Seite 2 JÜDISCHE ZEITUNG Nr. 1 kcnnung der „jüdischen“ Sozialdemokratie als selbständige Gruppe, nicht als Anhängsel der polnischen Partei, konnte trotz verzweifelter Gegenwehr der assimi'a'orischen Führer auf die Dauer nicht verhindert werden. Noch aber haben diese ein letztes Refu¬ gium : Die organisatorische Gleichberech¬ tigung konnte der jüdischen Partei nicht versagt werden, also versagt man die moralische. Man erklärt, daß diese Organisation nur für diejenigen Juden, die sich zur polnischen Kultur nodi nicht „hinaufentwickelt“ hätten, ge¬ schaffen wurde, als eine Art Fegefeuer, durch das der aus der Hölle des Judentums anstei¬ gende- Genosse hindurch gehen müsse, um in den polnischen Himmel zu gelangen. Wenn sich die jüdischen Anhänger der Partei der sozialen Gleichheit eine so gering¬ schätzige Wertung gefallen lassen, so ist das ihre Sache. Was uns an der Sache interessiert, ist nur, daß es natürlich die assimilatorischen jüdischen Führer sind, welche jene von Daszynski — der den Verlust seiner jüdischen Wähler fürchtet — aufgestellte Theorie mit Vergnügen akzeptieren und sie zur Wissenschaft erheben. Dies tut der Theoretiker Otto Bauer im Heft 1 (1912) des „Kampf*. Er erklärt zu¬ nächst, jeden Versuch, die Assimilation künstlich zu hindern und eine der Assimilation feind'iche Ideologie in der Judenschaft zu züchten, für „entwicklungsfeindlich“, „r e a k t i o n ä r“. Da¬ mit feind natürlich /ler (Zionismus Kind jüdische Nationalismus gemeint. Es ist wirklich be¬ schämend, daß ein Mann wie Bauer es nicht verschmäht, eine so gewaltige soziologische Erscheinung mit einem Schlagwort abzutun, das heute angesichts der moralischen, wirtschaft¬ lichen und kulturellen Taten des Zionismus — nicht einmal mehr die Kultusjuden in den Mund zu nehmen wagen. Aber wir haben es Herrn Bauer schon oft nachgewiesen, daß .seine Logik dort aufhört, wo er über das Judentum zu denken anfängt. Und wir kennen auch die Gründe: Seine Furcht, von der deutschen Partei selbst zur jüdischen abgeschoben zu werden. Diese Angst, welche bisher nur unserem geübten Auge sichtbar war, kommt in dem famosen Artikel endlich einmal zum Ausdruck. Bauer erklärt: „Die jüdischen Sozialdemokraten des Westens gehören zwar zur semitischen Rasse, aber nicht zur jüdischen Nation, die nur diejenigen umfaßt, die sich der jüdischen Spra¬ che bedienen und an den eigenarti¬ gen Sitten und Traditionen des ost¬ europäischen Judentums Anteil har Kleines Eeuilelton. Die ersten portugiesischen Juden in Hamburg. Die älteste Marannengemeinde, das heißt die Niederlassung von spanischen und portu¬ giesischen Juden, die zum Schein die Taufe annahmen, in Wirklichkeit aber ihrem alten an¬ gestammten Glauben treu blieben, ist nicht die von Amsterdam, sondern die von Hamburg. Das Tagebuch eines kaiserlichen Gesandten in der Türkei erwähnt 1577 die Anwesenheit von Ma- rannen in Hamburg ausdrücklich. Bereits 1594 hatte sich der Lissaboner Arzt Rodrigo de Castro hier niedergelassen. Als dann Philipp III. 1601 die Verfolgung der Marannen von neuem unternahm, ihnen aber gleichzeitig die Auswan¬ derung gestattete, machten viele von dieser Er¬ laubnis Gebrauch und wandten sich nach Ham¬ burg. Allerdings wird erst 1603 in einer Be¬ schwerde über die starke Zuwanderung von Por¬ tugiesen, „unter denen sich auch Juden befinden sollen“, (die .Anwesenheit .von (portugiesischen Ma¬ rannen in Hamburg offiziell erwähnt. Auf Veran¬ lassung der Bürgerschaft setzte sich der Senat mit den Einwanderer ins Einvernehmen und diese übermittelten ihm ein Schriftstück, in dem sie sich zu allen verlangten Zahlungen bereit erklär¬ ten, aber dafür freie Religionsübung forderten. Am 18. Juni 1606 konnte der Senat der Bürger¬ schaft mitteilen, daß hier sieben portugiesische Familien und zwei unverehelichte Makler wohn¬ ten, die gegen Zahlung von 400 Mark jährlich b e n.