Ir. 83 / Jahrgang 40 I Statt• I & 16 ll 0 th»k iMöflChfn rT y ij c ו !Preis 25 Rpf« JÜDISCHE RUNDSCHAU 1 |duiflUlinf|V »Ug B4 ABnl|WT.nv^t«ag ו B«rUa W1S, aiaakHtrJI Ftmnil: Sunmel-Nr. |l Bi.mirck 3181/82,7165/70,7240/42. - Beiugaprei. «iiwchl. |B*«fel1g*ld ja Monat HM 2,-, je Vlerteliahr RM 5,75, bei Abholung RM 1,88 b*w. BRM 5,39. - Poatacheck-Konten der Vertrieb». Abteilung: Berlin 71573 (für Gr. Berlin), I Berlin 17392 (für da» übrige Reich). - Eradielnt ]*den DUn«t>g «ad Fraitag. BERLIN א׳ תמוז תרצ״ה DIENSTAG, 2. JULI 1935 AnxoIgoxiproiflUst• Nr. 2 gllltig. Die 12 gesp. mm-Zeilo 20 Rpf, für Familien- nechrichten 15 Rpf. Einrelanzeigen nur bei Vorauszahlung auf Postscheck ־ Konto Berlin 71618 oder bar Montag bis Donnerstag 9-18 Uhr, Freitag 9-16 Ul». Annahmeschluft für die Dienstag-Ausgabe Montag IO tJhr, für die Freitag- Ausgabe Mittwoch 13 Uhr (Für Familienanzeigen am Tag vor Erscheinen 12 Uhr.) |0er Zionismus erstrebt lOr bas jüdische Volk die Schaffung einer Öffentlich - rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina. (Baseler Programm) .%*׳< * J / , 99 Der Jude ist auch ein Mensch“ Ein Argument der Judenfreunde ,Während wir deutschen Juden nach der großen Erschütterung der letzten Jahre heute um eine neue Fundierung unseres Seins und um eine neue seelische Basis ringen, werden wir uns immer wieder bewußt, wie verschiedenartig der Ausgangspunkt ist, von dem man an die Betrachtung der Judenfrage herangehen kann. Jedes Zeitalter hat seine eigene Juden- frage, und je nach der vorherrschenden Philosophie Inder, Weltanschauung ist auch die Art und Weise der ;Betrachtung der Juden mannigfach. Die Juden-Emanzipation zu Beginn des 19. Jahr- hunderts war eine Frucht der Aufklärungsphilosophie, [die als höchstes Ideal die Humanität hinstcllte. Mit !diesem Gedanken, der seinen ekstatischen Höhepunkt n dem Schillcr-ßeethovenschcn Ausruf ״Alle Menschen !werden Brüder“ gefunden hat, ist die Judenfrage jn den Jletzten hundert Jahren historisch verbunden. Aber die ;Emanzipation hatte einen Januskopf. Einerseits eröffnete ie den Juden den Zutritt zu Europa, zu modernem Geist, ie beendete das jüdische Mittelalter mit seiner aus- schließlich religiös gebundenen Lebensform, sie ermög- ichte den Juden die Betätigung ihrer Begabung auf den erschiedensten Gebieten des Lebens. Andererseits aber at die Emanzipation von dem Judesein der Juden eine Kenntnis genommen. Sie glaubte, es handle sich nur darum, ״Menschen“, die zufällig Juden sind (wo- über man aber hinwegsehen kann), einzuordnen. Sie erkannte, daß psychologisch und soziologisch eine enschengruppe leiden muß, wenn man ihr die Ver- indung mit ihrer Vergangenheit künstlich abschneidet, ei einem einzelnen deklassierten Menschen mag es genügen, wenn man von ihm sagt, er sei eben ,,auch in Mensch“; bei einer Gemeinschaft ist es demütigend, denn es gibt zu erkennen, daß man das, was sie zur Gemeinschaft macht, gerade noch verzeiht. Da der Jude auch ein Mensch sei, könne man über sein Jude-Sein hinwegsehen. Es war ein Ausweichen. Diese Theorie führte die Juden dazu, ihr Judesein zu ver- stecken und ״nur Mensch“ sein zu wollen. Aber kraft solcher Toleranz allein kann keine Gemeinschaft leben! Am Ausgang des 19. Jahrhunderts, nachdem die westlichen Juden die Emanzipation und den Geist Europas aufgenommen