Organ Oer $ereitttounfi für Oa* li^erafe 3u0entom e. 2$. Bezugspreis: Vierteljährlich 1,50 RM. zuzüglich Bestellgeld.' Einzelnummer 0,25 RM. Abonnements werden bei allen Postämtern angenommen. Anzeigen’nach TarlL — Bei Nichterscheinen In¬ trige Streiks oder höherer Gewalt besteht kein An¬ spruch aui NachUeierung oder Rückerstattung der entsprechenden Bezugsgebübren. Herausgeber: Hanns Loewenstein und Willi Tisch Verlag Schriitleitu!i<r: George Goctz Die „Jüdisch-liberale Zeitung“ erscheint am 1. und 15. jedes Monats. Redaktion und Geschäftsstelle: Berlin SW II; Hallesche Str. lj. F e r n r u I: F S, Bergmann 3358, 3359. Bankverbindung: Kr'edltverein lür Handel und Gewerbe e. G. m. b. H.. BerUn N 24. Postscheckkonto: Jüdisch-liberale Zeitung: Berlin 227 51. Vereinigung lür das liberale Judentum e. V.: - Berlin 1370 59. V Dl t VtrtlnhjWHj für dat Ubtrnlt Jtrdtahun Qbwnimmt nur für di*j«rvg«nAufritzt,dli autdrückUch aU la ihrtm Namta odtr ln ihnen Aofftvgt vrfaßt gtktnnztkhntt *Jod, dh Vtmfitvortaag. AtttandtnnArtlktl, AwJStmngta und Vonchldg* tr*dn/iHn unttr dtr Vtmafwortuag dtr Rtdoktha. Nr. 1 Berlin, 1. April 1933 13. Jahrgang Bin Jahr ist vergangen. ■ Von Hanns Loewenstein. E in Jahr ist vergangen, seitdem wir als Herausgeber der „Jüdisch-liberalen-Zeitung“ zeichnen. Es war ■ uns nicht beschieden, in einer ruhigen und friedfertigen Zeit mit unserer Aufbauarbeit zu beginnen, aber unser Optimismus und unsere Tatkraft sind durch nichts ge¬ schmälert worden. Hätte die „Jüdisch-liberale Zeitung“' nur die Mission, in diesen Tagen den deutschen Juden Mut einzuflößen; ihr Rückgrat zu stärken und ihr Selbst¬ bewußtsein zu heben, so wäre die Existenzberechtigung des Blattes mehr als genug erwiesen. Ueber den Nöten des Alltags- aber steht die gewaltige Idee des Judentums, und für sie hat unser Blatt an erster Stelle zu kämpfen und zu streiten. . ; Das liberale Judentum muß werben, von .sich und für sich sprechen gleich jeder anderen geistigen Be¬ wegung. Würde es seine Arbeit auf den Gedanken¬ austausch von Mund zu Mund, auf die Gewinnung neuer Anhänger durch Veranstaltungen und Vorträge be¬ schränken, würde es die Unterstützung durch die Presse ablehnen, so leistete es auf ein Hilfsmittel Ver¬ zicht, das hervorragend geeignet ist, die Idee des religiösen Liberalismus voranzutragen. Diese Einsicht hat vor Jahresfrist die Führerschaft des liberalen Juden¬ tums- bewogen, sich tatkräftig für die Neügründung der „Jüdisch-liberalen Zeitung“ einzusetzen, nachdem die „Vereinigung für das liberale Judentum“ unter dem Zwang der Verhältnisse davon Abstand nehmen mußte, das Blatt weiterhin im Selbstverlag erscheinen zu lassen. Es möge uns vergönnt sein, auszusprechen, daß r. ; wir allen denen, die es ung ermöglichten, an den Dank verpflichtet sind. . Die „Jüdisch-liberale Zeitung“ ist das offizielle Organ der ,,Vereinigung für’ das liberale Judentum“. Sie ist aber weit mehr, als diese amtliche Bezeichnung vermuten läßt. Dies Blatt ist Bannerträger des religiö¬ sen Liberalismus, Sprachrohr der jüdisch-liberalen •Führer und Wegweiser der nach neuen Formen Suchen¬ den. Es’ glüht für. seine Sache, will sich keineswegs damit begnügen, Religiöses zu erhalten, gedenkt viel¬ mehr, es kraftvoll auszubauen; und ist leidenschaftlich