Seite 2 JÜDISCHE ZEITUNG Nr. 10 in diesen Staatsrahmen zusammengefaßten Völker die Suprematie zu erringen suchen oder gar auf Unterdrückung kleinerer ausgehen könnte, macht es von vornherein notwendig, von einander rein¬ lich abgegrenzte nationale Autonomien zu schaffen. Die wirtschaftliche Gliederung der Juden, ihre sozial-wirtschaftliche Differenzierung und vor allem ihre geistige, ihre religiöse Sonder¬ art bieten hiezu die nötigen Voraussetzungen. 'Eine derartige Volksemanzipation auf der Grund¬ lage einer festgeschlossenen und durch oberste Reichsgesetze gesicherte Organisation würde na¬ turgemäß auch die Stärkung der Juden anderer Länder bedeuten. So würde eine Regulierung der Wanderungen der Juden eintreten, indem die durch Pogrome und judenfeindliche Gesetze ka¬ tastrophenartig anschwellende Wanderbewegung nach Amerika ganz bedeutend vermindert würde und Ordnung und Planmäßigkeit hineinkämen. Dem westlichen Judentum aber würde durch eine langsame Infiltration mit östlichen Elementen nur genützt werden, wozu noch die natürliche kulturelle Stärkung durch ein jüdisches Zentrum käme. Daß dem jüdischen Volke die Organisationsfähigkeit ganz und gar nicht ab¬ geht, zeigt die Schaffung der zionistischen Partei sowie des „Bundes“. Die von Kaplun-Kogan in der kleinen Schrift angeregten Probleme fordern eine weitere Dis¬ kussion, da die darin vorgeschlagenen Ziele jü¬ discher Politik eine gründliche Vorbereitung be¬ sonders der Juden der Zentralmächte notwendig machen. Es wäre zu wünschen, daß auch die •österreichischen Juden öffentlich das Wort er¬ griffen, was allerdings mit Rücksicht auf die durch die Zensur gebotenen Schwierigkeiten nicht .ohne weiters möglich ist. Der «reibe Eledt. Woche für Woche Wird unser Blatt durch weiße Flecke geziert Wir sagen geziert; denn es gereicht fürwahr keinem Blatte in, Oesferreich zur Schande, wenn 'es einige gähnehd Idere Spalten aufweisen kann. Im Gegenteil. Marich- tnal ist dieser Fleck in unserem Blatte bloß finnige Finger breit <dn andermal — wie In unserer jüngsten Nummer — erstreckt er sich aut dritthalb Spalten. Wir wissen wölH, wir sind nicht das einzige Blatt im Reiche, das unter der Zensur schwer zu leiden hat. Auch die Tageszeitungen — mitunter selbst das halb¬ amtliche Blatt — 'müssen ja dem Rotstifte des Zensors oft ihre interessantesten und pikante¬ sten Nachrichten und Aufsätze zum Opfer brin¬ gen. Bei uns ist es anders. Bei uns berührt die Zensur viel ernstere Seiten .... •Was Imuß sich Wohl der jüdische Leser angesichts der Spuren des Zensorstiftes denken, ganz abgesehen von den reichsdeutschcn Juden, die sich wahrscheinlich überhaupt nicht aus- kennen. Vermuten sie vielleicht, daß es dem Zensor gelungen ist, die Preisgabe wichtiger, militärischer .und Staatsgeheimnisse in unserem Blatte in letzter Stunde zu verhindern? Wit¬ tern Sie vielleicht leine frivole, mit dem Ernste der Zeit nicht zu vereinbarenden Sprache, die die Staatsgewalt mit Fug und Recht unter¬ drückt hat? Oder halten sie unsere Zeitung am Ende unpatriotischer Gesinnung fähig? All' diese Gedanken, wie falsch sie auch sein mö¬ gen, können den Lesern durch den Kopf schie¬ ßen, allein wer offene Augen hat und die Welt¬ betrachtet, wird instinktiv fühlen, daß der Grund viel 1 tiefer liegt. Seif Kriegsausbruch ist in allen Staaten die die Preßzensur eingeführt worden und es wü r de von wenig politischer Klugheit zeigen, wenn man dieser Einrichtung nicht die volle Berechtigung zusprechen Wollte. Allein in der Handhabung der Zensur — insbesondere was das gesamte Gebiet der Judenfrage anbelangt — zeigen sich selbst in den einzelnen Staaten der Zentral- mächte die allergrößten Unterschiede. Im Deut¬ schen Reiche, wo sich die Idee des Burg¬ friedens nicht zumindest unter dem Drucke der Regierungsgewalt fast restlos durchgesetzt hat, duldet die Militärverwaltung keine wie immer gearteten Ausflüge der Blätter in das so dank¬ bare Gebiet des Judenhasses. Infolgedessen ist auch' die Haltung der dortigen jüdischen Blätter • gegeben. In Ungarin, wo die Zensur eben¬ falls milder ist als in Oesterreich, befolgt die Regierungsgewalt das entgegengesetzte System. Von einem wirklichen Burgfrieden ist keine Spur und die einzelnen