191 nen, so konnte doch vor der französischen Revolution von einer vollständigen Emanzipation der Juden in der That gar nicht die Rede seyn. Denn den Juden fehlt ein Wesentliches, wir möchten sagen, das Wesenlichste, zu ihrer Gleichstellung, wenn ihnen nicht neben dem Staatsbürgerrechte auch durch die bürgerliche Ehe das Mittel gegeben wird, aus ihrer separaten gesellschaftlichen Stel¬ lung herauszukommen. Was würde ihnen die Emanzipation hel¬ fen, wenn sie im Leben nach wie vor jener langsamen Tortur des Haffes und der Verachtung ausgesetzt bleiben, welche eine nothwendige Folge jener schroffen Stellung ist, und so lange als diese dauern wird? Aber anstatt es den Juden möglich zu machen, aus dieser Stellung herauszukommen, machte man ihnen in der Verblendung des Geistes diese Stellung, an welcher die christ¬ liche Gesetzgebung schuld war, noch gar zum Vorwurfe! — Noch heute hörte man Manche von der jüdischen „Nationalität" als von einem Dinge sprechen, welches ihrer Emanzipation im Wege stehe. — Aber sagt mir doch, was kann denn der gebildete Jude thun, um aus seiner „Nationalität" herauszukommeu? — Ihr sagt, er soll sich taufen lassen, — das gibt Euch die Geistesfrei¬ heit nicht ein! — Es wäre mehr als überflüssig, nachdem in die¬ ser Schrift die Emanzipation des Geistes entwickelt worden, auch nochmals auf das sogenannte „Taufspftem" zurückzukommen. Aber wir wollen hier von einem Faktum sprechen. Wozu hat es das Taufsystem gebracht? Tausende von gebildeten Juden, deren Deutschland, Dank seiner in allen Confessionen verbreiteten In¬ telligenz, vielleicht mehr als das übrige Europa zusammengenom¬ men, zählt, würden keinen Augenblick anstehen, außerhalb ihrer Konfessionen zu heirathen und ihre Kinder nicht in ihrer Konfes¬ sion zu erziehen, die unter den obwaltenden Umständen nicht au¬ ßerhalb ihrer Konfession heirathen, und ihre Kinder Juden wer¬ den lassen. Dieses Faktum ist leicht erklärlich. Dem Juden ist es noch in ganz Deutschland von Staats (!) wegen untersagt, außerhalb seiner Konfession zu heirathen, es sey denn, daß er sich entweder selbst erst taufen lasse, oder (wenigstens) zuvor die Verpflichtung ein¬ gehe, alle Kinder aus der gemischten Ehe in einer christlichen Konfession zu erziehen. — Also das, und noch mehr als das, was die katholische Konfession verlangt, und worüber das protestanti¬ sche Deutschland so sehr entrüstet ist, wird hier von Seiten des geistesfrcien Staates verlangt. Wer mag es dem gebildeten Ju¬ den verübeln, wenn er all das Gerade von Geiftcssreiheit für ein Possenspiel ansirht; und lieber in der Religion bleibt, welcher er nun einmal durch seine Geburt angehört, als zu einer andern übergeht? Hat sich denn das konfessionelle Christenthum, sofern es nicht eben diesen Standpunkt verlassen hat, wie in Frankreich und Nordamerika, je als die praktische Religion der Liebe erwie¬ sen? — Daß in deutschen Staaten Protestanten und Katholiken gleichgestellt sind, darf nicht zu hoch angerechnct werden. Einer christlichen Konfession gegenüber wird freilich kein deutscher Staat mehr Intoleranz zu Schau trageu, — man mag nicht wieder ei¬ nen dreißigjährigen Krieg herausbcschwören, — das will man nicht! — Beweist das etwas für die ächte, innere Toleranz? — Wollt ihr den Barometerstand der Geistesfreiheit kennen