der Ueberzeugung hingegeben, daß es seinen Teil dazu beitragen muß, Juden und Judentum an eine freudigere - Zukunft glauben zu lassen: Die „Jüdisch-liberale Zeitung“ braucht ihre Ein¬ stellung zu Deutschland keiner Nachprüfung zu unter¬ ziehen. . Solange sie erscheint, ist sie ein Bindeglied zwischen Deutschtum und Judentum und stolz darauf, Bestandteil deutschen Kulturgutes zu sein. Wie jeder Nerv am deutschen Juden deutsch ist, ebenso ist jeder Buchstabe in der „Jüdisch-liberalen Zeitung“ . deutsch. -Das Wort „Hier stehe ich, - ich kann nicht anders“, stammt nicht -von einem Alenschen unseres Gläübens^difc;,Jüdisch-liberale Zeitung“ will es jedoch auf sich angewandt wissen. Aktuell, vielseitig und lebendig zu sein, das sind die Bestrebungen, auf' die wir unser Augenmerk richten. ■ Wer sich über religiöse Fragen orientieren, wer die Geschehnisse jüdischer Gemeindepolitik ausgezeichnet und bewertet sehen will, wer im jüdischen Feuilleton geistige Erholung sucht, soll die „Jüdisch-liberale Zei¬ tung“ zur Hand nehmen. Ist es einmal so weit gekom¬ men. daß dort, wo die „Jüdisch-liberale Zeitung“ fehlt, ein Stück Judentum vermißt wird, dann betrachten wir unser Ziel als erreicht. Wir wollen die Zeitung zu einem Sammelbecken gestalten, in dem alle lebendigen Ströme des Judentums aufgefangen und zu neuem An¬ trieb weiteroreleitet werden. Unser Blatt baut auf, legt Steinchen auf Steinchen und Stein auf Stein. . Es will nicht nur das Auge seiner Leser finden, sondern auch ihr Ohr. Deshalb hat es als erste aller religiösen und weltlichen Zeitungen Deutsch¬ lands eigene Abende veranstaltet, an denen jüdische Führer, jüdische Schriftsteller und andere'jildische Geistes¬ menschen zu Worte kommen, um für die Sache zu werben, die uns allen am Herzen liegt. Unsere Zeitung darf heute von sich sagen, daß sie über ihre Lesergemeinde hin¬ aus eine große Hörerschaft gewonnen hat, und das ■ wird ihr Ansporn sein, auch diesen Weg weiter zu gehen. Ein Jahr ist nichts im Geschehen der Dinge, aber jeder Tag dieses Jahres hat schwer gewogen. Wir aber, die .wir die Arbeit für und an der „Jüdisch-liberalen Zei¬ tung“ als unsere höchste Aufgabe betrachten, sehen un- • verzagt in die Zukunft. Deutschland wird leben und mit ihm das deutsche Judentum. Die vorliegende Rümmer wurde abgeschlossen am Mittwoch, 29. März, vormittags. ’ Gegen Idle Von der Pressestelle des „Centralvcrelns deutscher Staats¬ bürger jüdischen Glaubens“ geht uns mit der Bitte um Ver- öilentllchung die nachstehende Erklärung zu, die wir um so lieber zum Abdruck bringen, als-dle meisten religiös-liberalen Juden entweder Mitglieder des Centralvereins sind oder doch auf seinem Boden stehen, und als ferner „Vereinigung lür das liberale Judentum“ sowie Verlag und Redaktion der „Jüdisch-liberalen Zeitung“ sich vollinhaltlich zu dieser Erklärung bekennen. Gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Erklärung richten wir die-Aufforderung an jedermann: Tretet jeder Art von Greuelpropaganda entge¬ gen! Wehrt Euch gegen die Einmischung aller Ausländer — sie seien Juden oder nicht — in innerdeutsche Angelegen¬ heiten! . Die Erklärung bat folgenden Wortlaut: Der. Centralvereln deutscher Staatsbürger, lüdlschen Glau¬ bens, der die größte ; Organisation der 