322 Vom Kriegsschauplatz des Geistes 323 und wirft die Frage auf, ob der Antisemitismus eine vergängliche Erscheinung sei oder nicht, „ob er, praktisch gesprochen, durch Kampf ausgerottet werden kann, oder ob er für ewig bestehen muß, da er gewissermaßen ein Teil der Weltordnung ist/' Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, da unter uns sicli die Stimmen mehren, die jeden Abwehrkampf aufzugeben raten, da er zwecklos sei. „Nur dann würde ja der Kampf einen Sinn haben, wenn irgendwie Aussicht auf Erfolg bestünde, und nur wenn das Bewußtsein, dem ethischen Fortschritt zu dienen, ihn beflügelt, wird er mit wirklicher Kraft geführt werden können.'' In einer scharfsinnigen und glänzen¬ den Auseinandersetzung kommt der Verfasser zu dem Schluß: „Aus der Stärke und der Verbreitung einer Erscheinung folgt ebensowenig wie für ihren absoluten sittlichen Wert auch etwas für die Dauer. '. . Der Diebstahl und die Lüge sind fraglos nicht in der sittlichen Weltordnung begründet und nicht ihr immanenter Teil, der notwendig und ewig ist. . . . Wer aber in die Praxis schaut, wird wahrscheinlich feststellen können, daß Diebstahl und Lüge noch weit weniger ausrottbar erscheinen als der Antisemitis¬ mus. . .. Und wie der Jude von Religions wegen gegen Lug und Diebstahl und jede sonstige sittliche Ver- irrung auftritt, so muß er auch den Antisemitismus bekämpfen, weil er eben Jude ist. Kampf gegen Judenhaß, der nur eine Unterabteilung des Hasses gegen Gottes Geschöpfe ist, ist begriffbestimmendes Merkmal des Judeseins, das mehr als die Feststellung gemeinsamer Abstam¬ mung dem als Juden verbundenen Teil der Mensch¬ heit ethische Zukunftsaufgaben zur Lösung zuweist." Der Kampf aber muß geführt werden auf der Basis des Rechtes. „Das Wort Recht freilich ist nicht im engen juristischen Sinne zu fassen, als einen Gegensatz zur Moral darstellend und aus Verträgen sich herleitend", sondern in dem Sinne, daß es den innern Ausgleich menschlichen Sinnens und Tuns mit den Gesetzen göttlicher Sittenlehre erstrebt zum Zwecke des friedlichen Zusammenlebens der Mensch¬ heit. „Recht bedeutet so auch Sittlichkeit." „Das Recht in diesem weiten Sinne aufgefaßt ist schließlich auch identisch mit Kultur." „Die Judenheit hat die Pflicht, dem Vernichtungswillen einheitlichen Widerstand entgegenzusetzen, es kann kein positives Judentum, kein starkes, freies Judentum geben, das die Bekämpfung des Antisemitismus nicht als seine oberste Aufgabe betrachtet." ,,Der Kampf um die Gleichberechtigung ist im letzten Grunde eine jüdische Lebensnotwendigkeit." Die kleine Schrift Goldmanns behandelt das Problem mit einem erstaunlich reichen Rüstzeug von Gedanken und Wissen, nicht bloß als spezifisch jüdische Frage, sondern vom allgemeinen soziologi¬ schen und geschichtsphilosophischen Standpunkt, und gemäß den Gesetzen der allgemeinen Entwicklung des Völkerlebens. Mit kühler Sachlichkeit und ruhiger Objektivität wird die Erscheinung analysiert und begriffen. Die Untersuchung wirft Licht auf eine ganze Reihe von Erscheinungen des geschichtlichen Lebens und bietet einen überaus wichtigen Beitrag, um die jüdische Geschichte im Rahmen des gesamten weltgeschichtlichen Geschehens gesetzmäßig zu be¬ greifen ... |