?*&*?■** 944 Der Gottesdienst schloß mit Psalm ISO, vom Chore gesungen. WaS besonders erwähnt zu wer¬ den verdient, ist, daß fast sämmtliche hervorragende Mitglieder der d w tibd, auch deren Chacham, Dr. Gaster, sowie die der Reformgemeinde und deren Prediger, Professor Marks, Rev. Löwe und Harris, anwesend waren. Selbstredend waren auch sämmt- liche Gemeinden durch ihre Vorsteher und Comilv- Mitglieder vertreten; der Kürze halber erwähnen wir nur: Baron Leopold de Rothschild, Sir John Simon, Samuel Montag», Sir Philip Magnus, Sir Francis Montefiore, Arthur Cohen (Queen's Council), Benjamin Cohen, Sir Albert Sassoon, Baron Ferdinand de Rothschild. Mich. Solomon, (Delegirter von Jamaica), Lieutn. Colon. Goldsmid, Alderman Cowan. — Unter den Ladies in der Da- mengallerie bemerkte man die Gattin des Lord Mayors, die Lady de Rothschild und ihre Tochter, Baronesse Lepold de Rothschild, die Gattin des Chief Rabbi, Lady Simon k. Rach beendigtem Gottesdienste reichte der Lord Mayor dem neuen Chief Rabbi den Arm, um ihn zur Synagogenpforte zu geleiten, ihnen folgte die ganze Gemeinde. Als der Chief Rabbi mit dem französischen Grand-Rabbin seinen Wagen bestieg, wurde er von den vielen Tausenden, die sich am Duke's Place ansammelten, mit lautem „Hurrah!" begrüßt. Zeitungsnachrichten und Correspondenzen. Deutschland. Berlin, 21. Juni. Eine recht traurige Szene entwickelte sich heute vor den Augen eines schau¬ lustigen Publikums in dem Andachtssaale der Reform¬ gemeinde. Klemperer vollzog öffentlich seine Metamor¬ phose. Es gelang selbst diesem gewanden Redner nicht den kühnen Sprung nach der entgegengesetzten Richtung, die plötzliche Wandlung zu rechtfertigen oder auch nur begreiflich zu machen. Mein Ge¬ währsmann erzählt mir, daß ein Ruf der Ent¬ rüstung durch einen Thetl der Versammlung ging, als der Redner iwn "hxz nach der iyd griff und aus derselben die übliche Vorlesung hielt. Es waren Mitglieder der Gemeinden Landsberg und Bromberg, wo der gute Herr bis vor Kurzen fungirt und Schechitah, Bedikah etcet. ein Vierteljahrhundert beaufsichtigt hatte. Ihm waren die heiligsten Institutionen anver¬ traut, nach seinen Entscheidungen richteten sich Israeliten, die noch nicht mit den Ceremonien ge¬ brochen hatten, und nun erklärt der Meister: „Ich habe Jahrzehnte hindurch eure heiligsten Gütern nur zur Folie benützt, um meine Pfründe zu halten, nun lasse ich die Maske fallen, und ihr könnt Zu¬ sehen, was aus eurem zerrütteten Gewissen und eurem getäuschten Glauben wird." — Und mußten , sich nicht auch die denkenden Mitglieder der Mit¬ glieder der Reform sagen: wofür will uns der Mann begeistern? Heute polemisirt er gegen die „unverstandenen" Gebete, eifert für einen Gottes¬ dienst in der Muttersprache, ruft auf zu Familten- andachten, da ihm der Sonntagsdienst nicht genügt; wer bürgt uns, daß er am nächsten Sonntag nicht all das Geredete feierlich widerruft und wieder einen andern Standpunkt einnimmt? Wer fünfzig Jahre den Sabbath hält und als gereifter Mann die Fahne des allerheiligsten Tages sinken läßt, warum sollte er nicht in absehbarer Zeit bei fest g verschlossenen Thüren eine Vorstellung in einer I Moschee geben? Wahrlich ein Gaudium für die I Herren, welche Religion und Glauben verwerfen, I weil ihnen ein heuchlerisches Pfaffenthum die Achtung I vor dem überzeugungstreuen Diener Gottes I geraubt. — ; Frankfurt a. M. , 28. Juni. Mitten in dem trüben Ernst unserer Tage macht eine erfreuliche Erscheinung sich geltend; wir meinen die Einmüthigkeit aller jüdischen Geister und Ge- müther in dem Streben, Mittel und Wege zu suchen, Hilfe aus vollem Herzen mit vollen Hän¬ den zu spenden, um das traurige Loos unserer von der Stätte ihrer Geburt, von Haus und Hof ver¬ triebenen russischen Brüder und Schwestern zu er¬ leichtern und zu mildern. In diesem an sich gewiß erfreulichen Zusammenwirken sonst im Denken und Leben weit auseinander gehender Richtungen fehlt es jedoch nicht an einer für die wahre Bedeutung dieses Ltebeswerkes höchst gefährlichen Klippe, auf welche hinzuwetsen gebieterische Pflicht ist! Wohl werden den Vertriebenen Lebensmittel, Kleidung, die Mittel für die Weiterreise, sowie Alles, was zur Linderung ihrer Roth bettragen kann, gewährt, aber, fragen wir, genügt man dabei auch den Vorschriften unserer heil. Religion? Entsprechen die Lebensmittel, die man den Unglücklichen reicht, auch den Anforderungen unserer Speisegesetze? Wird für die Weiterreise nur unter strenger Beobachtung » von rot? nToar gesorgt? I Alle Summen, und seien es die größten, die I wir aufzubringen vermögen, erreichen nicht ihren I Zweck, wenn man nur das körperliche Wohl der I Vertriebenen im Auge hat und ihnen dabei ihre hei- I ltgsten Güter, um die eben sie Haus und Hof U verlassen, zu rauben sucht. Es ist deßhalb in W allererster Linie darauf zu achten, daß die dem u überlieferten väterlichen Religionsgesetze treuen » Anhänger unter den Exulanten — und es ist Gott- I lob gewiß die weitaus überwiegende Majori- 1 tat derselben — mit Gewissensruhe die I |