ler¬ nen, so müßt ihr das Berhältniß des Staates zu feinen jüdischen Unterthanen untersuchen. Den Juden gegenüber ist nichts zu riskiren. Im Gegentheil, man macht sich durch Intoleranz gegen «Juden populär bei Christen, zu Deutsch: beliebt beim christlichen ! Pöbel. Denn die Kurzsichtigen wähnen, es könne ein Staat wohl seine verschiedenen christlichen Konfessionen mit gleicher Liebe um¬ fassen, wenn er auch die Juden von dieser Liebe ausschlöffe; ja hierdurch zeige er sich eben als acht christlicher Staat. So nr- theilt der Pöbel, — wir urtheilcn anders: Ein Staat der die jüdische Konfession ausschließt, schließt auch eine christliche aus, wenn es gerade nicht die seinigc, oder in seinem irdischen In¬ teresse ist. das Gegentheil zur Schau zu tragen, — und ein Staat der eine christliche Konfession ausschließt, ist weder acht noch unächt christlich, sondern allenfalls katholisch, oder lucherisch, oder kalvinisch, oder evangelisch, oder hochkirchlich, oder Gott weiß was, nur nicht christlich!" Die Einweihungsfeicr der Synagoge in Charlestown, war ganz des veredelten Gottesdienstes, welchen man daselbst einführte, *) würdig. Die amerikanischen Zeitungen sagen dar¬ über u. A.: „Auch bei Gelegenheit dieser Einweihung finden wir besonders die Einführung von Instrumentalmusik hervorzuheben, welche durch ihre sanfte und majestätische Harmonie viel zur Erhebung der Feierlichkeit beitrug. Wir glauben überhaupt, daß die Ver¬ bindung der Musik mit dem Gottesdienste nicht nur durchaus zu¬ lässig, sondern in dieser Zeit unentbehrlich ist, und daß wir auf die heilsamsten Folgen ihres göttlichen Einflusses rechnen dürfen. Wenn von Manchem bezweifelt wurde, ob beim jüdischen Got¬ tesdienst die Musik passend wäre, so glauben wir, daß dieser Zweifel durch die glückliche Verbindung beider bei dieser Gclegcu- heit beseitigt wurde. Die Wirkung auf uns war eine heilige Ehr¬ furcht und reines Dankgefühl." Bon der Rede des Geistlichen rühmen die öffentlichen Bläkter ebenfalls, daß sie voll sreimüthiger Gedanken und edler Gefühle gewesen, und führen als Beleg hiezu folgende Stelle an: „Diese Synagoge ist unser Tempel, diese Stadt unser Jerusalem, dieses glückliche Land unser Palä¬ stina, und so wie unsere Väter mit ihrem Leben jenen Tempel, jene Stadt, jenes Land vertheidigten, so werden ihre Söhne diesen Tempel, diese Stadt, die¬ ses Land vertheidigen, bis der letzte Tropfen unseres Blutes für unsere Religion und unser Land ver¬ gossen ist." Doch auch in Europa lichtet sich's immer mehr. So wird aus Lippe-Detmold gemeldet, daß nicht nur die öffentliche Stimme jetzt für eine Verbesserung der Lage der Israeliten spreche, sondern daß auch die Gesetzgebung das Gerechte dieser Forderung rinzusehen scheine. Ein gleicher guter Geist herrsche unter den Landständen und sie seien deßhalb den freisinnigen Anttägen der Regierung mit Bereitwilligkeit entgegen gekommen. Auch Basel, das in dieser Beziehung, bisher einen so schlech¬ ten Klang hatte, **) scheint endlich der Forderung der Gerechtig¬ keit einiges Gehör schenken zu wollen; wenigstens hat cs den Anfang damit gemacht, daß es einigen jungen Israeliten daS Wohnungsrecht gestattete; eine Freiheit, die seit 26 Jahren Nie¬ manden gewährt worden war. *) S. Nr. 10 dieser Blatter. •*) ®. Rr. 40 dieser Blätter. |