ich ihn bei meinem Oheim traf, meine Aeußerungen so grell als möglich wiederholte. Ich hatte ihn noch einmal zu besuchen, um ein paar Louisdors, die er für mich hatte, in Empfang zu nehmen; später sah ich ihn zu¬ fällig an der Börsenhalle, seit der Zeit haben ihn meine Augen nickt wiedergesehen. Diese Geschichte hat für mich manch^ Unangenehme zur Folge gehabt, das ich Dir mal mündlich mittheilen werde; ich war auf Zwischen alter und aener Zeit. Rach einer wahren Begebenheit erzählt von Caroline Deutsch. (Fortsetzung.) Eine lange Zeit schwieg mein Freund, er konnte vor Bewegung nicht weiter sprechen. „Lange stand ich an der Mauer dort," fuhr er dann fort, „und mein Auge suchte die Steine zu durchdringen, bis mich der stets wachsende Lärm vor meinem Hause zu mir brachte. Die Arbeit war noch nicht gethan.. Ich durcheilte wieder den Garten und kehrte ins Haus zu¬ rück. Nachdem ich die Hinterthür wieder verriegelt und verammelt, als wäre nichts geschehen, öffnete ich die Thüre, welche nach der Straße führte. Wie ein wilder Strom ergoß sich die Menge ins Haus; Keller, Boden, Hof, Alles wurde durchsucht, Esther war natürlich nicht zu finden. Unterdeß kam die Gensdarmerie angerückt und machte dem Unfug ein Ende. So groß der Zorn und die Auf¬ regung war, an mich hatte llch Keiner gewagt. Des andern Tages ließ mich der Bürgermeister rufen und fragte mich, wo meine Schwester sei. Ich gestand ihm Alles, auch daß ich ihr zur Flucht verholfen, wohin pe sich gewendet, wüßte ich nicht, aber, selbst wenn ich es wüßte, würde ich es nicht sagen. So Unnatürliches könne das Gericht von einem Bruder auch gewiß nicht verlangen. Gefiel ihm meine Antwort, oder legte er der Sache keine weitere Wichtigkeit bei, weil es sich um Juden handelte? ich weiß es nicht: genug, er ließ mich un¬ behelligt. Mich marterte der Gedanke, wo meine Schwester war, welchen Weg sie eingeschlagen, ob sie ungefährdet weiter gekommen. Ich wäre so gerne ihren Spuren gefolgt, aber ich wußte nicht, welchen Weg sie einge¬ schlagen. Wenige Tage später befiel mich ein Unwohl¬ sein. Dieselben Symptome der Krankheit, woran mein Schwager gestorben, stellten sich bei mir ein: heftige innere Schmerzen, Erbrechungen rc. Jetzt wußte man, welche Krankheit es war. Die Cholera war ausgebrochen, von Rußland war sie herübergekommen, Schmul war ihr erstes Opfer gewesen; bald schritt sie, die große Würgerin, von Haus zu Haus ... Ich genas von der fürchterlichen Krankheit, aber meine beiden Knaben, die Lieblinge meines Herzens, wurden hinweggerafft. Ich stieg als Geretteter vom Krankenlager, sie wurden darauf gebettet, vier Tage später begrub man sie. Mein Herz war ganz verödet, keine grünende Stelle darin. Meine Schwester verschollen, meine Kinder tobt! Was hatte ich noch auf Erden? Gegen meine Frau hatte sich mein Herz zu Stein verhärtet. Ich sah sie immer auf der Schwelle des Hauses stehen und meine bleiche, zu Tode gehetzte Schwester in die Menge zurückstoßen . . Wie konnten meine Lippen je ein Wort der Zärtlichkeit sprechen, wie meine Augen einen Blick der Liebe geben? Ein Verbrechen hätte mir dies geschienen. Eiseskälte ging über mein Herz, wenn sie in meine Nähe kam. Nach einem Jahre öden, trostlosen Zusammenlebens trennten wir uns auf friedlichem Wege. Sie heirathete bald darauf und soll, wie ich höre, ganz glücklich sein. Ich ging nach Wien. Die Wissenschaft sollte von nun an meine einzige Beschäftigung sein, der Zweck meines Daseins, die Saat, die mein Herz und meine Seele befruchtend beleben sollte .... In Wien blieb ich zwei Jahre, wo ich mich mit den Grundelementen der deutschen Sprache vertraut machte, dann ging ich nach einer ungarischen Stadt, in der Nähe Wiens, wo sich ein vorzügliches jüdisches Seminar be¬ fand. Ein weiser Meister lehrte dort, ein Mann von Geist und Herz, der für die Förderung des Judenthums, für sein Wohl und Bestehen, die ganze Kraft, alle Fähig¬ keiten seines reichen Geistes, alle Eigenschaften seines großen und edlen Herzens einsetzte. Er war der Erste, der in Ungarn praktisch bewies, daß das Judenthum sich nicht einfettig und engherzig allem fremden Wissen verschließen, sondern, daß es, lebensfrisch wie es war, getragen von dem eigenen inneren, reichen Leben, von der Ueberfülle von Kraft, noch fähig war, die Geistes- blüthen aller Nationen zu verstehen und zu würdigen. Als mein großer Lehrer dann einige Jahren später nach Berlin ging, um dort, wie er in Ungarn dem deutschen Wissen Bahn gebrochen, die gesunkene Glaubens¬ treue und den Glaubensmuth seiner Brüder zu wecken und zu Pflegen, folgte ich ihm mit den vielen andern Schülern, die sich von dem geliebten Lehrer nicht trennen wollten. In Berlin lernte ich Dich kennen, das Uebrige weißt Du. Von meiner Schwester habe ich nie etwas gehört. Zu den Eltern war sie nicht zurückgekehrt, auch zu dem Onkel nie gekommen. Ich fuhr direkt zu ihm, als ich vor zehn Jahren Polen verließ. Er hatte sie nicht wieder gesehen. So blieb sie mir verschollen, verschollen bis heute, wo ich in fremden Lande, fern von der Hei- math ihrem tobten Körper begegnete, den man zur letzten Ruhestätte geleitete." Wir schwiegen Beide. — Die Sonne strahlte vom Himmel, milde Lüfte säuselten, weiße Leichensteine schim- werten durch die niederhängenden Aeste der Trauerweiden, Cypreffen und Ginftergebüsche, Käfer summten, Grillen zirpten, farbenglühende Schmetterlinge umflatterten unser Haupt, die Sonne stand am blauen, strahlenden Himmel und legte sich so warm und voll auf das frische Grab |