“ Und auf Grund dieser ohne jede nähere Untersuchung inappellabel gefällten Entscheidung erklärt Bauer apodiktisch, „die jüdischen Ar¬ beiter Westösterreichs haben sich selbst¬ verständlich auch in Zukunft derjenigen Nation anzuschließen“ — man meint, jetzt müsse kommen: zu der sie sich bekennen, denn die Sozialdemokratie ist doch der Hort der Frei¬ heit — es heißt aber: „deren Sprache sie spre¬ chen und deren Kultur Sie allmählich erwarben“. Was liegt nicht alles in diesen Sätzen ? Die Anmaßung, befehlen zu wollen, wo nur der freie Wille entscheidet, die Oberflächlichkeit, das schwierigste Nationsproblem durch ein paar veraltete Phrasen zu entscheiden und die Ueber- liebung, den Juden, der sich die Kultur der „Wirtsvölker“ noch nicht erworben hat, als minderwertig und nur „allmählich“ besserungs¬ fähig zu erklären. Wahrlich, von allen Assi- milanten sind die' rotgeschminkten weitaus die unsympathischesten und verbohrtesten. Glücklicherweise dämmert es schon in den Köpfen der nichtjüdischen Sozialdemokraten, die einzusehen beginnen, was sie alles den jüdischen Führern verdanken. Vor allem der Separatis¬ mus. Der „Pravo Lidu“ schrieb es ganz deut¬ lich, „die tschechischen Sozialdemokraten haben es satt, dem Diktat der Adler, Auster¬ litz und Ellenbogen zu folgen**. Man sieht, es sind nur Juden genannt. Auf dem separatistischen Parteitag wird Genossen Bauer vorgeworfen, er habe die Theorie der nationalen Autonomie im Stich gelassen usw. Natürlich fehlt auch nicht die pikante Nuance in der So¬ zialdemokratie, daß die Assimilanten in ver¬ schiedenen nationalen Lagern stehen und sich gegenseitig beflegeln. Der „Deutsche“ Bauer wettert vom ultra-deutsch-zentraüslischen Stand¬ punkt gegen den „Polen“ Liebermann, der ultra- separatistisch Vlenkt. So sind auch in dieser Partei die nationalen Ultras — Juden. Das Ende der assimilatorischen Herrlichkeit wird da¬ her in der Sozialdemokratie nicht lange auf sich warten lassen. Mag auch der Judenstämmling Hartmann direkt verlangen, daß die Partei; welche die nationale Autonomie auf ihre Fahne geschrieben hat, die Assimilation nationaler Min¬ derheiten in ihr Programm aufnehmen soll. — Die arischen Sozialdemokraten wissen heute schon, daß die jüdische Minderheit nicht assi¬ milierbar ist und über kurz oder lang werden sie die jüdischen Führer dorthin verweisen, wo sie einzig hingehören: In die jüdische Or¬ ganisation der Partei!“ in Hamburg bleiben durften. Als aber die Bür¬ gerschaft von der Ein- und Ausfuhr der portu¬ giesischen Kaufleute noch eine jährliche Abgabe von 1 Prozent verlangte, drohten diese mit dem Wegzug und der Fernhaltung des spanischen Handels von Hamburg, falls ihnen diese Abgabe nicht erlassen würde. Als ihnen dann 1610 Stade unter günstigen Bedingungen die Niederlassung gestatten wollte, waren die Hamburger Portu¬ giesen tatsächlidi entschlossen, von dieser Er¬ laubnis Gebrauch zu machen. Erst auf die Mit¬ teilung hin gestattete die Bürgerschaft 1610 den Portugiesen (gegen Erlegung bestimmter Abgaben das Wohnrecht in Hamburg, und in einem Kon¬ trakt vom 19. Februar 1612 wurden die Be¬ dingungen der Niederlassung, vor allem die Zah¬ lung von jährlich 1000 Mark festgesetzt. Ein amtliches Verzeichnis aus dieser Zeit zählt be¬ reits 125 erwachsene Portugiesen ohne Kinder und Gesinde. Schon 1617 wurde die Jahressteuer auf 2000 Mark erhöht, dafür aber 1623 bestimmt, daß bei Beratungen des Senats über kaufmännische Angelegenheiten mit Vertretern der anderen hier ansässigen fremden Nationen auch Deputierte der portugiesischen Juden als Sachverständige hinzugezogen werden sollten. Der größte Teil' der portugiesischen Einwanderer wohnte vor¬ erst am Dreckwall, dem heutigen Altenwall, ein kleiner Teil am Rödingsmarkt, in der Herr¬ lichkeit und am Mönkedamm, vereinzelte am Burstah, an der Mühlenbrücke, der heutigen Börsenbrücke, auf dem Kehrwieder und auf dem Oer judisdieNafionaM. Referat an den III. westösterr. Zionistentag. Erstattet von Dr. Egon Zweig. Hoher Parteitag! Die Selbstverständlichkeit, mit der auch diesmal ein Referat über den NF., auf die Tagesordnung ' kommt, gleichwie auf den früheren Parteitagen zu Brünn und Wien, inmitten des Ringens um