JÜDISCHE ZEITUNG Nr. 12 Seite 2 denn sie ist in fast allen Fällen ein Auswandern auf Nimmerwiederkehr. Nichtsdestoweniger hat man, . wie • in tausend anderen Fällen, an die Juden ganz vergessen. Vorerst hat man keinen einzigen Juden eingeladen. Dann ermannte sich dqr Minister für Galizien und lud den Sekretär der Krakauer Handelskammer, Dr. Benies, ein, weldier in -seinem Referate über alles Mögliche nur nicht über die Juden sprach. Der zweite galizisdi-jüdische Experte Dr. Kolischer, * der im letzten Augenblicke geladen wurde, maß der ganzen • Sache eine solch geringe Bedeu-. tung bei, daß er sich überhaupt nicht ein- . fand. Bei diesem Stande der jüdischen Aus¬ wandererinteressen in der Enquete griff der galizische Abgeordnete Reizes, von einigen un¬ serer Parteigenossen aufmerksam gemacht, ein und wandte sich an 'den Minister Dlugosz mit der Forderung, der Frage der jüdischen Aus¬ wanderung Aufmerksamkeit zu schenken und zu dem Behufe einige Experten, die von dieser Sache wirklich etwas verstehen, vorzuladen. \ Minister Dlugosz weigerte sich vorerst, dem Verlangen zu entsprechen, dann aber besann er sich doch eines Besseren und nahm eine Liste von vorgeschlagenen Experten entgegen. Hoffentlich werden einige v.on ihm geladen wer¬ den. In letzter Minute verlautet es, daß auch Dr. Straucher an der Enquete teilnehmen wird. Antisemitische Niedertracht Eingedenk des Satzes, daß man -sich nur mit den Mitteln vor dem Untergang retten kann, denen man den Aufschwung verdankt, greifen die 'Christlichsozialen zur bewährtesten Waffe ihres Rüstzeuges, zur niedrigsten antisemitischen Hetze. Allerdings stehen sie jetzt nicht allein in der Ausbeutung dieser Goldmine österreichi¬ scher Politiker auf dem Plan, denn die Deutsch- nationalen und zum Teile auch die Sozialdemo- kraten laufen ihnen den Rang ab. In der letzten Zeit operieren die Wiener .Christlichsozialen mit einer niederträchtigen Ver¬ leumdung. Sie brachten die Lüge auf, daß an¬ läßlich der Versammlung im Beethovensaale Ju¬ den den Ruf „Nieder mit den Christen, ' wir; haben »das Geld!“ ausgestoßen hätten. Diese einmal 'gedruckte Lüge schroteten sie gründ¬ lich aus. Jeder Leitartikel der „Reichspost“ wiederholte diese infame Erfindung mehrere Male in gesperrtem Druck. Als der Ton dieser famosen Artikel und Aufrufe schon so -nieder¬ trächtig wurde, daß sich der antisemitischen Exzessen gegenüber .mehr als tolerante Staats¬ anwalt zur Konfiskation eines Aufrufes ent- • schloß, da erhoben die Exzellenzherren der christlichsozialen Partei ein furchtbares Geheul. Der mehrfach durchgekrachte, mehr als übel Feuilleton. Die Zukunft der Juden.*) Es ist nachgerade gewagt über dieses Buch zü’ schreiben, denn von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt das Urteil über den Wert dieser Schrift Eines ist sicher: Som- bart muß darin etwas Bedeutsames gesagt haben, denn sonst wäre e6 unerklär- lidi, warum dieses sachliche leidenschaftslos ge¬ schriebene Buch so viel Staub aufgewirbelt hat. Das Buch, „Die Zukunft der Juden“, ist; die Niederschrift des gleichnamigen Vortra¬ ges. Was jedoch im Vortrage nur angedeutet . wurde, ist in der Niederschrift ausführlicher be¬ sprochen und durch statistische Angaben be¬ legt Sympathisch berührt es, daß nirgends „Wenn“ und „Aber“ und „Hoffentlich“ Vorkom¬ men. Sombart , der in diesem Buche ein Be¬ kenntnis ablegt, drückt sich klar aus. , Ja“ t und „Nein“ lauten seine Antworten auf verschie¬ dene Fragen. Sind die Juden ein Volk mit . be¬ sonderer Eigenart? Sombart antwortet: „Ja!“ -Sollen und können sich die Juden assimilieren? Die Antwort ist ein unzweideutiges: „Nein!“ Wie können die Juden am besten ihre Eigenart bewahren? Durch Anschluß an die zionistische Renaissancebewegung. Ist der Zionismus, der *) „Die Zukunft der Juden“ von Werner Sombart Verlag Duncker & Humblot, Leipzig. Preis K 3.