hatten, entstand ein neues jii- dischcs Weitgefühl und eine neue Selbstbesin- nung, — freilich nur in einer kleinen jüdischen Minder- heit, die aber für die Zukunft richtunggebend war. Jene jüdische Gruppe erkannte blitzartig, daß es unmög- lieh sei, gestützt allein auf die Großmut derer, die sagen, der Jude sei auch ein Mensch, zu leben. Als damals die sogenannten Vereine ״zur Abwehr des Antisemitismus“ entstanden, schrieb schon im Jahre 1893, also min- destens zwei Jahre vor dem Entstehen seiner zionisti- sehen Konzeption, Theodor Herzl an einen Vertreter dieses Abwehrgedankens, Baron Leitenberger, einen Brief, worin er ungefähr sagte: ״Für die Art der Bekämpfung des Antisemitismus, die Sie betreiben, ist es zu spät. Auf eine Bewegung ant- wortet man, wenn man sie nicht unterdrücken kann, mit einer anderen Bewegung.“ Theodor Herzl wußte, als er diesen Brief (der in dem neuen 5• Band der Fierzischen Gesamtausgabe ver- öffcntlicht ist) schrieb, noch nicht, daß diese Gegen- bewegung der Z ionismus ist und daß er selbst ihr Schöpfer sein wird. Aber er wußte das eine: daß man nicht den Antisemitismus durch den bloßen Hinweis, der Jude sei auch ein Mensch, widerlegen könne. Der Jude ist nicht nur ein Mensch, sondern er ist ein Jude; und die Gesamtheit der Juden, das jüdische Volk, will sein Leben neu aufbauen. Dadurch muß der Jude es dahin bringen, daß niemand mehr sagen darf, ״der Jude sei auch ein Mensch“, genau so wie es nie- matidem ein fallet! wird zti sagen, der Lnglünder, der Deutsche, der Pole oder sonst irgendeiner sei ״auch ein Mensch“. Dem! daran zweifelt ja niemand. Die Judenfrage ist im heutigen Deutschland beson- ders aktuell, und es darf nicht verwundern, daß daher auch die Argumentationen wiederkehren, Herr I)r. üoeb- bels hat in seiner Rede als Gauleiter auf dem hofer Feld am letzten Sonnabend sich auch zur frage geäußert. Nach dem Bericht des ״Berliner blattes“ sagte er dabei u. a.: I empel- Juden• ״Tage• Knüpfe statt Augen, Gegenströmungen ungescheut breit Rettung und Erlösung Eine Ansprache Wexzmanns London, 2S. Juni. (JTA.) In Manchester wurde ie Aktion für die Pflanzung des König-Georg-Jubi- ä um waldes i» Palästina mit einem Bankett unter dem ״ mit. ׳ des Bürgermeisters Samuel Woolam eröffnet. Dr. aim Weizmann hielt eine Ansprache, in der er einen eherblick über die Entwicklung des jüdischen Nationallieims mier der Herrschaft König Georgs V. gab und die Rolle '• ׳ ' i'-tinas als Aulfangbecken für die neue Auswandcrungs- eile aus Mitteleuropa schilderte. Unter der Herrschaft König Georgs, erklärte Dr. Wciz- »ann, wurde die ßalfour-Deklaration erlassen und as Mandat, das Jüdische Nationalheim zu begründen, von ngland übernommen. Man hoffe, daß das Palästinawerk unter r Herrschaft des Königs auch zu Ende geführt werden ürde. Palästina sei klein und nicht reich an Naturschätzen, otzdem nehme es jetzt etwa 50(NX) Einwanderer, zum über- legenden Teil Juden samt ihren Familien, jährlich auf. Es labe keinen Grund, warum diese Arbeit nicht viele Jahre ang fortgesetzt werden sollte. Immer habe es zwei Typen von Einwanderern egeben: Solche, die jeder Neueinwanderung den Weg ver- Perrten, und solche, die anderen den Weg, ihnen nachzu- folgen, frei machten. Die Träger der Palästina-Arbeit hätten ährend der ersten Jahre ihrer Tätigkeit in Palästina