die -Lösung grundsätzlicher Fragen, be¬ weist schlagend die außerordentliche Be¬ liebtheit, derer sich unser Volksschatz er¬ freut, und zugleich den allseitigen Wunsch, sich aus einer Welt des Kampfes auf dieser wahren. Fried'ensinsel wieder zusammenzulinden. Hat ja der NF. in seiner einigenden Kraft sogar das Wunder vollbracht, gerade in jenem denkwürdigen Zeitpunkt, als die zionistische Gesamtorganisation Oesterreichs durch die fluch¬ würdige Losreißung Galiziens zersplitterte, also im Herbste 1907, die einheitliche „Landessammel¬ sammelstelle .Oesterreich“ aufzurichten und sie seither gegen alle Anfechtungen rühmlich zu behaupten. So ist wenigstens auf einem Spezial¬ gebiete und auf keinem unwichtigen die. Ein¬ heit unserer österr. Organisation aufrecht ge¬ blieben und damit dem nie erlahmten Streben nach unumschränkter Wiederherstellung dieser der Zionsidee einzig würdigen Einheit zugleich Ansporn und Rückgrat gegeben. Und ist es uns gelungen, der Lan- dessammelstelle Oesterreich selbst in jenen trüben Tagen, als unsere Landmannschaft der zionistischen Weltzentrale mißliebig war, deren unbedingte Anerkennung "zu, si¬ chern, ' wie dies 1 - namentlich aus den in allen Tönen des Lobes variierten Gutachten hervorgeht, welche Dr. Boden heimer als Präsident des NF.-Direktoriums, so zuletzt an den Jubiläumskongreß, erstattet hat. Ja, in der zionistischen Welt ist es nachgerade Axiom ge¬ worden, ' unsere Sammelstelle als Muster der Organisation anzuerkennen und wertzuschätzen. Im Bericht des AK. an den letzten Kongreß war auch der ausführliche Rapport unse- r e r SST. mitenthalten und es läßt sich eine genaue Kenntnis dieses Rapportes bei der Mehr¬ zahl der Delegierten voraussetzen und so hier die Wiederholung aller seiner Details füglich vermeiden. Auf allgemeines Interesse kann auch mit Recht weniger die Schilderung des organisatorischen Aufbaues und der agitatori¬ schen Maßnahmen rechnen, als der Ziffer- mäßige Effekt all dieser Anstrengungen. Nun denn, die Summe sowohl der für den NF. und die ihm angegliederten Institutionen, als auch der für die anderen zionistischen Zentral¬ zwecke gespendeten oder gewidmeten Beträge ist unaufhaltsam von Zählperiode zu Zähl¬ periode gewachsen, ein verläßlicher Ma߬ stab für Freund und Feind, daß auch die Werbekraft unserer Ideen und Argumente immer mehr zunimmt. Wenn ich den hohen Parteitag zu einem Rückblick über die Entwicklung der Spenden aus Oesterreich seit Stiftung des NF. im Dezember 1901 einlade, so stoßen wir auf die Schwierigkeit, daß bis Ende 1907 jeweils nur der Ertrag aus der ganzen Monarchie, ein¬ schließlich Ungarns und der sogenannten'süd- Brook. Ihr eigentliches Verdienst um ihre neue Heimatstadt jvar (die /Begründung (des/Hamburger Handels mit Spanien und Portugal. Besonders lag die Einfuhr des Rohrzuckers und die Aus¬ fuhr des in den eigenen Siedereien raffinierten Zuckers in ' ihrer Hand. Nicht weniger bedeut¬ sam war ihr Handel mit ostindischem Kattun und mit brasilianischem Tabak. Ihr Anteil an dem Aufblühen der 1619 gegründeten „Ham¬ burger Bank“ ist durch die große Anzahl ihrer Einlagen und Interessenten besonders bezeugt. Bereits 1653 werden in Hamburg 16 vereidigte jüdische Makler namhaft gemacht. Juden im Sport. ln einem Artikel über „Sport und Rasse“ im Sportblatt des „B. T.“ kommt Dr. J. Spier aut die sportliche Eignung der Juden zu spre-, chen: „. . . Auch daß eine ganze Menge guter amerikanischer Pugilisten mit wunderschön klin¬ genden Yankeeriamen deutsches Blut in ihren Adern haben, ist wohl nicht Geheimnis geblie¬ ben. Daß aber die jüdische Rasse gute Faust¬ kämpfer gestellt hat, dürfte doch für viele et¬ was Neues sein. Und hier muß ich erwähnen, dab ein hoher Prozentsatz aller Varieteekraft¬ künstler Juden ist, vielleicht 40 bis 50 Prozent. Daß Juden hervorragende Drahtseilkünstler und Jongleure stellen; daß viele Zirkusunternelimer, Dompteure, Dresseure jüdischer Herkunft sind; und apch im Ringkampfe -finden wir hervor¬ ragende Vertreter. Ich war erstaunt,, in Amerika |