—; zu beziehen durch die „Jü¬ dische Zeitung“. beleumundete Dr. Weiskirchner hielt eine mäch¬ tige Rede, in der es von Judenhaß troff. In mehr oder minder deutlicher Weise gab Weis¬ kirchner zu verstehen, daß das gesamte christ¬ liche Volk Oesterreichs zum Kampfe gegen das Judentum rüstet und daß dieser Kampf unge¬ ahnte und in Oesterreich noch nicht prakti¬ zierte Formen annehmen werde. Andere Redner sekundierten,, der antisemitischen Exzellenz und wenn nicht alle Zeichen trügen, wird die Juden- hatz frisch-fröhlich losgehen. Ob diese Juden¬ hetze gerade den Christlichsozialen nützen wird, ist fraglich. Doch ist »uns Juden leider einerlei, wer die Früchte dieser Antisemitensaat ennten. wird. Die Deutschnationalen sind für uns ebenso schlecht wie die Christlichsozialen, und es wäre Selbstbetrug, wollten" wir aus dem Bankerotte der Christlichsozialen auf einen Bankerott des Antisemitismus schließen. Was Mauscheltum nicht tut! Beim Vortrag Sombart in Czernowitz war' kein Universitätsprofessor zu sehen, was all> gemein auffiel. Professor Sombart erfuhr, davon erst, als er am folgenden Tage von ^mehreren Professoren Schreiben erhielt, in welchen sie sich entschuldigten, sie hätten nicht kommen können, weil der Senat beschlossen habe, die Veran¬ staltungen der widerspenstigen jüdischen Stu¬ denten nicht zu besuchen. Professor Sombart hielt diese Entschuldigungen für vollkommen un¬ zutreffend. Als man ihm sagte, daß es sich wirklich so _ verhalte, daß die Universität wirk¬ lich 'zwei jüdische Verbindungen boykottiere, wollte Sombart das nicht glauben. Es sei wohl möglich, daß ein Veteranen verein in Krähwinkel solche Beschlüsse fassen könne, aber nicht ein akademischer Senat. Solchen Verordnungen ihrer Vorgesetzten würden sich nicht einmal Volks- schullehrer fügen. Schließlich gelang es doch, den Berliner Professor von der wirklichen, Exi¬ stenz solcher traurigen Tatsachen zu überzeugen. Professor Sombart lächelte ein wenig und lenkte das Gespräch rasch auf ein anderes Thema. Es ist zu- bemerken, daß diese lächerliche und feindselige Haltung; gegen die jüdischen^. Studenten auf das Konto des noch nicht getauf¬ ten Prof. Petschek und des schon getauften Prof. Adler zu setzen ist. * Die Wiener Kultusgemeinde ins Stammbuch. Donnerstag, den 14. d. M., fand eine zahl- reich besuchte Versammlung der Anhänger des Rabbiners Mayersohn statt, welche zu der vor zwei Wochen abgehaltenen Versammlung der Gegner des Rabbiners Mayersohn Stellung nahm'. Weiters wird gemeldet, daß in den nächsten Ta¬ gen eine neue Kontra-Mayersöhn-Versammlung für die Ostjuden auch Retter aus der materiellein Not ist, realisierbar? Sombart gibt die Mög¬ lichkeit- zu. Das ist der wesentliche Inhalt der Som- bartschen Schrift Fragestellung und Beantwor¬ tung sind treffend und zeugen von tiefer Er¬ fassung des Judenproblwis. Das Gerede, ob Sombart Antisemit ist oder nicht, ist im Hinblick auf den Inhalt des Buches ganz müssig. Die im; Buche geäußerten. Ansichten sind richtig. Wenn sie Antisemitismus bekunden, dann sind Jehuda Halewy, Theodor Herzl und alle Zio¬ nisten antisemitisch. Und solche Antisemiten — meinte der Warschauer „Frajnd“ bei , Bespre¬ chung des Sombartschen Vortrages — kann das jüdische Volk nie genug haben. Sine ira et cum' studio, sei festgestellt, daß, Sombart ohne bombastische Phrasen ein aus¬ gezeichnetes Buch geschrieben hat, dessen Leh¬ ren wir Juden beherzigen sollen. Nur kleinliche Nörgelei und aus anderen Motiven fließende Böswilligkeit kann wegen einiger Entgleisungen — der vielzitierte Passus, in welchem Sombart von den Juden Verzichtleistung auf Leutnants¬ portepees verlangt! — das Buch. ablehnen. Man lese das Buch und wird sich überzeugen, daß strenge Sachlichkeit, genaue Kenntnis und tiefes Interesse am' Judentum Sombärts Feder bei der Niederschrift geleitet haben. Die Lektüre des Buches kann nicht warm genug