Thekla Skorra : Judenjunge . 190 In dieser kalten Welt , in der Vernunft und Gold einsam auf dem . Marmorthrone sitzen , so herzerquickend unvernünftig sich verschwendend ; unvernünftig wie die Blütenpracht , die der Früh¬ ling über die kahlen Lande streut , ohne Rechnen und Wägen , ohne Zweck und Ziel ; wie taumeln¬ der Schneeflocken zarte Silbersterne , die um Mittag die blasse Wintersonne schmilzt , noch bevor sie den harten Erdboden erreichen . Und die doch so schön sind , so lebenversöhnend schön . Und nun diese Maja hier in seinem frostigen Studenten - Chambregarni . Traum scheint ' s ihm noch . Hat er ihn nicht oft schon geträumt ? mit geschlossenen Augen — wenn seine junge Manneskraft — wochenlang hat er sie bezwungen , in herber Selbstüberwindung — und dann — dann hafs ihn doch wieder besiegt . Maja ! Er sieht , wie ihre Sinne nach ihm verlangen , sieht , wie gerade seine Hilflosigkeit , die so kühl scheint , ihr Blut aufpeitscht . Auf die Brust , die unter dem losen Gewand auf und nieder wogt , presst sie einen Augenblick wie eindämmend die Hände ; dann vergräbt sie sie leise streichelnd in seinem tiefen , schwarzen Kraus¬ haar . Diese seltsamen Hände , deren Form so viel seelische Eigenart zeigt , deren vorquellendes , blaues Geäder von so viel Leidenschaft erzählt . Und wie er noch atemlos — halb von Leiden¬ schaft , halb von dem gewaltsamen Wirbeltanz vorhin — nach Luft ringt , presst sich ihr Mund , ihr seltsamer Sehnsuchtsmund auf seinen . Hat er nicht die heissen Semitenlippen ? Warum hat das Leben sie nicht küssen gelehrt ? Ach , „ Solche " küsst man nicht , und lieb , lieb gehabt hat den gelehrten Judenknaben noch keine . Ein wildes Weh packt ihn in diesem Augen¬ blick , Mitleid mit seiner lichtarmen Jugend , mit seinem gehetzten Volk — und aufflammt der Hass und begräbt alle Liebe . Jener Hass der alten Juden , die so gute Hasser gewesen , so ehr¬ liche — die noch nichts wussten von all der Christenliebe , die Ahasverus durch die Jahrtausende gehetzt . „ Aug ' um Auge , Zahn um Zahn ! " du über¬ mütig Ding , du Enkelin der Lebensprasser und Liebes¬ fürsten ; o du ! du sollst auch ein m al spüren , wie ' s tut , alles Geniessen mit Augen sehn , mit Händen grei¬ fen , und doch nicht erreichen können . Lieben ? Euch lieben ? Wie ihr uns geliebt habt . Da --- Mit einer nie gewohnten , bru¬ talen Bewegung stösst er sie von sich . Aufschluch¬ zend lässt er , gegen die Sofa¬ lehne zurückge¬ sunken , den Kopf auf die Brust hängen . Starr blickt Maja einen Augenblick , reglos , mehr verwundert als empört . Dann schürzen sich verächtlich die blassroten Lippen : „ Schluchzen kann er , aber jauchzen nicht — Judenjunge ! " Als Daniel endlich aufblickt : Verschwunden ist Maja , zerflattert das bunte Glück ; aller klingende Jubel : ungenossen verhallt . Wohl wirbelt noch der aufgestörte Staub durchs Zimmer . Wo aber sind die Sonnen¬ strahlen , die ihn vergoldeten ? Durch den schmerzenden Kopf zuckt ' s dem wieder Vereinsamten : , ,Untauglich fürs Leben " . Spottend hallt ' s noch von den Wänden nach : „ Judenjunge ! " MARIE COHEN . HAMBURG . Mädchen vom Lande . |