Parteien können einander mit Herzenslust befehden und besudeln — ein Recht, von idem die 'geehrten Antisemiten, die für die Konjunktur einen ganz besonders scharfen Blick haben — denn auch reichlich Gebrauch machen. Dies führt natürlich zu einer Abwehr in der jüdischen Presse, die sich nach besten Kräften ihrer Haut zu Wehren sucht. Wir Wollen nicht sentimental werden und darauf hinweisen, daß diese armen schutzlosen Flüchtlinge die Opfer unserer Kriegführung sind, Leute, die durch' den Krieg um ihr Hab' und Gut gekommen und heimatlos geworden sind. Wir haben versucht, den Verleumdungen der „Reichspost" Zweimal in der denkbar nüchtern¬ sten und objektivsten Weise entgegenzutreten. Beide Aufsätze verfielen dem Rotstift des Zensor, desgleichen unser Artikel in der jüngsten Num¬ mer, der einen Aufsatz der „Reichspost“ ohne jeglichen Kommentar enthält. Wir können nicht glauben daß öster¬ reichischen Staatsbürgern das Recht benommen wird, sich gegen Angriffe zu verteidigen. Wir werden in der denkbar unflätigsten Weise be¬ schimpft und hoffen, daß uns 'der Zensor den •Weg zur Selbstwehr nicht verrammeln wird. ‘Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Wir bauen auf sein Gerechtigkeitsgefühl. Musterung der 37-42jährigen Lebensversicherungen mit Kriegsrisiko für Ge¬ sinnungsgenossen ohne 1 Kriegszuschlagsprämie 1 bei erstklassiger Österreich. Gesellschaft. H Zuschriften un*er „Kriegsvers cheru g“ 1 a di- p xoedi'lon der Jüdischen Zei’ung. 1 Zionisten im Felde. Assistenzarzt Dr. Turnheim, A. H. des Vereines jüdischer Hochschüler aus Galizien Bar- Kochba in Wien, wurde mit dem signum 1 a u d i s ausgezeichnet; Feuerwerker Karl Sprecher aus Lemberg, II. Haubitzenregiment, erhielt die silberne Tapterkeitsmedaille 2. Klasse; Von der Auszeichnung des Fähnrichs Leopold Reich (Emunah-Bielitz) mit der großen silber¬ nen Tapferkeitsmedaille haben wir bereits be¬ richtet. Nun erfahren wir, daß ihm diese Aus¬ zeichnung für eine ganz besonders - bravouröse Tat zuteil wurde. Er hat nämlich mit 180 Mann — 800 Russen gefangen genommen; Auch vom Tode des Leutnants Ing. Rudolf B r a m m e r (Achiwah Ung. Hradisch) haben wir bereits Nachricht gegeben. Nach dem Tode wurde ihm' nun die silberne Tapferkeitsme¬ daille verliehen; Gefallen ist ferner Fähnrich Eugen Tad¬ le w s k i, der erst vor kurzem die silberne Tapferkeitsmedaille 1. Klasse erhielt; Ungarisdi-jüdisdies Kriegsarrtiiu. Das Beispiel des Wiener „Jüdischen Kriegsarchivs“ und seines klaren Pro¬ grammes hat überall befruchtend gewirkt. Vor Kurzem entstand in Deutschland eine ähnliche Einrichtung „Jüdische Kriegsstatistik“, von deren Gründung wir bereits berichtet haben. Nun ist auch in Ungarn eine nach dem Muster des Wiener Kriegsarchivs geschaffene Institution, „Ungarisch -jüdisches Kriegsarchiv“ genannt, ins Leben gerufen worden. Dem Kriegs¬ archiv stehen führende jüdische Persönlichkei¬ ten, darunter die Leitung des Ungarisch-jüdischen Kulturvereines, vor. Das Kriegsarchiv, das sich als offiziellen Organs der Monatsschrift „Mult es Jövö“ (Budapest, VI. Podmaniczky-utca 6) bedient, soll nach Beendigung der Arbeiten dem Jüdischen Museum in Budapest einverleibt wer¬ den. ' Die große Zelt und die Juden. Vor einem zahlreichen Publikum hielt Herr Dr. Nath 2 n Birnbaum in Graz am 1. v. M. .einen Vortrag üoer das Thema: „Die große Zeit und die Juden“. In fesselnden Wörtern schilderte, der Rer’ncr das innerste Wesen sämt¬ licher, an dem Ringen um die Neugestaltung Europas, beteiligter S : aaten. Mit Nachdruck hob er ‘hervor, daß der eigentliche G und des Weh tenbrandes in den treibenden Kräft.n zu suchen sei, welche in den einzelnen Staaten tätig sind. Sehr lebhaft beschäftigte sich der Redner mit dem Unterschiede des Wesens der Juden des Ostens und des Westens und wen 'et sich ge¬ gen eine vermeintliche Verkennung der Bedeu¬ tung der Ostjuden durch die Judenschaft von Westeuropa. Nach seiner Ansicht, reprä- sen'ieren die Ostjuden trotz aller zivi'i r a‘orischen Rückständigkeit die Aristokratie un e - den Ju¬ den. Die Großstaa'en teilt Birnbaum mit Recht in einheitliche Vclksstaa'en und Nationalitäten¬ staaten ein. Als geradezu gegensä'z’iche Typen ven Nationalitätenstaaten sind Rußland und |