Erscheint jeden Freitag Lrdartivn: VIII/1, SchlöhLlgasto 11. Sprechstunden r Kn Wochentagen von 10 bis 12 Uhr vormittags; an Sonntagen von 11 bts 12 Uhr vormittags. Postadresse: Jüdisches «ottSblatt, Wien, Vlll|l. Vesrhwerden wegen verspäteter oder gar nicht erfolgter Zustellung erbitten wir uns dringend. — Manuscrtvte werden nicht zuruckgestellt. Postsparcassen-Conto «47037. In das Slbonnement kann man täglich eintreten. <*-4 > ' ' ' W 4 unirr Mitwirkung der vom jüdischen Volks- Verein erwählten Pressrommission. Inserate iibernebmen die Firmen: I. Danneberg, M. Dukes, Haasen- stetn & Vogler, Rudolf Mofse, 81. Oppelik, M. Pozsonhi, 21. Schale! in Men, ferner alle Annoncen-Expeditionen in: Auslände. , Einzel-Nummer in Wien 16 Heller. -- Adnnnil'tration: VIII/ Abonnem« Für Wien u. Oesterreich-Ungarn saimnt Francoziistclluiig. Ganzjährig . . Kr. 8.— Halbjährig.. 4.— Vierteljährig.. 2 — -fr 1, Schlohelgasse 11. mtspreis: Für das gesammte Ausland saimnt Fraiicozustelluiig. Gunzjährig.Kr. 9.— Halbjährig 4.59 Vierteljährig.. 2.25 Ur. 42 Wien, 19. Oelolrer 1900. II. Jahrgang. Die Reichsrathstvahlen. u. Böhmen. Böhmen war die permanente Sorge Oesterreichs, das Land nationaler Revolutionen und Kämpfe, das Land des Sprachenkampfes in typischester Form. Böhmen war auch das classischeste Land der Judenverfolgungen. Auch heute ist es das Land der Organisation, des Unter¬ drückungskampfes zweier Culturvölker gegeneinander, aber auch das Land des Unterdrückungs- und Ausbeutungs¬ krieges gegen jüdische Elemente, wenn auch in moderni¬ sierter Fayon. Interessant jedoch ist die Relation des Sprachen¬ problems zum Judenproblem. Der Czeche bekämpft den Deutschen, der Deutsche den Czechen, beide aber den Juden. Man kann aber neben der Sprachengeographie auch eine Geographie „des Antisemitismus" wahrnehmen. Die Löser des Sprachenräthsels gehen vorerst über¬ einstimmend von nachstehender Unterscheidung aus. Böhmen umfasst drei Arten von Sprachgebieten: 1. rein czechische, 2. rein deutsche, 3. gemischtsprachige. In den rein czechischen Gemeinden werden die Juden als deutsche Fremdlinge, siehe Nachod und Prag, in den rein deutschen als czechische, siehe Saaz, geplündert. In den gemischtsprachigen Bezirken sind die'Juden Objecte der „Toleranz", dies insolange man sie braucht, und bei denen, von welchen sie sich gebrauchen und missbrauchen lassen. Sind die Czechen dank den Stimmen der Juden durchgedrungen, finden wir czechische Toleranz, sind die Deutschen Sieger, finden wir „deutsche Toleranz". Anti¬ semiten aber finden wir in allen Gebieten und allen Lagern, boycottiert wird der Kleinjude von beiden Nationali¬ täten. Und doch haben die Juden die Sprachenfrage längst gelöst, lernen doch die jüdischen Söhne und Töchter beide Landessprachen. Es hilft aber alles nicht. Das niedere Volk und der gewöhnliche Bürgerstand lassen sich ihre natürlichen Jnstincte und Gefühle nicht wegkünsteln. Der Deutsche und der Czeche sehen in jedem Juden etwas, was ihnen mit ihrer eigenen Art nicht vereinbar ist. Das ist eben ihre Empfindung und ihr auf un¬ mittelbare Eindrücke gegründetes Urtheil. Und daher kommt es, dass selbst die freisinnigsten Czechen und die frei¬ sinnigsten Deutschen die Juden in dem Momente ohne jede Ueberlegung und mit aller Ruhe opfern, als sie ein Hindernis für eine in ihrem Sinne günstige Constellation bilden. Der Deutsche schließt mit Wolf oder mit Lueger Compromiss (Gemeinbürgschaft), oder Herold und Engel