Seite 2 JÜDISCHE ZEITUNG Nr . 11 una die Sache so hinstellt , als ob mir die russischen Juden mit dem Regierur gssysteme der Knute unzufrieden wären und nur selbst die Schuld an den Pogromen , sowie überhaupt an allen ihren Leiden tragen . ln dasselbe Horn blast die „ V i m e s “ , deren Standpunkt in der „ Judenfrage “ sich sehr wenig von der Petersburger „ Novoje Wremja “ un¬ terscheidet und die bereits seit Abschluß des russisch - englischen Bündnisses außer diesem nun den Antisemitismus in England eifrigst verfechtet . Auch Frankreich befindet sich unter der Hypnose Rußlands und speziell des russischen Antisemitismus ; nur vereinzelte Publizisten in Paris , wie in London gaben die unwürdige Politik zu , welche Frankreich und England zu Vasallen Rußlands erniedrigte und gleichmäßig den Lebensinteressen dieser Staaten wie ihrer freiheitlichen Vergangenheit widerspricht . Ist es nicht geradezu unglaublich , daß die Flotte Frankreichs und Englands die Darda¬ nellen beschießt , um Rußland zum — Besitze Konstantinopels zu verhelfen , obwohl sie vor Jahrzehnten dies durch den Krimkrieg zu verhindern suchten und auch jetzt bereits Differenzen zwischen London , Paris und Petersburg in dieser Frage bestehen . Jedoch nicht nur auf die Zertrümmerung der europäischen Türkei arbeitet die Entente los , sondern sie plant auch die Aufteilung der arabisch - türkischen Be¬ sitzungen , wobei sowohl England , als auch Frankreich , und — Rußland — Pa¬ lästina an sich reißen wollen . Die österreichischen und deutschen Heere kämpten unter solchen Umständen nicht bloß für die Existenzbedingungen Oesterreichs und Deutschlands , sondern auch für alle unterdrückten Völker Europas , Asiens und Afrikas , die unter russischem , französischem und englischem Jodle seufzen und deren Zahl in Zukunft vermehrt werden soll . Nur durch den Sieg der Zwei¬ bandmächte kann all den Unterdrückten und speziell den russischen Juden Freiheit erblühen . Wohl wurde auch von französisdier und englischer Seite die russische Juden¬ emanzipation nach dem Kriege verspro¬ chen , ja in vereinzelten französischen und eng¬ lischen Blättern wurde den Juden ' Sogar die Wiederherstellung des Judenstaates in Pa¬ lästina nach Zertrümmerung der Türkei zu¬ gesichert ; aber all ’ dies ist ja nur auf Täuschung und Verwirrung des jüdischen Volkes berechnet . v . Die Judenlrage im Qeufsften Reift . ln einer Unterredung mit Dr . S . Melamed — veröffentlicht in der Newyorker Staatszeitung vom 11 . Feber 1915 — sagt Graf Bernsdorff , der deutsche Gesandte in Washington , auf die Frage , welche politischen Vorteile der jetzige Krieg für die Lage der Juden in Deutschland bringen werde : „ Das Resultat ist bereits sichtbar . Vor dem Kriege erfreuten sich die Juden in Deutschland aller politischen und bürgerlichen Rechte , aber Offiziere konnten sie nicht werden . Nicht weil die Regierung dagegen war , sondern weil sie nicht vom Offizierskorps gewählt wurden . Die Regierung , von den besten Absichten erfüllt , konnte nichts dagegen tun , umsomehr als unser Offizierskorps in dieser Angelegenheit völlige Au¬ tonomie besitzt . Jetzt gibt es über 200 jüdische Offiziere in der deutschen Armee , mit anderen Worten , die Macht der Ereignisse hat sich kräf¬ tiger erwiesen , als die Vorurteile des deutschen Offizierskorps . Da das Vorurteil , welches bis jetzt vorhanden war , in nicht weniger als in 200 Fällen gebrochen worden ist , kann ganz ruhig versichert werden , daß das Vorurteil als solches nicht mehr vorhanden ist . Sobald ein Regiment einen oder mehrere jüdische Offi¬ ziere besitzt , wird es in Zukunft unmöglich sein , einen jüdischen Aspiranten wegen seines Juden¬ tums zurückzuweisen . Die jüdische Offiziersfrage in Deutschland kann als gelöst betrachtet wer¬ den . “ Als die Lage der Juden in Amerika und England mit der in Deutschland verglichen wurde , sagte der Gesandte : „ Kein englischer oder ame¬ rikanischer Jude nimmt in seinem Lande eine solche Stellung ein , wie z . B . Herr Ballin in Deutschland . Der deutsche Kaiser zählt viele jüdische Herren zu seinen Freunden . Bis jetzt haben die Juden in Deutschland nicht schlecht gelebt . Sie konnten ihre wirtschaftlichen und geistigen Kräfte entwickeln