2SS Menschengruppen" sei ein freundschaftliches Verhältnis, ein fruchtbares Zusammenarbeiten „nach allen geschichtlichen Erfahrungen" unmög- lich. Worin diese zahlreichen geschichtlichen Er¬ fahrungen bestehen sollen, erfahren wir nicht. Auch vermißt man ein wenig die logische Konsequenz: Gesetzt, es wäre wahr, daß es Zwischen den einzelnen Rassen kein Verstehen und kein Zusammenarbeiten gibt, so wäre doch dem deutschen Volk ohrrehin nicht mehr zu Helsen: Günther lehrt ja selbst, daß es schon, abgesehen von den Juden, ein Gemisch aus sechs verschiedenen Rassen darstellt; wo es s o schlimm steht, sollte es nicht mehr viel ausmachen, ob noch die eine oder die andere Rasse hinzukommt. Aber diese Folgerung zieht Günther nicht. Es ist die alte völkische Litanei, die er herunter¬ betet: Weil die Juden uns so völlig wesens¬ fremd find, liegt in ihrer „durch wirtschaftlich- politische Uebermacht erreichten Beeinflussung des Geistes der abendländischen Völker" für uns Nichtjuden eine ungeheure Gefahr. Und damit un;er Geistesleben, unser ganzes Denken und Fühlen von diesen „Sendlingen des Orients" nicht noch völlig aus der eigenen Bahn geworfen und überfremdet wird, bleibt nichts als eine Trennung: Die Juden müssen Deutschland und das übrige Abendland verlassen. Wohl um zu beweisen, wie unmöglich ein Verstehen zwischen Juden und Nichtjuden ist, gibt Günther eine Skizze von den geistigen und seelischen Eigenschaften der Rassen, aus denen das Judentum sich zusammensetzt: So soll für die Orientalische Rasse auf religiösem Gebiet charakteristisch sein „die Verehrung des als offenbart angesehenen Wortes in seiner unan¬ getasteten überlieferten Form". Wenn man überhaupt so spezifiziert von Eigenschaften einer ganzen Rasse reden darf, so mag diese Art der Gläubigkeit in der Tat eine Besonderheit der orientalischen Rasse sein. Aber ist sie denn etwas ausschließlich „Orientalisches"? Jeder Kenner der Religionsgeschichte weiß, wie etwa für Luther die Ehrfurcht vor dem „Wort" das Herz seiner Frömmigkeit bildete, die Ehrfurcht vor dem offenbarten Wort Gottes, das für ihn die einzige Verbindung zwischen der Gottheit und der Seele des Individuums darstellte, das man darum vertrauensvoll hinnehmen müsse, ohne auch nur an einem Buchstaben zu drehen und zu deuteln. Und dabei ist doch gerade Luther für die Propheten des „nordischen Ge¬ dankens" das Urbild nordischer Frömmigkeit. Weiter: Das starke Gefühl der eigenen Sündhaftigkeit, das den jüdischen Gläubigen kennzeichne, ist für Günther eine Auswirkung der „vorderasiatischen Rassenseele". Dieses Be¬ wußtsein der eigenen Kläglichkeit und Ver¬ worfenheit, das den Gottsuchern aller Zeiten und aller Völker irgendwie zum Erlebnis geworden ist, wenn sie sich dem Ewigen gegenüber fühlten, das soll das ausschließliche Merkmal einer einzigen Rasse sein? -Wenn der indische Stifter des Buddhismus keine Hoffnung -auf Erlösung der Menschenseele steht, bevor nicht alles, was gerade-das „Menschliche" nusmacht, alle Triebe, alles Fleischliche, alle Begierden und Wünsche dahingeschwunden sind, wenn unzählige Re¬ präsentanten des 'abendländischen Mönchtunis so tief von der Sündhaftigkeit aller Kreatur durch¬ drungen sind, daß ihnen ein ganzes Menschen¬ leben, fern von der Welt in stiller Buße ver¬ bracht, gerade laug genug scheint, um sich würdig aus das Eingehen in die Ewigkeit vor- zubereiten — alle diese Frommen hätten etwas gedacht und gelebt, das im Grunde ihrem eigenen inneren Wesen fremd wäre, sie hätten nur eine fremde Rasse äußerlich