mit B r z e s z n 0 w s k y und B a x a. Und wie beträgt sich anlässlich dieser Situation der böhmische Jude und sein „jüdischer" Führer? Der Feststrantz. Eine S n k k v t h - B i s i v n von I. K a tz e n e l s o h n. (Aus dem Hebräischeu.) (Schluss.) „Warte nur, warte, noch ist die Zeit nicht da", mahnte sie und ihre Züge wurden wieder ernst. „Siehst Du, in alten Zeiten war es üblich, das Haupt eines Helden, welcher ohne Blutvergießen einen Sieg errungen, mit einem Kranz von Myrthen, dem Symbol des Friedens, zu bekränzen. Wenn einst der große, langersehnte Tag hereinbrechen wird, an dem jegliches Verdienst nach Gebühr gewiirdigr werden wird, dann hoffe ich wohl, dass man mir den Myrthenkranz nicht wird absprechen können. Ich habe keine Länder erobert, keine Völker unterjocht, aber mein Leben ist dennoch nicht ohne Sieg. Schon mein Be¬ stehen allein, ist es nicht ein ununterbrochener, ein durch Jahr¬ tausende sich fortsetzender Sieg?. Alle Herzen, die ich nur geneigt gemacht, ich habe sie nicht mit dem Schwerte erobert, sondern durch den belebenden Duft meiner Myrthen. Wenn sie es nicht eingestehe» wollen, von mir besiegt worden zu sein, wenn sie mich dafür aufeutbeu und bekriegen, ist das mein Verschulden? Man tadelt mich, weil ich zu ängstlich meinen Garten bewache und in neidischer Engherzigkeit niemandem gestatte, sich au denr Drifte der Myrthen zu ergötzen. Schau her! Ist mein Garterr etwa von einer Steinmauer umzäunt'? Hält vielleicht eine eiserne Pforte seinen Eingang geschlossen? ... Freilich ziehe ich mit Gewalt keinen heran. Habe ich es doch an meinen! eigenen Leibe genngsan« erfahren, was es heißt, Gewalt anwenden, und wie weh das thut, wenn man hart an¬ gefasst wird. Doch genug davon. Ich will Dir auch meine Fruchtbänme zeigen". Die böhmischen Juden sind die cultiviertesten Juden in Oesterreich. Die der Judengeschichte und dem Juden¬ martyrium angehörenden Juden stammen zumeist aus Böhmen. Ihre Vergangenheit bildet den historischen Stolz der Jud enheit in Oesterreich. Die böhmischen Juden haben den jüdis chen Namen zu Ehren gebracht. Wollte man von Kaisern und Königen ein Privilegium — und unter Privilegium verstand man damals das Recht zu leben, das Recht, nicht gemordet und gesengt zu werden — so erschienen vor den Thronen der Mächtigen stets böhmische Juden. Heute ist es anders. Heute ist der Jude „Czeche" oder „Deutscher" — an sein Judenthum will er nicht er¬ innert werden. Hierdurch gerathen aber die Juden selbst oft in die groteskesten Situationen. Singt da ein Jude irgendwo, z. B. in Jaromer, bei einer Sokol-Feier mit fast heiserer Kehle sein „kde domov muj K , kommt so ein indiscreter Nachbar und bringf ihm einen Gruß von seinem Bruder in Trautenau, den er bei einem deutschen Gau- Turnfeste gesehen hat. Als einst der jüdische Hofrath und Universitäts-Professor Zucker, zu czechisch C z u ck e r, eine Rede vom „czechischesten" Wasser hielt, musste er sich von Professor Fiegl die indiscrete Frage vorlegen lassen: „Ja, wie kommt es,. dass Ihre Brüder in Wien Deutsche sind?" Und die Folgen dieser ans Groteske und Komische grenzenden Judenpolitik, viel richtiger Juden¬ maskerade, sind leider sehr> traurige. Sind die Juden Deutsche, laden sie auf sich den Hass der Czechen. Sind sie Czechen, dann sind die Deutschen ihre geschworenen Feinde. Wo ist die Lösung zu finden? Ist sie nicht nahe¬ liegend ? Man sagt einfach„Wir sind weder Czechen noch Deutsche, wir sind Juden." Diese