565 000..deutschen ^ i rt^ i twa a ww zu den Vorgängen der letzten Tage 'folgendes: >. Nach Mitteilungen deutscher Blätter werden .von verschieb denen ausländischen Zeitungen Meldungen verbreitet, etwa, daß regelmäßig verstümmelte Judenlelchen vor dem Eingang des jüdischen Friedhofes Berlln-Welßensee lägen, daß Jüdische Mädchen auf ölfentlicbeh Plätzen gewaltsam zusammengetrie¬ ben worden.seien, daß hunderte deutscher Juden in Genf ein¬ träfen. .von denen neun Zehntel, darunter zahlreiche Kinder, schwer! mißhandelt seien. Alle derartigen Behauptungen sind frei erfunden. Der Centralvereln stellt mit allem Nachdruck fest, daß das deutsche Judentum lür solche unverantwortlichen Entstellungen, die aufs schwerste zu verurteilen sind, nicht verantwortlich gemacht werden kann. ! Das deutsche Volk befindet sich seit Wochen In einem po¬ litischen Umschwung gewaltigen Ausmaßes. Hierbei Ist es zu politischen Racheakten und Ausschreitungen auch gegen Juden gekommen. Die Relchsregfcrung wie die Länderregierungen' haben sich mit Erfolg bemüht, möglichst schnell Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Der Befehl des Reichskanzlers, Einzelaktionen zu unterlassen, hat seine Wirkung getan. : Gewiß erfüllen uns gerade In letzter Zeit deutlich ’erkenn- - bare antisemitische Zielsetzungen auf - den verschiedensten WIrtschalts- und Lebensgebieten mit schwerer Sorge. Ihre. Bekämpfung sieht der Centralvereln nach wie vor als eine Innerdeutsche Angelegenheit an. Wir sind aber überzeugt, daß die' Gleichberechtigung der deutschen Juden, die sie sich In Krlezitmd. Frieden durch Hergabe von Blut und Gut auch lnneH|ci|^|rdIeri hajjti^lcht^wleder aufgehoben wird, und < Vater!) Aufstieg] i f 4-, .Taterlandes BP» “«* werdjjh'mltitbeltdn; können?. .Aehnjichd, d. h. dem Sinne nach gleiche Erklärungen haben der ..Verband nationaldeutscher Juden“, der „Reichsbund iü-_ discher Frontsoldaten“, die deutschen Rabbiner und andere jüdische iOreanisationcn veröffentlicht. „Der Heimat Die bayerischen Juden an General von Epp. Der Rat des Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemein¬ den hat in seiner Sitzung vom 26. März 1933 beschlossen, folgende Erklärung an den kommissarischen Ministerpräsiden¬ ten ln Bayern. Herrn General von Epp. abzugeben: Hochgeehrter Herr Ministerpräsident! Wir sind uns bewußt, daß die Einstellung breiter nationaler Kreise, von unrichtigen Vorstellungen geleitet, sich gegen uns richtet Wir als die öffentlich-rechtliche Vertretung der baye¬ rischen Juden halten es darum für notwendig. Ihnen, Herr Ministerpräsident, als dem Leiter des bayerischen Staates, fol¬ gendes darzulegen. Wir wenden uns gegen die Angriffe, die sich gegen die Juden ln Ihrer Gesamtheit richten und uns in unserer vater¬ ländischen Einstellung herabzuwürdigen suchen. Unsere Religion gebietet uns, Achtung und Ehrfurcht der Regierung.zu erweisen und dem Staate zu dienen. Wir wer¬ den diese religiöse Verpflichtung auch weiter mit vollem Herzen erfüllen. Verbunden sind wir, nicht nur staatsbürgerlich, son¬ dern t ei innerlich, dem bayerischen Boden, den wir als unsere Heimat lieben. Wir fühlen uns eins mit dem deutschen Volk, dessen Schicksal wir geteilt haben.' Auch jwir haben mit Stolz lür unser deutsches Vaterland gekämpft und