547 Benjamin Seff: Mauschel. 548 auf. Einmal hiess er Baruch Spinoza, schliff Brillen und betrachtete die Welt sub specie aeterni. Und so konnte und kann man hinwieder Rabbiner, Schrift¬ steller, Advokaten und Aerzte sehen, die nur ver¬ schmitzte Gewinnsucher sind — in solchen Gestalten tritt Mauschel auf. Der Jude ist fähig, der Regierung seines Landes aus Ueberzeugung starr und ehrlich Widerstand zu leisten oder sich offen als ihr Anhänger zu bekennen. Mauschel verkriecht sich hinter den staatsfeindlichsten Oppositionen und hetzt diese heim¬ lich, wenn ihm die herrschende Autorität nicht benagt, oder er flüchtet sich unter den Polizeischutz und tut Angeberdienste, wenn ihm vor dem Umsturz bange wird. Darum hat der Jude den Mauschel immer ver¬ achtet — und dieser schilt ihn wieder einen Narren. Und diese beiden, die durch eine tiefste Feindschaft ihres Wesens allzeit geschieden waren, wurden stets miteinander verwechselt. Ist das nicht ein schauer¬ liches Missverständnis? Als wäre in irgend einem dunklen Augenblick unserer Geschichte eine niedrigere Volksmasse in unsere unglückliche Nation hineingeraten und wäre mit ihr vermischt worden, so nehmen sich diese un¬ vereinbaren, unerklärlichen Gegensätze aus. Da wir nun, seit die Völker sich besinnen, immer die Schwächsten der Schwachen waren, hat man als den Vertreter unseres Volkscharakters nicht den Juden, sondern Mauschel genommen. Starke Völker werden nach ihren besten Söhnen beurteilt, schwache nach ihren schlechtesten. Die Deutschen sind ein Volk von Dichtern und Denkern, weil sie Goethe, Schiller, Kant hervorgebracht haben. Die Franzosen sind die Tapferen und Geistreichen, weil sie Bayard und Dugueschin, Montaigne, Voltaire und Rousseau aufstehen Hessen. Wir sind ein Volk von Schacherern und Gaunern, weil Mauschel wuchert und Börsenstreiche macht. Mauschel hat immer die Vorwände geliefert, unter denen man uns anfiel. Mauschel ist der Fluch des Juden. Instinktiv hat das der Jude immer gefühlt, und es mag oft vorgekommen sein, dass gute Juden vom Volk und vom Glauben der Väter sich entfernten, weil sie diese Gemeinschaft nicht länger zu ertragen vermochten. So hat Mauschel das Judentum nach innen und aussen geschwächt. Aber es kam die Zeit, unsere Zeit, wo auch die Flucht aus der Religion den Juden nicht mehr von der Solidarität mit Mauschel befreien kann. Die Rasse! Als ob Jude und Mauschel von derselben Rasse wären. Der Gegenbeweis war freilich schwer zu erbringen, und vor dem Antisemitismus schienen Jude und Mauschel für immer unauflöslich, rettungslos verbunden. In solchen Zeiten pflegt wohl mancher Mauschel vom Judentume abzufallen, ein Jude sicher nicht. Da trat der Zionismus auf — Jude und Mauschel mussten zu dieser Frage Stellung nehmen. Und jetzt, jetzt zum ersten Male hat Mauschel dem Juden einen moralischen Dienst von unverhoffter Grösse erwiesen. Mauschel sagt sich von der Gemeinschaft los, Mauschel ist — Antizionist. Man möge uns nicht missverstehen. Wir sind nicht so verbohrt und verrückt, wie man uns gerne darstellen möchte. Wir erklären nicht jeden Gegner unserer Ansichten und unserer Bewegung für einen schlechten Kerl. Es gibt sehr hohe, sehr respektable Gründe, aus denen ein Jude an dieser Volksbewegung für seine Person nicht teilnehmen kann, oder will; aber darum braucht er sie noch nicht zu verdächtigen und zu bekämpfen. Die Haltung eines Juden, der nicht mit der zionistischen Bewegung gehen will, ergibt sich eigentlich von selbst; er stellt sich abseits. Er ist seiner andersgläubigen Umgebung so vollkommen assimiliert, dass ihn die Geschicke der Juden nichts mehr angehen. Er hat vielleicht nur aus Anständig¬ keit, aus Stolz das äussere Band nicht zerrissen. Er kümmert sich nicht um die ehemaligen Volksgenossen, so kann er sicher sein, dass auch sie nichts mehr von ihm wissen wollen. Doch je weiter er vom Juden¬ tum schon abgekommen ist, um so achtungsvoller wird er die Regungen dieses ihm fremden Volksbewusst- seins betrachten müssen. Vielleicht versteht er auch, dass seine Lage durch diese Bewegung nicht schlechter, sondern besser wird. Sie ermöglicht ihm die Los¬ sagung vom alten Volke, den Anschluss an ein anderes, dem er sich verwandter fühlt ohne beschämende Kon¬ zessionen. Er ist einfach kein Zionist, er ist aber auch kein Antizionist. Er bleibt neutral, kühl, fremd. Und wenn er innerlich ganz im Gleichgewicht ist, wird er als Fremder die menschenfreundlichen Ab¬ sichten der Zionisten billigen und unterstützen, wie es unsere christlichen Freunde tun, die den verschiedensten Völkern angehören. Mauschel hingegen ist Antizionist, und zwar in lärmender, belästigender Weise. Mauschel höhnt, schimpft, verleumdet und denunziert. Denn Mauschel spürt, dass es ihm jetzt endlich an den Kragen geht. Er hat das sofort, noch bevor der Zionismus alle Batterien demaskierte, auf eine beinahe geniale Weise erraten. Mauschel hat auch eiligst ein tückisches Schlagwort gegen die Zionisten ausgegeben: sie seien jüdische Antisemiten. Wir? Wir, die wir uns ohne Rücksicht auf unsere erworbene Stellung und unser Vorwärtskommen vor aller Welt als Semiten be¬ kennen, die Pflege unseres alten Volkstums hochhalten, zu unseren armen Brüdern stehen. Aber er hatte blitzschnell heraus, was wir sind. Mauschel feinde sind wir! Mauschel hatte sich mit dem Antisemitismus schon so gut wie abgefunden. In den Kulturländern geht es ja den Juden nur an die Ehre? Mauschel zuckt die Achseln: was heisst Ehre. Wozu braucht man die Ehre? Wenn die Geschäfte gehen und man gesund ist, lässt sich das Uebrige ertragen. Für den schlimmsten Fall richtet Mauschel seinen Blick ins Weite, aber nicht nach Zion, sondern nach irgend einem Lande, wo er allenfalls bei einer anderen |