höchst einfache Lösung birgt aber etwas Weiteres in sich. Es wird jetzt in Böhmen die Schaffung von Nationalitäten-Curien als Postulat aufgestellt. Es wäre gar nicht unmodern, wenn die Juden eine „Juden-Curie" verlangen würden — in¬ dem sie mit Recht sagen würden: „Unsere staatsgrund¬ gesetzlich gewährleisteten Rechte kann man uns nicht nehmen, zu den Czechen gehören wir nicht, zu den Deutschen auch nicht. Wird das Princip der Nationali- täten-Autonomie als Lösung ausgestellt, so bleibt dann nichts anderes übrig, als für die Juden eine eigene Curie zu schaffen." Im böhmischen Landtage jedoch rufen die jung- czechischen Juden Z a l u d und Schars unter lautem und stillem Gelächter der Zuhörer: „Wir machen viele Juden zu Czechen." Und B r z e z n o v s k y reißt durch Zwischenrufe seine Witze. Und doch sprechen die Zaluds und Scharfs im böhmischen Landtage eine große Lüge aus. Man kann die Juden ins jungczechische oder deutsche Lager führen, aber sie zu Czechen oder Deutschen machen, niemals! Die Sie nahm den Kranz vom Haupte und lud mich mit einer Handbewegung ein, ihr zu folgen. Bald gelangten wir ans eine kleine Wiese. Stolze Palmen ragten hier in die Höhe und ihre Kronen berührten die Wolken. Ich erwartete, dass auf den Lippen meiner Begleiterin dieser Anblick ein Lächeln hervörzaubern würde. Aber ihr Gesicht blieb ernst, ja es nahm sogar einen traurigen Ausdruck an. „Siehe," fieng sie an mir gleichsam auf meine unaus¬ gesprochene Frage antwortend. „Die Palmen im Garten gleichen den Männern der That und des Reichthums im Volke. Ohne einen lieblichen Duft zu verbreiten, bringen sie doch die herr¬ lichsten Früchte, die Gott und Menschen erfreuen. Ihr dichtes Laub dient dem müden Wanderer oft zum Obdach und zum Schutz . . . Aber..." Hier stockte sie, und ich wartete schweigend, bis sie fortfuhr: „Ich würde gerne stolz auf sie sein, allein sie tragen ihre Kronen zu hoch, und die Früchte sind schwer zu erlangen. Und wenn zufällig ein Sturmwind an ihren Kronen rüttelt und die Datteln zu Boden wirft, so fällt der größte Theil jenseits meines Gartenrains und mir werden nur wenige davon zutheil. Glaube mir, ich bin weder habgierig noch neidisch, aber ich empfinde es als Schmach, wenn Freunde die von mir gezogenen Früchte genießen, während ich selber darbe. Und solches Gerede muss ich erst ringsum, wegen dieser Bäume hören. Seht, was für reiche Palmen sie besitzt, und dennoch stimmt sie ewig Klagelieder an, geht in Lumpen gehüllt, fast möchte man ihr ein Almosen reichen." „Womit fristest Du denn Dein Dasein?" fragte ich endlich etwas ungeduldig. „Gibt es in Deinem Garten denn jüdische Volkspersönlichkeit ist, Gott sei dank, zu derb ausgeprägt, als dass man sie im Handumdrehen z u etwas anderem machen könnte. Wer das behauptet, fälscht d i e G e s i n n u n g anderer, begeht aber dadurch, dass er die Juden in die Lager anderer führt, einen Verrath an seinem Volke, denn er lähmt es in seiner Entwicklung und in der Wahrung seiner Jnteresien, Die Jungczechen haben durch die Zaluds sind durch die Scharfs viele Juden in ihrem Lager. Hindert das etwa das jungczechische Wählcomito, Herrn Brzesz- now sky, den Judenfresser pur exeellenee, in Prag auf¬ zustellen, oder mit Herrn Dr. Baxa ein Compromiss schließen zu wollen? Hindert die Zugehörigkeit der Juden zu den Jungczechen das auch von Judenabonnements und Judeninseraten existierende jungczechische Organ, die „Narodni Listy", mit seinem Inden