nachgeahmt? Und drittens: Günther erwähnt als etwas spezifisch Semitisches „den auf die Spitze ge¬ triebenen allgemein-semitischen Volkswahn", das „auserwählte Volk" All sein. Hat Günther vielleicht einmal das Wort gehört: „An deut¬ schem Wesen wird die Welt genesen"? Läßt sich eine stolzere Fassung des Anspruchs, das auserwählte Volk zu sein, denken? Aber hier find es nicht die Semiten, die das auserwählte Volk fein wollen, sondern die Deutschen. Und wer Fichtes „Reden an die deutsche Nation" gelesen hat, weiß, wie sehr der Gedanke einer deutschen Sendung für die Welt versittlicht und vertieft werden konnte. Ueberhaupt: Hält sich nicht jedes Volk, das zum Bewußtsein seines eigenen Wertes kommt, irgendwie für „auserwählt"? Als im 19. Jahrhundert der Bau des britischen Weltreichs vollendet wurde, da gewann auch in England der Glaube an ein „auserwühttes" britisches Volk Leben, die Ueber- zeugung, daß das Angelsachsentum zur Welt¬ herrschaft berufen sei, um seine Mission an der Menschheit zu erfüllen. Es gibt allscheinend doch mehr Brücken, doch mehr Gemeinsames, doch mehr gegenseitiges Verstehen zwischen den Rassen und Völkern, als Günther wahr haben will, und je mehr es um die höchsten Güter geht, so scheint es, um so enger treffen sie, allen Verschiedenheiten des Bluts und der Ab¬ stammung zum Trotz, in ihrem Fühlen und Sehnen zusammen. Das gewaltigste Denkmal dieses Geistes, der über den Nassen steht, und hier handelt es sich zum guten Teil um jüdi¬ schen Geist, ist das Christentum, das, dem Judentum entsprossen, unzählige Mühselige und Beladene aus allen Rassen und Völkern den Frieden in Gott finden ließ. Günther freilich — und eine Anzahl von Rassesanatikern hat es übrigens schon vor- ihm getan —, Gün¬ ther bestreitet den Ursprung des Christentums aus dem Judentum und nennt es einen „ge¬ schichtlichen Irrtum", daß die „Gottesvorstel¬ lung des Galiläers Jesus von Nazareth eine Art Fortsetzung und Weiterentwicklung der jüdischen Jahvevorstellung" sei. Jeder Christ, der in seiner Religion irgendwie zu Hause ist, weiß es besser. Gewiß werden wir Christen immer in der Religion Jesu ein neues, über die Frömmigkeit des Judentums hinausweisen¬ den Verhältnis zu Gott begründet sehen wollen, aber ebenso gewiß ist uns, daß dieser Jesus in der Gedankenwelt des Alten Testaments lebte und webte, daß er gerade den wertvollsten gei¬ stigen Ertrag von Gesetz und Propheten zu- sammenfatzie und in seinem Wirken und seinem Sein verkörperte. Günther schließt sein Werk mit einem Hin¬ weis aus die „Vertiefung der Lebens¬ anschauung", die dem Kenner der Rassenkunde und der Vererbungslehre zuteil werde, lieber diese Günthersche „Vertiefung der Lebens- anschauung" kann man nur wehmütig, den Kops schütteln, wenn man seine Rassenkunde durchblättert. Das Ganze ist so unreif, so nase¬ weis mit seinen vorschnellen und unbedachten Folgerungen, so siebzehnjährig, so leer von sittlichem Ernst und Verantwortlrngsbewußt- sein mit seinem eintönigen Rassenthema, in dem das Wohl und Wehe der Menschheit nur eine simple Rechenaufgabe darstellt, in dem kein Platz ist für irgendwie sittlich vertiefte Anschauungen von Volkstum und Volksgemein¬ schaft. Dafür ist fast mehr noch als der Hetzer¬ ruf „Juden raus!" die Mindestforderung be¬ zeichnend, die Günther in der Judensrage er¬ hebt, die Not- und Zwischenlösung, die er vor¬ schlägt für die Zeit, während der die Juden sich noch im Abendland aushalten. Allen jüdischen Verschleierungsversuchen zum Trotz, die das Ju¬ dentum zu einer bloßen