Herausgegeben und redigiert von LEO WINZ. Alle Rechte vorbehalten. Heft 5. Mai 11)13. XIII. Jahrg. DAS LEBENSRECHT DER WENIGEN.*) Von A. Benesra. „Nicht wegen eurer grossen Anzahl hat der Ewige euch auserwählt, denn ihr seid die We¬ nigsten!" Es tut gut, dass'wir Juden uns dieses Wort der Bibel stets vor Augen halten. Eine un¬ erschöpfliche Quelle ethischer und geschichts- philosophischer Belehrungen bilden diese kleinen Sätze, die man, besonders in jetziger Zeit, nicht genug beherzigen kann. „Gott ist immer mit den stärkeren Bataillonen", soll ein berühmter Feldherr gesagt haben. Unser Gott, der Gott Israels, versicherte stets, dass er ein Freund der Schwachen und Gebeugten sei, wenn die Gerechtig¬ keit auf ihrer Seite war. Für den Moment mag vielleicht jener Feldherr recht gehabt haben, aber wenn man die grossen Epochen der Weltgeschichte zusammenfassend betrachtet, so ersieht man, dass die Bibel gegen den wackeren und zynischen Hau¬ degen recht behalten hat. Denn die stärkeren Bataillone, wurden noch immer von noch- stärkeren geschlagen, und diese waren wiederum die schwä¬ cheren anderen gegenüber, die noch zahlreicher und noch stärker waren, als jene. Bis sie sich gegenseitig derart geschwächt, zerfleischt und auf¬ gerieben, dass sie insgesamt ihre Lebenskraft aufgezehrt haben und vom Erdboden verschwan¬ den. Nur einen düstern Nebel von grauenhaften Erinnerungen, durchtränkt von Blut und Rauch zurücklassend. „Es mühen sich die Völker um ein Nichts, und die Nationen verzehren ihre Kraft um einen Feuerdunst." Zweimal kommt dieser Vers bei den Propheten Israels vor, ein Wahr¬ spruch, den man als Motto der ganzen Geschichte manches grossen Reichs voransetzen kann. Von *) Vergleiche den Artikel „Fünfzig Jahre Geschichte" im Februarheft von „Ost und West", Jahrg. 1913. all der Herrlichkeit, der Macht, dem Prunk und dem Reichtum ist ein Häuflein Asche, ein Ruinen¬ feld und eine lächerlich-grausige Erinnerung ge¬ blieben. Nein, Gott ist nicht mit den zahlreichern und stärkern Bataillonen, sondern mit denen, die für die Herrschaft der Güte und der Gerechtigkeit, für die Mehrung der Erkenntnis, für die Ueber- windung der finsteren Mächte des Bösen, des Mutwillens und der Gewalttätigkeit kämpfen. Die Kämpfer mögen den Sieg ihrer Sache wohl nie mit eignen Augen sehen, aber sie schöpfen die Kraft aus der Vision des endlichen Sieges, den sie im Geiste erschauen. Gott ist nicht mit der Majorität, er ist mit den Wenigen. Aus der blossen physischen Tatsache, dass man die Mehrheit bildet, kann man noch nicht das Recht ableiten, den Minoritäten die Lebensmöglichkeit abzuschneiden, sie zu unterdrücken oder gar auszurotten. Meististes auch ganz vergebliche Mühe, verschwendete Kraft, und die Ausrottungsarbeit schwächt und lähmt den Stärkeren, abgesehen schon davon, dass sie sein sittliches Niveau herabdrückt, ihn verwildern lässt, und seine geistigen Kräfte mindert. Nur eins.gibt es, wofür es sich lohnt, zu kämpfen und zu leiden: das Gute, die Gerechtigkeit. Darin inbegriffen ist das Lebensrecht der Wenigen. Wir Juden haben stets eine Minorität gebildet und werden es wohl immer bleiben, auch wenn dermaleinst, was wir zuversichtlich hoffen, die Welt voll sein wird von Erkenntnis, wie die Wasser das Meer ausfüllen. Darum ist der Kampf für das Existenzrecht der Wenigen so. recht eigentlich unser Kampf, der Kampf um unser Dasein. Von Zeit zu Zeit tritt eine Periode ein, da die Welt wie von einem Krampf geschüttelt wird, ein Blut- |