kaiserlichen Rath Penizek in der Polna-Affaire jene blutrünstige und allen Ehrbegriffen hohnsprechende Haltung einzunehmen, wie wir sie zum Entsetzen aller ehrlich Denkenden wahr¬ genommen haben? Fürwahr, die böhmischen Juden,. welche in allen Parteilagern zu finden sind, nur nicht im eigenen, ver¬ dienen die Scharfs, Zaluds und Penizek s, sie verdienen den Verrath, der an ihnen und ihren heiligsten Gütern begangen wird. Sollen die Juden in Böhmen sich erheben und regenerieren, wollen sie sich ihrer Ahnen würdig zeigen, so bleibt für sie nichts anderes übrig, als den Nationali¬ tätenschwindel aufzugeben und offen unb ehrlich jüdische Farbe zu bekennen. Im jüdischen Zeichen in den Wahl¬ kampf gehen und Kompromisse mit ihren andersvolklichen Nachbarn derart schließen, dass ihnen auch jüdische Mandate uud jüdische Vertreter im engsten Sinne des Wortes eingeräuint werden, ist das Zweckmäßigste und Würdigste. Das ist ehrlich und gesuud. - Von Dr. Arnold Ascher. Was die Judenschaft Oesterreichs schon wiederholt bei den verschiedensten Parteien erfahren, und was auch bei der bevorstehenden Reichsrathswahl mit ziemlicher Gewissheit vor- hergcsagt werden konnte, ist eingetreten. Die Vertreter der Deutschliberalen, von welchen allein die Inden in dem schweren Kampfe so lange Hilfe erhofften und welchen sie jahrzehntelang ihre moralische und materielle Unterstützung in hingebungs¬ vollster Weise liehen, traten mit den Clericalen in Unterhand¬ lungen wegen Abschlusses eines Compromisfes. Zunächst begann man im Lande Tirol, wo man ja auf die in verschwindend geringer Anzahl Inden auch die geringste Rücksicht zu nehmen hatte. Schon vor acht Tagen wurde dort der Abschluss eines Compromisfes zwischen den Liberalen und keine Gewächse, die alle Vorzüge in sich vereinen? Angenehmen Duft und nährende Frucht?" „Natürlich gibt es auch solche", antwortete sie und ihr Gesicht heiterte sich auf. Sie führte mich zu einem der nächst- gelegenen Hügel, den einige prächtige Bäume schmückten. Aus ihrem dichten, dunkelgrünen Laube guollen weiße Blüten und vrangengelbe Früchte hervor. „Siehe," sprach sie. „Die Frucht dieses Baumes ist lieb¬ lich anzuschauen und von vortrefflichem Geschmacke. Diese Pflanze birgt in sich eine gar geheimnisvolle Kraft. Sie ist gleichsam das Symbol des stnfenweisen, unaufhörlichen Fort¬ schrittes. Die Früchte dieses Baumes reifen nur langsam, daher findest Du an ihm zu gleicher Zeit alle Phasen der Entwicklung, von der kaum aufgeblähten Knospe, bis zur völlig reisen, duftenden Frucht. In trüben Tagen, wenn Kummer mein Herz bedrückt, suche ich Trost bei diesem Baume. Ich schaue diese jungen, lieblichen Knospen an und denke: mit der Zeit werden auch sie sich entwickeln, blühen, zur Frucht heran- reifen und mir Freude bringen." Sie pflückte einen Paradiesapfel uud stieg mit mir bis zum Gipfel des Hügel hinan. Die schönen Züge ihren Gesichtes gewannen an Ausdruck, das Feuer ihrer Augen leuchtete wie verklärt, als sie mit feierlicher Stimme anhub: „Nun habe ich Dir meinen ganzen Garten gezeigt. Du hast meine armeu Weiden bedauernswert gefunven, unb auch meine Myrthen erschienen Dir wegen ihrer Unfruchtbarkeit wenig anziehend. Auch meine prächtigen schlanken Palmen bringen zwar süße Früchte, ragen aber zu hoch, uud verbreiten nicht jenen lebenden Duft, der die Umgebung entzückt. Sie existieren sozusagen für sich allein. So bleibt mir denn nur der Baum, der den Paradiesapfel trägt, als Preis meines |