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Benjamin Seff : Mauschel .
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auf . Einmal hiess er Baruch Spinoza , schliff Brillen
und betrachtete die Welt sub specie aeterni . Und so
konnte und kann man hinwieder Rabbiner , Schrift¬
steller , Advokaten und Aerzte sehen , die nur ver¬
schmitzte Gewinnsucher sind — in solchen Gestalten
tritt Mauschel auf . Der Jude ist fähig , der Regierung
seines Landes aus Ueberzeugung starr und ehrlich
Widerstand zu leisten oder sich offen als ihr Anhänger
zu bekennen . Mauschel verkriecht sich hinter den
staatsfeindlichsten Oppositionen und hetzt diese heim¬
lich , wenn ihm die herrschende Autorität nicht benagt ,
oder er flüchtet sich unter den Polizeischutz und tut
Angeberdienste , wenn ihm vor dem Umsturz bange
wird . Darum hat der Jude den Mauschel immer ver¬
achtet — und dieser schilt ihn wieder einen Narren .
Und diese beiden , die durch eine tiefste Feindschaft
ihres Wesens allzeit geschieden waren , wurden stets
miteinander verwechselt . Ist das nicht ein schauer¬
liches Missverständnis ?
Als wäre in irgend einem dunklen Augenblick
unserer Geschichte eine niedrigere Volksmasse in
unsere unglückliche Nation hineingeraten und wäre
mit ihr vermischt worden , so nehmen sich diese un¬
vereinbaren , unerklärlichen Gegensätze aus . Da wir
nun , seit die Völker sich besinnen , immer die
Schwächsten der Schwachen waren , hat man als den
Vertreter unseres Volkscharakters nicht den Juden ,
sondern Mauschel genommen . Starke Völker werden
nach ihren besten Söhnen beurteilt , schwache nach
ihren schlechtesten . Die Deutschen sind ein Volk von
Dichtern und Denkern , weil sie Goethe , Schiller , Kant
hervorgebracht haben . Die Franzosen sind die Tapferen
und Geistreichen , weil sie Bayard und Dugueschin ,
Montaigne , Voltaire und Rousseau aufstehen Hessen .
Wir sind ein Volk von Schacherern und Gaunern ,
weil Mauschel wuchert und Börsenstreiche macht .
Mauschel hat immer die Vorwände geliefert , unter
denen man uns anfiel . Mauschel ist der Fluch des
Juden . Instinktiv hat das der Jude immer gefühlt ,
und es mag oft vorgekommen sein , dass gute Juden
vom Volk und vom Glauben der Väter sich entfernten ,
weil sie diese Gemeinschaft nicht länger zu ertragen
vermochten . So hat Mauschel das Judentum nach
innen und aussen geschwächt .
Aber es kam die Zeit , unsere Zeit , wo auch die
Flucht aus der Religion den Juden nicht mehr von
der Solidarität mit Mauschel befreien kann . Die
Rasse ! Als ob Jude und Mauschel von derselben
Rasse wären . Der Gegenbeweis war freilich schwer
zu erbringen , und vor dem Antisemitismus schienen
Jude und Mauschel für immer unauflöslich , rettungslos
verbunden . In solchen Zeiten pflegt wohl mancher
Mauschel vom Judentume abzufallen , ein Jude sicher
nicht . Da trat der Zionismus auf — Jude und Mauschel
mussten zu dieser Frage Stellung nehmen . Und jetzt ,
jetzt zum ersten Male hat Mauschel dem Juden einen
moralischen Dienst von unverhoffter Grösse erwiesen .
Mauschel sagt sich von der Gemeinschaft los , Mauschel
ist — Antizionist .
Man möge uns nicht missverstehen . Wir sind
nicht so verbohrt und verrückt , wie man uns gerne
darstellen möchte . Wir erklären nicht jeden Gegner
unserer Ansichten und unserer Bewegung für einen
schlechten Kerl . Es gibt sehr hohe , sehr respektable
Gründe , aus denen ein Jude an dieser Volksbewegung
für seine Person nicht teilnehmen kann , oder will ; aber
darum braucht er sie noch nicht zu verdächtigen und
zu bekämpfen . Die Haltung eines Juden , der nicht
mit der zionistischen Bewegung gehen will , ergibt sich
eigentlich von selbst ; er stellt sich abseits . Er ist
seiner andersgläubigen Umgebung so vollkommen
assimiliert , dass ihn die Geschicke der Juden nichts
mehr angehen . Er hat vielleicht nur aus Anständig¬
keit , aus Stolz das äussere Band nicht zerrissen . Er
kümmert sich nicht um die ehemaligen Volksgenossen ,
so kann er sicher sein , dass auch sie nichts mehr von
ihm wissen wollen . Doch je weiter er vom Juden¬
tum schon abgekommen ist , um so achtungsvoller wird
er die Regungen dieses ihm fremden Volksbewusst -
seins betrachten müssen . Vielleicht versteht er auch ,
dass seine Lage durch diese Bewegung nicht schlechter ,
sondern besser wird . Sie ermöglicht ihm die Los¬
sagung vom alten Volke , den Anschluss an ein anderes ,
dem er sich verwandter fühlt ohne beschämende Kon¬
zessionen . Er ist einfach kein Zionist , er ist aber
auch kein Antizionist . Er bleibt neutral , kühl , fremd .
Und wenn er innerlich ganz im Gleichgewicht ist ,
wird er als Fremder die menschenfreundlichen Ab¬
sichten der Zionisten billigen und unterstützen , wie es
unsere christlichen Freunde tun , die den verschiedensten
Völkern angehören . Mauschel hingegen ist Antizionist ,
und zwar in lärmender , belästigender Weise . Mauschel
höhnt , schimpft , verleumdet und denunziert . Denn
Mauschel spürt , dass es ihm jetzt endlich an den
Kragen geht . Er hat das sofort , noch bevor der
Zionismus alle Batterien demaskierte , auf eine beinahe
geniale Weise erraten . Mauschel hat auch eiligst ein
tückisches Schlagwort gegen die Zionisten ausgegeben :
sie seien jüdische Antisemiten . Wir ? Wir , die wir
uns ohne Rücksicht auf unsere erworbene Stellung und
unser Vorwärtskommen vor aller Welt als Semiten be¬
kennen , die Pflege unseres alten Volkstums hochhalten ,
zu unseren armen Brüdern stehen . Aber er hatte
blitzschnell heraus , was wir sind . Mauschel feinde
sind wir !
Mauschel hatte sich mit dem Antisemitismus schon
so gut wie abgefunden . In den Kulturländern geht es
ja den Juden nur an die Ehre ? Mauschel zuckt die
Achseln : was heisst Ehre . Wozu braucht man die
Ehre ? Wenn die Geschäfte gehen und man gesund
ist , lässt sich das Uebrige ertragen .
Für den schlimmsten Fall richtet Mauschel seinen
Blick ins Weite , aber nicht nach Zion , sondern nach
irgend einem Lande , wo er allenfalls bei einer anderen