Glaubensgemeinschaft stempeln wollten, müsse klargestellt werden, daß die Juden ein eigenes Volkstum bildeten. Und darum — es ist kein Scherz — darum müsse man ihnen die Stellung von „natio¬ nalen Minderheiten im Sinn der heutigen abendländischen Staatsverfassungen" zuweisen. Hat Günther schon einmal von einem Staat gehört, der so von allem politischen Instinkt verlassen war, daß er sich selbst künstlich eine nationale Minderheit schuf, der nicht froh war, über jeden einzelnen, der auf die Zugehörig¬ keit zu einem, solchen Staat im Staat verzich¬ tete und ganz in dev Staatsgemeinschaft auf- ging, statt halb abseits zu stehen? Die italie¬ nische Negierung- etwa würde doch wohl kaum etwas freudiger begrüßen, als wenn die Deut¬ schen in Südtirol auf ihr Deutschtum frei¬ willig verzichteten. Nationale Minderheiten, das sind doch Menschengruppen, die von sich aus den Trennungsstrich ziehen zwischen sich und dem Staat, in dem sie leben, die ihm nicht voll angehören wolle n. Aber jeder von diesen Außenseitern wird stets willkommen ge¬ heißen werden, wenn ev seine Sonderstellung aufgeben will, weil er ganz in den Staat, in dem er bisher nur ein Fremdling sein wollte, hineingewachsen ist. Ob man dem Staat, in dem man Bürger ist, wirklich angehört, oder ob man nur ein innerlich unbeteiligter Gast ist, das ist eine Frage des W o l l e n s , der f r e i e n s i t t l i ch e n Entscheidung. Tie Volksgemeinschaft ist keine Ge¬ meinschaft derer, die gleicher A b st a m m u n g. sind, sondern derer, die gleichen Willens sind. Die Juden, die sich den: deutschen Volke nicht innerlich verwurzelt fühlen, denen bei uns immer zumute ist, als ob sie auf fremder Erde wandelten, die soll man getrost ziehen lassen; aber niemand hat das Recht, die zu vertreiben, die kein Vaterland aus Erden kennen wollen als Deutschland. Die Jahrhunderte und Jahrtausende führen Menschen mancherlei Bluts, Menschen der ver¬ schiedensten Rassen in einem Lande zusammen. Die einen brachte das Schicksal früher her, die andern spater. Man soll Ehrfurcht haben vor viel fester Zusammenhält: die sittlich unend- der großen Schicksalsfügung dev Weltgeschichte, man soll nicht trennen wollen, was sie zu- sammensügte. Denn wo vielleicht kein Band des Bluts besteht, da gibt es ein Band, das noch viel fester zusammenhält: die sittlich unend¬ lich viel höhere Idee der Schicksalsgemeinschast. Das ist der Geist, den man beschwören muß, um allen Rassenspuk und Rassenwahn ins wesenlose Nichts zerstieben zu lassen. Günther redet immerfort von Volk und Volkstum und weiß gar nicht, was das ist, ein Volk. Glied eines Volkes zu sein, bedeutet an die Ge¬ meinschaft, in die die Vorsehung uns hinein¬ gestellt hat, unser Herz hängen: Mit¬ leiden und mitzittern in dev gemeinsamen Not, mitjauchzen im gemeinsamen Glück, mit Hand antegen an die großen gemeinsamen Aufgaben, mittragen an der Verantwortung. Dazu seien die deutschen Juden nicht fähig? Nun, Gün¬ ther hilft selbst diese Bedenken zerstreuen. Wenn man sein Buch durchblättert, dann findet man auf Seite lö7 ein kleines Bild, das die Unter¬ schrift trägt: „Jude aus Deutschland. An¬ scheinend orientalisch —~ vorderasiatisch — innerasiatisch." Das Bild stellt dar, Hugo Pr-euß, den Schöpfer der Weimarer Verfassung, der großen Weg- und Zielweiserin beim Neu¬ bau unserer Staatsgemeinschaft. Hätten wir doch nur recht viele von s o l ch e n rassesremden orientalisch - vorderasiatisch - innerastatischen Mischlingen. Man soll alle Juden fortjagen? Man soll alle Günthers fortjagen! |