und ein bedeutender Faktor im Leben Deutschlands werden . Sie haben dem deutschen Reiche große Dienste erwiesen und haben die jetzige mächtige Stellung im Geschäfts - und Geistesleben dank ihrer Tatkraft und Fähigkeit erworben . Es ist wahr , daß der Antisemitismus weit verbreitet ist , aber nach dem Kriege wird der Judenhaß vollständig ver¬ schwinden , in erster Linie , weil das Volk nach dem Kriege viel demokratischer werden wird und zweitens , weil sich das deutsche Volk nun von der Loyalität der deutschen Juden dem Reiche gegenüber durch ihre ehrenhafte Beteiligung an dem gegenwärtigen Kriege hat überzeugen müs¬ sen . Sie dürfen auch nicht vergessen , daß der Antisemitismus in Deutschland zum größten Teile im Adel verbreitet war . Durch eine Kette von Umständen haben die Juden sich in ein bestimm¬ tes Fach , das wirtschaftliche , gleichsam ver¬ kapselt . Mittlerweile ist der Handel zu einer Groß - Macht angewachsen und hat fast beinahe alle anderen Faktoren überfroffen . Der Adel aber ist stehen geblieben . So ist eine Abneigung in den adeligen Kreisen gegen die Juden , welche soviel zur wirtschaftlichen Größe Deutschlands beige¬ tragen haben , entstanden . Dazu kommt noch c , : c Tatsache , daß der deutsche Adel in dieser Angelegenheit nicht historisch denkt . Oft war bei vielen Adeligen der Antisemitismus bloß ein tändelnder , politischer Sport . Der Krieg wird das Volk demokratisieren , wobei die Macht des Adels ohne jegliches Dazutun beträchtlich kleiner werden wird , und die Zeit aber ist für närrischen Sport viel zu ernst geworden . Sie wissen , daß ich selbst kein Antisemit bin . Einer meiner Vorfahren ist am Wiener Kon¬ greß für die Juden eingetreten . Ich bin fest überzeugt , daß soweit es Deutschland betrifft , der Antisemitismus als ein Ding der Vergan¬ genheit betrachtet werden kann . Nach dem Kriege wird die Emanzipation der Juden voll und ganz durchgeführt werden . “ Mit einem wahren Gefühl des Neides lesen wir Juden Oesterreichs diese Auslassungen des Grafen Bernstorff . Denn so skeptisch wir dieser goldenen Zukunft entgegensehen , ist die Tat¬ sache an sich , daß der deutsche Gesandte in Washington in so offenkundiger Weise für die Juden seines Landes das Wort ergreift , ein nicht zu unterschätzendes Symptom . Wir österreichi¬ schen Juden , die wir mit unserer ganzen und uneigennützigen Liebe bei der Monarchie stehn , haben den heißen Wunsch , auch bei uns möge in so offener und unzweideutiger Weise in der Oeffentlichkeit von jüdischen Angelegenheiten ge¬ sprochen werden . Statt dessen vergeht kaum ein Tag , an dem unser Volk nicht mit den schmählichsten Anschuldigungen beschmutzt würde . Die Juden von Nadworna . Der Verbündete Englands und Frankreichs kann gegen die eiserne Mauer der österreichischen Truppen von Dukla bis Czemowitz und gegen die Genialität Hindenburgs nichts ausrichten . Er hat sich , um wenigstens irgendwo zu siegen , einen minder gefährlichen Gegner ausgesucht , die unbewaffneten Juden in Polen und Galizien . 1500 jüdische Familien wurden zwischen Kan - nonka und Tyszenieniczany zusammengetrieben und sollten in den Bereich der österreichischen Kanonen abgeschoben werden . Der zornige Ein¬ spruch des österreichischen Kommandanten hat einstweilen das entsetzliche verhindert , daß öster¬ reichische Bürger , Frauen und Kinder unter das Feuer der eigenen Truppen genommen werden . Und so warten an die 7000 Menschen einst¬ weilen irgendwo im Dniestertal , obdachlos , hun¬ gernd und frierend . Sehen Greise und Kinder sterben und warten aut ihr Schicksal . Die rus¬ sische Kanaille geht aber weiter . Sie hat aus dem besetzten Gebiet , dessen Westgrenze die Stadt Jaroslau darstellt , alle Juden ausgewiesen , nachdem sie aus ihnen Geiseln ausgehoben hatte . Das betrifft so ungefähr 200 . 000 Menschen . Das russische Armeekommando begründet diese Ma߬ regel damit , daß die Anwesenheit der Juden eine Gefahr für die „ mit uns sympatisierende Bevölkerung “ darstellt . Das ist eine klare und imzweideutige Fest¬ stellung der so arg vergessenen Staatstreue der galizischen Juden . Sie wollten den Eid nicht brechen , nicht werden Buben gleich . In tiefster seelischer Not bleiben sie treu der Monarchie una Habsburg . |