831 Felix Halle: Ueber die Notwendigkeit einer Genealogie jüdischer Familien. 832 Ein so umfangreiches Werk wie eine Genealogie angesehener jüdischer Hänser ist nicht mit einem Male nnd nicht gleich vollkommen herzustellen. Yerlag und Heraasgeber sind auf die Mitarbeit und Unterstützung der beteiligten Familien, Stiftungsverwaltungen wie der Staats- und der Gemeindebehörden angewiesen. Darum müssen die betreffenden Familien, Verwaltungen und Behörden von dem Werte eines solchen Werkes über¬ zeugt und Vorurteile und Gleichgültigkeit gegen das Unternehmen überwunden werden. Eine Genealogie jüdischer Familien ist nötig, um die Fabel von der Minderwertigkeit, einseitigen Begabung und Betätignng der Semiten zu widerlegen; sie muss geschaffen werden, als Nachschlagewerk für die lebenden und kommenden und als pietätvolles Denkmal für die vor auf gegangenen Generationen. Bemerkungen der Redaktion. Die Idee der Schaffung einer Genealogie jüdischer Familien ist sicherlich eine gesunde und bedarf gar nicht erst einer Art Entschuldigung gegenüber den Ideen der Emanzipation einerseits uud des freiheitlichen Individualismus andererseits. Was speziell den letzteren betrifft, ist man heute über die Freiheit und Gleich¬ heit der blossen Phrase denn doch schon heraus. Man weiss die Bedeutung der Zucht zu würdigen. Man weiss, dass Familien entarten und sich erschöpfen, aber auch, dass sie Kräfte sammeln und liefern. Sehr gut führt der Antragsteller einen Teil der jüdischen Erfolge im sozialen, ökonomischen und geistigen Leben darauf zurück, dass die Juden eben niemals die Emporkömmlinge waren, für die sie das nichtorientierte und unfreundliche Auge der anderen hält. Und seine Annahme, dass eine genaue und gründliche Genealogie den Angriffen der Judenfeinde und der sonstigen Vor¬ urteilsvollen gegenüber die alte innere Kultur feststellen wird, ist gewiss richtig. Nichtsdestoweniger möchten wir uns von der apo¬ logetischen Wirkung der vorgeschlagenen Genealogie nicht zuviel versprechen. Wenigstens noch auf lange Zeit hinaus nicht. Das Vorbeiraten an dem Können und den Leistungen der Joden ist zu tief eingewurzelt, um sich auch von den trefflichsten Familiengeschichten entwurzeln zu lassen. Der Drang, uns schlecht zu finden, wird auch die genealogischen Ergebnisse so zu kommentieren wissen, wie es ihm passt Gegen das Motiv der Pietät ist natürlich nichts einzuwenden. Auch der praktische Nutzen für Stiftungen in der Richtung des Yerwandtschaftsn ach weises ist nicht abzuleugnen. Doch sind diese Momente sicherlich nicht von besonderer Bedeutung. Viel wichtiger ist die vor¬ aussichtliche moralisch-pädagogische Wirkung auf die Jugend der berücksichtigten Familien. Denn das ist es ja, was heute den Juden so oft des Halts beraubt, in weiterer Konsequenz auch die Allüren des Empor¬ kömmlings gibt, obwohl er der älteste Adelige in Europa ist: Dass er das Gefühl hat, von Eltern und Ureltern zu stammen, deren er sich zu schämen braucht. Und diesem Gefühl könnte eine gute jüdische Genealogie in hervorragendem Masse entgegenarbeiten helfen. Deshalb vornehmlich muss sie angestrebt w r erden. ~: Das von dem Verfasser entworfene, sonst ga»z vortreffliche Programm erfordert einige Aenderungen bezw. Ergänzungen. Da ist vor allem die etwas, zu ausgedehnte Rücksichtnahme auf deutsches Gebiet. Wohl ist in einem paragraphenweise geordneten Resume, das der Verfasser gleichzeitig mit der hier abgedruckten Anregung der Redaktion überreichte, auch ein Teil für das Ausland reserviert. Aber dieser Teil ist offen¬ bar als im Umfange beschränkter und nur an jene Familien ist dabei gedacht, die ... . „nicht nur in ihrem Vaterlande bekannt sind." Das will anscheinend heissen, dass für die Auswahl der Familien im jüdischen Ausland nicht eine kritische Orientierung an Ort und Stelle, sondern der vage Ruf massgebend sein soll, der von ausländischen jüdischen Familien mit Recht oder Unrecht bis nach Deutschland gedrungen ist. Man denke sich, dieselbe Methode auf das jüdische Deutsch¬ land übertragen, und man wird fühlen, wie verfehlt sie ist. Entweder man berücksichtigt das ausländische Judentum gar nicht — und das ist bei dem Zahlen¬ verhältnisse, aber auch bei der Einflussverteilung sowie den starken verwandtschaftlichen und geistigen Bezieh¬ ungen zwischen den deutschen und den anderen Juden auf die Dauer untunlich — oder man tut ganze Arbeit, d. h. erstreckt sie mit gleicher Genauigkeit auch auf die übrigen jüdischen Gruppen. Gewiss würde in diesem zweiten Fall der Apparat ein schwerfälligerer werden, aber es wird auch etwas dabei herauskommen. Vom rein buchhändlerischen bezw. Verlegerstandpunkt betrachtet, würde das Unternehmen komplizierter und teuerer, aber auch grosszügiger und aussichtsvoller. Ebenso wie der Verfasser das von ihm angeregte Werk örtlich etwas zu viel auf Deutschland eingestellt wissen will, genau so will er es ganz besonders der Feststellung jener Familien widmen, die in ökonomischer Beziehung und etwa auch durch wohltätige Stiftungen hervorragen. Nun kann man ja die Bedeutung dieser Familien im Gesamtaufbau der Judenzeit nach Gebühr würdigen und doch vor einer Ueberschätzung warnen. Und dies ebensowohl mit Rücksicht auf die Wirkungen nach aussen als nach innen. Um die ökonomische Tüchtigkeit, speziell auch der deutschen Juden, anzu¬ spornen, braucht man doch sicherlich nicht erst auf die Leistungen der Vorfahren hinzuweisen. Davon ist ja auch in der heutigen Generation genügend vorhanden. Und auch im Stiftungswesen sind sie noch nicht zurück¬ geblieben. Freilich auch nicht, was geistige Arbeit betrifft, so weit sie sich nicht auf Judentum bezieht. Dagegen über die Grosstaten ihrer Vorfahren auf dem besonderen jüdisch-geistigen Gebiete hätte die heutige jüdische Jugend es doch wahrlich nötig genug, ein wenig aufgeklärt zu werden. Und wiederum nach aussen? Dass wir ein Handelsvolk sind und viele von uns unter widrigen Verhältnissen reich oder wohlhabend geworden sind, glaubt man uns ohnehin. Dass dabei Fleiss, Solidität und andere Bürgertugenden mitgewirkt haben, davon werden wir die Antisemiten nicht über¬ zeugen, — auch wenn dies in einer Genealogie besser, als es wirklich möglich ist, zur Anschauung gebracht werden könnte. Und unter den Halbantisemiten, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, hat man denn doch schon |