empfohlen werden. ' stattfinden .wird. Wenn man £ich -vor .Augen hält, daß es in allen diesen Versammlungen stürmisch zugeht, daß die Gemüter der Gemeindemitglie- der dadurch in beständiger Erregung gehalten werden, so kann man der berufenen Vertretung der Wiener Judenschaft, dem . Kultusvorstande, nicht genug Vorwürfe machen. Es ist ja förm¬ lich unerhört, wie die Israelitische Kultusge¬ meinde die ganze Angelegenheit behandelt. Ent¬ weder haben die Anhänger oder die Gegner ' Mayersohns recht. Durch Versammlungen und Resolutionen werden aber die Anklagen nicht widerlegt und nicht bewiesen. Wehn es den Tat¬ sachen entspricht, daß eine Disziplinarkommis- sion der Kultusgemeinde den Sachverhalt fest- gestelit und die Unschuld Mayersohns zutage gefördert hat, so ist das Verhalten der Kultus¬ gemeinde geradezu schändlich. Denn mit ver¬ schränkten Armen zuschauen, wie zwei feindliche Lager über einander herfallen und sich zerflei¬ schen, kann nur der, wer aus dem’ Streite der Parteien Nutzen ziehen will. Wir können nicht genug nachdrücklich auf dieses dem primitiv¬ sten Verantwortlichkeitsgefühl hohnsprechende Verhalten der Kultusgemeinde hinweisen. Wir erklären ausdrücklich, daß wir in dem Streite pro und kontra Mayersohn keine Partei ergrei¬ fen, denn wir wissen tvohl, daß der einzig Schuldige 6ie Wiener Israelitische Kultusge¬ meinde ist, welche sich in diesem Falle offen¬ bar an den Satz „Divide et impera“ hält. Sonst wäre. es unbegreiflich, wie sie es zu dieser Spaltung und zum Skandale der Pro- und Kon- tra-Mayersohn-Versammlungen kommen lassen konnte. Zum ’ Ansehen des Wiener Rabbinates ■und,' der Wiener Judenschaft haben Versamm¬ lungen wie die beiden letzten gewiß nicht bei¬ getragen und wenn jetzt leider keine Aussicht auf baldige Beilegung des Streites besteht, so ist das auf das Konto der schuldbeladenen Kul¬ tusgewaltigen zu setzen. Ergebnis der Landeskonferenz der unganlihen Juden. Die zionistische Bewegung hat' das jüdische Problem’ , jn den . Vordergrund der jüdischen öffentlichen Meinung gerückt. Überall läßt sich die Wirkung des Zionismus vvahrnehmen. In den meisten Ländern hat der Zionismus in Parteiverbänden Ausdruck gefunden, in anderen bewirkt er eine Umwertung der hergebrachten in jüdischen Kreisen herrschenden Anschauungen und schafft auf diese Weise die-Vorbedingungen für einheitliche Zusammenfassung und Naf- tionalisierung des jüdischen .Volkes. Auch die letzte in Budapest abgehaltene Nachstehend sei eine kleine Probe aus dem Werke gegeben: „Jede Art zu erhalten ist ein Gewinn! Aber natürlich ein um so größerer Gewinn ist die Erhaltung einer Art, je wertvoller diese ist. Brauche ich zu sagen, daß wir im Judenvolke, wenn wir es als Ganzes betrachten, eine der wertvollsten Arten vor uns sehen, die das Men¬ schengeschlecht hervorgebracht hat? Welche ge¬ waltige Lücke müßte in der Menschenwelt ent¬ stehen, wenn die jüdische Art verschwände! Von allen Einzelheiten abgesehen: Das Juden¬ volk ist es,' das seit den Propheten den großen ethischen Ton ln das Menschheitskonzert ge¬ bracht hat und durch seine besten Söhne auch heute immer wieder bringt. Das große tra¬ gische Pathos, das die natürliche Welt versitt¬ lichen will, stammt doch am Ende aus Juda und ist von dort her in das Christentum überge¬ gangen. Dem Griechentum ein großes Gegen¬ bild entgegenzustellen, war und ist die Aufgabe Israels bis heute geblieben. Und wer den Reich¬ tum in der Welt und vorerst in der Menschen¬ welt über alles liebt, wer die. Türmung der Widersprüche im’ Menscheiigeiste als höchstes Ziel der Menschheit schaut, der mag das grie¬ chenfeindliche Judentum mit der Leidenschaft einer Nietzscheseele hassen: er wird nicht wün¬ schen können, daß es aus dieser Welt ver¬ schwinde. Wie arm würde diese Welt wer¬ den ,wenn es in ihr nur noch grinsende Ame¬ rikaner oder selbst: wenn es in ihr nur lachende |