das lück gehabt, jenen Einwanderertyp zu bekommen, dem d i e chaffung von Möglichkeiten für spätere inwandercr einziges Ziel war. So sei es zu erklären, faß die Einwanderung ständig an Umfang zunahm und daß " יי so mehr Niederlassungsmöglichkeiten entstanden, je mehr inwandercr ins Land kamen. Selbstverständlich habe auch ße besonders elastische Fassungskraft Palästinas eine Grenze, loch sei diese bei weitem noch nicht erreicht. In den seit der Errichtung einer geordneten Verwaltung erflossenen 15 Jahren, fuhr Dr. Weizmann fort, habe sieh Palästina zu einem Kulturland mit allen Errungenschaf- en der Zivilisation entwickelt. Das Land strotze von Leben u 1 d Kraft, es habe eine moderne Landwirtschaft, eine ent- vickelte Industrie, ein blühendes geistiges und kulturelles eben; es stehe schon heute auf eigenen Füßen und schicke ich an, binnen kurzer Zeit seinen Platz in der Gemeinschaft ler Nationen ein zu nehmen. ln den letzten 214 Jahren habe Palästina neben anderen «wanderen! etwa 27000 Juden aus Deutschland auf¬ genommen. Es habe sich die Aufgabe ergeben, u. a. sehr schnell eine neue Einwandercrkategorie zu absorbieren, bei der es sehr viele gab, die weder geistig noch physisch für das Leben vorbereitet waren, das den Einwanderer in einem Lande wie Palästina erwartet. Trotzdem wurden sie atifgcnominen und nach einer Erfahrung von 2(4 Jahren könne man fcststcllen, daß etwa 75 0 ״ dieser Neueinwanderer im Lande bleiben und im Gemeinwesen aufgehen werden. ״Glaubt denn einer, wir hätten um nicht zu sehen, wie sich gewisse in der Reichshauptstadt heute wieder zu machen versuchen? (Beifall.) Und wie bürgerliche Intellektuelle sich wiederum an- schicken, ihnen Hilfsbrüderschaft zu leisten mit den dum- men und albernen Phrasen, daß der Jude a u c h _e i n Mensch sei. Ja, er Ist es schon, aber was für einer! Mensch sein, das ist an sich noch gar nichts. Ja, ein Floh ist auch ein Tier, aber darum noch lange kein ange- nehmes Tier. Wir wollen den Juden nicht mehr! Er hat in der deutschen Volksgemeinschaft nichts mehr zu suche,״,! (Beifall und Händeklatschen.) Sie haben sich gefälligst den Gese tzen der Gast- freundschaft anzubequemen und nicht so aufzutreten, als wären sie unsersgleichen. Wir kennen auch seine Bun- desgenossen. Wenn er heute über den Weg über die Aus- landspresse versucht, uns kirrezumachen, so kennen wir das und darauf fallen wir nicht mehr herein. Wir haben zu lange mit den Juden der deutschen Presse Umgang gepflogen, als daß wir uns über ihre innere Beschaffen- heit noch irgendeinem Irrtum hingeben könnten.“ Was im ersten Teil der Bemerkung des Ministers angerührt ist, ist eine philosophische Frage, die über die Jahrtausende hinweg die Menschen beschäftigt. Das jüdische Volk hat in seinem religiösen Mythos die Vor- Stellung, daß der Mensch schlechthin im Eben bilde Gottes geschaffen wurde. Jede Religion sucht eine Antwort auf das Rätsel der Schöpfung; nach jü- dischcr Auffassung kommt Platz im Schöpfungsplan zu Rundschau“ Nr. 52 vom '28. Leider müsse er sagen, daß 25 ״!