Ii Lector: In fremdem Spiegel. 12 folgungen, Jammer und Bedrückung tun muss. Sein Unglück wird ihm zum Verbrechet). Er wandelt wie ein stummer Mahner unter den Mäch¬ tigen, und da mau ihm nichts verdanken will, hasst man ihn, und da man ein Eecht haben will, ihn zu hassen, bildet mau sich ein, ihn zu verachten. Seine eigenen Grosstaten kehren sich gegen ihn, und je schwerer man sie wegleugnen kann, desto energischer wird man sie verkleinern, sie ihm ab¬ sprechen und ihn noch dazu verleumden. Wie soll man diesen Juden, die so lange das corpus vile von ganz Europa waren und es zum Teil noch sind, so viel von dem Höchsten und Edelsten, das man besitzt, verdanken? Das ist das Gruudniotiv, welches bei der Behandlung des Judentums von¬ seiten nichtjüdischer Denker und Forscher, wohl zum grossen Teil unbewusst, mitklingt und ihren Ausführungen Ton und Farbe gibt. Freilich waren wir Juden an ein derartiges schon seit Paulus von Tarsus her gewöhnt — und es hatte uns nicht viel angefochten. Heutzutage jedoch, wo wir Juden von den allgemeinen Geistesströmungen stärker bc- einflusst werden als je zuvor, stärker vielleicht als selbst manche Schichten der nichtjüdischen Gesell¬ schaft, birgt diese gewollte oder ungewollte Polemik eine grosse Gefahr für das Judentum. Es ist noch kein volles Jahrhundert her, dass eine ähnliche, freilich anders gefärbte und anders gerichtete Strö¬ mung in Deutschland sehr, sehr viele der gebil- desten und nöchststehenden jüdischen Frauen und Männer ans jenseitige Ufer getragen. Damals gab es noch keine Wissenschaft des Judentums im modernen Sinne und das Verständnis für dessen innern Gehalt und Bedeutung war der Masse der Gebildeten verschlossen. Heute sind wir ganz an¬ ders zur Abwehr gerüstet. Unter anderen legt hierfür Zeugnis ab die jüngste Schrift von Eschelbacher,*) eine nach Form und Inhalt prächtige und gediegene Leistung:, mit welcher sich eingehend bekannt zu machen jedem gebildeten Juden nicht dringend genug empfohlen werden kann. Mit der gründlichen und tiefen Kenntnis der in- betracht kommenden jüdischen Literatur verbindet der Verfasser eine erstaunliche Vertrautheit mit der modernen protestantischen Theologie in allen ihren Richtungen. Ueberdies verfügt er über eine sehr hohe und umfassende allgemeine Bildung, die es ihm ermöglicht, die Dinge von einer erhöhten Warte zu überblicken. Sein Urteil ist ruhig und abge- *) Joseph Eschelbacher: Das Judentum im Urteile der modernen protestantischen Theologie. Leipzig*, Buchhand¬ lung Gustav Fock. 1907. klärt und lässt eine vornehme, innerlich ausge¬ glichene Persönlichkeit erraten, die dem Ansturm der Tagesströmungen und neuauftauchenden Mei¬ nungen eine gefestigte und wohlerwogene Gelassen¬ heit entgegensetzt. Es ist nicht etwa eine Apo¬ logie des Judentum", die uns Eschelbacher bietet. Eine solche dürfte ihm wohl — und das mit Eecht — teils nutzlos, teils überflüssig erscheinen. Er will uns blos zeigen, wie ein fremder Spiegel unser Antlitz zurückwirft, und uns belehren, warum un¬ sere Züge in diesem Spiegel häufig so verzerrt erscheinen, dass wir uns selber kaum zu erkennen vermögen. Ueber die vielen falschen und unge¬ rechten Beurteilungen regt er sich nicht auf. Er sucht sie nur zu begreifen, die Fehlerquellen zu entdecken uud blosszulegen. Er untersucht die Rolle, welche das Alte Testament innerhalb der verschiedenen christlichen Kirchen und Eichtungen gespielt hat, von den ältesten Zeiten durch das Mittelalter und die Eeformation hindurch bis auf die Gegenwart, wo eine Partei, die man Neo-Mar- cioniten nennen könnte, es mit einem gewissen Hass ablehnt, der aber onnmächtig und in sich wider¬ spruchsvoll ist. Voll gerechter Anerkennung ivür- digt er die Verdienste der nichtjüdischen Forscher um die Aufhellung der linguistischen und antiqua¬ rischen Probleme der Bibel, ihre Darstellung ein¬ zelner hervorragender Perioden und einzelner grosser Persönlichkeiten Israels, weist aber nach, wie uud warum sie ohnmächtig sind, den grossen religiösen Zug, der im ganzen Volke lebt und seine ganze Geschichte durchzieht, zu erfassen und ihm gerecht zu werden. Dem antiteleologischen Zug un¬ serer Zeit entgegen dem sie ja sonst auch in ihren religionsgeschichtlichen Forschungen huldigen, fassen sie das Judentum nicht als ein Gebilde für sich auf, sondern nur als „Vorstufe" des Christentums. Daher „schreiben sie dem Christentum zugute, was Gutes, Grosses und. Bleibendes das Judentum ge¬ schaffen hat" und geben das zeitlich Bedingte, die äussere Schale des Judentums, als dessen Wesen und Kern aus. Prächtig ist die psychologische Analyse des „Gottes des Hasses und der Eache", der noch immer in der christlichen Theologie als die angebliche jüdische Gottesvorstellung herumspukt. Die Frage, weshalb das Gros des jüdischen Volkes sich der Propaganda der Lehre des Nazaräers uud seiner Apostel unzugänglich zeigte, hat den christlichen Forschern bisher wenig Kopfzerbrechens verursacht. „Verstocktheit!" das war ihre einzige Erklärung. Es wäre zu wünschen, dass der Verfasser diesem Punkt, der hier nur nebenbei herrührt werden |