ihm unser Blut geopfert; unsere Sehnsucht und Hoffnung und unermüdliche Arbeit gilt seinem Wiederaufstieg Wir glauben, daß Deutschlands Erneuerung eine so schwere und heilige Aufgabe Ist. daß sie die Mitarbeit aller Krälte er¬ fordert. die willens sind, .sich voll-elnzusetzen lür die Größe des Reiches. Darum gebietet es uns unsere vaterländische: Pflicht. Ihnen. Herr Ministerpräsident, von unserm Wunsch und festen Willen Kenntnis zu geben, dem großen Werk des deutschen Aufbaus zu dienen und zu unserem bescheidenen Teile mltguhelfen. die deutsche Zukunft In Ehren zu gestalten, as Präsidium des Verbandes: evmeyer. gez. Rabbiner Dr. Freudenthal. eile mltzuhi !Z. Dr. Iye-i Im Strudel der Ereignisse. K ein Zweifel, daß die .politischen und wirtschaftlichen Dinge im' Vordergrund allen Interesses stehen: und niemand wird so töricht, so verblendet sein, das heutige Gesche¬ hen als Tagespolitik oder Tagesereignisse zu bezeichnen —: es sind Umwälzungen von großer, weittragender Bedeutung, und wir Juden sehen uns mitten in den Strudel der Ereignisse hineingezogen. Da liegt es nahe, daß alle Aufmerksamkeit., aller Wille und alle Kraft auf die politische und wirtschaft¬ liche Wirklichkeit gesammelt sind; unverantwortlich ia auch würde es gehandelt sein, wollte nicht der Einzelne an sich und die Seinen, wollten nicht die Führer der Gemeinschaft an das Wohl der ihnen anvertrauten Gesamtheit denken. Die Erklärungen und Beschlüsse, die heute hier veröffentlicht werden, zeigen, daß unsere Führer, dje in ruhigeren Zeiten die Würde ihrer Aemter trugen, heute auch deren wahrlich nicht geringe Bürde auf sich nehmen. Es gibt wohl keinen Glaubensgenossen, der nicht den verantwortlichen Führern unserer jüdischen Gemeinschaft dankbar daiür ist. daß sie sich ihrer schweren Verantwortung bewußt und gewachsen i.n,i i U /lnr r 1 »r Hi» Frklarnnifen_ und ßc'Lülilü&se liest. erzeigen, und jeder, der die Erklärungen und Beschlüsse liest, wird neue Zuversicht gewinnen, daß auch wir Juden in einein künftigen]Deutschland unseren Platz haben, daß wir unsere eigenen Kräfte und die hohen Werte unserer jüdischen Re¬ ligion in | den Dienst der großen allgemeinen Aufbauarbeit stellen dürfen. Aher.ierade deshalb ist es notwendig, daß aucli diese Werte sei ist wieder in ihrer Bedeutung erkannt werden. Be¬ stellt docli eine nicht geringe Gefahr, daß wir uns in der Un¬ ruhe der / eit verlieren und die Arbeit an den geistigen Gütern vernachläisigen. Noch bis vor kurzem sah man überall eine Belebung des jüdischen'Gemeinschafts- und Geisteslebens, und wenn jetzt notgedrungen eine kurze Zeit der Unter¬ brechung eingetreten ist, so muß um so stärker die Forderung erhoben werden, daß diese Unterbrechung nicht für die Dauer sei. Mehr als je müssen wir uns auf die Geisteswerte des Judentums besinnen und darauf, was sie uns und'der Welt be¬ deuten. I.us muß in alsbald wieder zu veranstaltenden üe- meindealie iden. in Vereinsvcranstaltungen. in Wort und Schrift wieder zur Geltung kommen. Und auch in diesem Blatte darf eine kurze Betrachtung über das nicht fehlen, was uns der Wesensiuhalt unserer Bewegung ist und nach welchen Zielen wir ihegeti. Liberales Judentum —- das bedeutet: Besinnung aui den ewigen Geist des prophetischen Judentums; Durchdringung |