> vielleicht besser nicht spruch aus dem Midrasch: jedem Geschöpf sein vgl. den in der ״Jüdischen Juni abgcdruckten Merk- hätten kommen sollen. Sie seien ungeeignet. Im Vergleich mit anderen Kolonisationen sei diese Zahl nicht erheblich. Was jetzt in Palästina durchzuführen sei, bemerkte l)r. Weizmann, sei ein Doppeltes: Rettung und Erlösung. Dies seien zwei verschiedene Probleme, und man könne nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß diese schnelle Einwanderung nach Palästina ihre Gefahren und Probleme hatte. Das g-ehe aber nicht anders, man habe keine Wahl. Man habe dafür sorgen müssen, daß diese aus ihrer nor- malen Bahn geworfenen Menschen Aufnahme finden, damit sie nicht zugrunde gehen. Wir können, schloß Dr. Weizmann, nicht an den Toren Palästinas stehen und zu dem einen sagen, ״Du darfst herein“ und zu dem anderen ״Du darfst es nicht“. Wir müssen die Tore für jeden Juden, der e i n w a n d e r n will, offen halten, mag er nun als Zionist oder als bloßer Einwanderer kam- men, wobei wir darauf hoffen und vertrauen, daß die von uns aufgebaute Gemeinschaft bereits genug moralische Kraft besitzt, um auch diejenigen zu amalgamieren, die nicht von unserem hohen Ideal beseelt gekommen sind. Der ״Manchester Guardian“ widmet dein Besuch Dr. Weizmanris einen Artikel, in dem erklärt wird, der phanta- sievolle und dabei doch so außerordentlich praktische Plan, als Huldigung für den König anläßlich seines 25jährigen Re- gicrungsjubiläums die Höhen um Nazareth aufzuforsten, habe in Manchester keinen willkommeneren Fürsprecher finden können als I>r. Weizmann. Sein Besuch wecke die angenehme Erinnerung an die Zeit, in der Weizmann in Manchester lebte und an die große Rolle, die diese Stadt bei der Entstehung der zionistischen Bewegung spielte. Der Plan, zu dessen Be- fiirwortung Weizmann gekommen sei, gehe in seiner Bedeu- tung noch darüber hinaus, daß durch ihn ein bleibend« Denk- mal der Huldigung für die Regierungsepoche geschaffen wer- den soll, in der die Bewegung zur Schaffung eines jüdischen Nationalheims Gestalt gewann und zur Blüte kam. flii- M !icke CR ״beaXj Die ״Krone der Schöpfung“ aber ist der Mensch, und jedem Menschen steht nach jüdischer Lehre das Höchste offen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß jeder schon das Höchste erreicht lut• Im Gegenteil, gerade die rigorose jüdische Ethik weiß sehr gut von den Schwächen des Menschen. Die bedeutendsten Juden haben die Schattenseiten des jüdischen Menschen ge- geißelt, und wir heutigen sind weit entfernt davon, diese Schattenseiten zu verbergen. Wir haben selbst genug daran gelitten und leiden daran, und darum sind wir Zionisten geworden. Aber unabhängig von der Un- zulänglichkeit der Menschen ist für die jüdische Auf- fassung Meuschsein eine Verpflichtung, eine ewige Mahnung an die göttliche Aufgabe. Der Gedanke des Menschentums spielt auch in der christlichen Religion eine große Rolle. Und wenn gerade in der englischen Presse kürzlich, wie allenthalben be- richtet, zahlreiche Stimmen laut wurden, die einer Ver- ständigting mit Deutschland günstig waren, so wurde in solchen Briefen häufig von christlichen Persönlich- keiten, die über den Verdacht, sich von Juden bcein- flussen zu lassen, erhaben sind, dieser Gedanke der Menschlichkeit und der für alle, auch für Juden, gel- tenden Humanität ausgesprochen. Aber durch solche Hinweise liberaler Menschen und Völker ist die Judenfrage nicht erschöpft. Es ist nicht genug zu sagen, daß der Jude auch ein Mensch ist. Man muß schon erkennen, daß ein kom- pliziert es Problem vorliegt, das tiefe historische |