Seite 2. lende jüdische Bevölkerung dieser Gebiete furcht¬ barer Lurch Len Krieg getroffen worden ist als irgend eine andere Menschengruppe in Europa. Denn auch innerhalb der Bevölkerung dieser Zwei Länder selbst haben, die Juden weitaus mehr zu leiden als die Nichtjudenund auch dies ist eine Folge unseres eigentümlichen Schicksals, Las uns Überall in der Welt dazu verurteilt, Händler zu sein. Wahrend der Koke, Russe, Ruthene in Polen und Galizien, der meist entweder.Großgrundbe¬ scher oder Bauer ist, durch den Krieg wohl seines diesjährigen Erwerbes, in vielen Fällen auch- seiner Wohnstätte beraubt worden ist, den Kern seines Vermögens und seiner wirtschaftlichen Existenz aber, seinen Grund und Boden, behält, bedeutet der Kampf für den die Städte bewohnenden jüdi¬ schem Handwerker oder Händler zumeist den.Ruin seiner gesamten ökonomischen Position. Tausende und Weitausende Juden sind in diesen Monaten zu beschlosen, obdachlosen Bettlern geworden, dar¬ unter auch viele, ja die meisten, die vorher ihr sicheres .Auskommen gehabt haben. Man muß Nur eine der jüdischen Zeitungen Amerikas ausWagen Wd darin die vielen Briefe jüdischer Flüchtlinge aus Polen oder Galizien an ihre Verwandten in Awerika lesen, um die unbeschreibliche Menge von Elend und Not, von Jammer und Schmerz zu ahnen, die der Krieg Wer unsere Unglücklichen Brüder gebracht hat, von allen.Brutalitäten und barbarischen Grausamkeiten, die sie — in Galizien besonders — von Seiten der russischen Soldaten hckben erdulden müssen und die an Umfang und Barbarei selbst viele Pogrome übertreffen, ganz zu schweigen. Man muß schon sehr weit in der Geschichte unseres Volkes zurückgehen, uml Kata¬ strophen ähnlicher Art — weM auch bei weitem nicht gleichen Umfangs —, wie sie jetzt über die Juden Polens' und Gchiziens hereingebrpchen sind/ zu finden. Es ist nur selbstverständlich, .Latz, diese Katastrophe nicht eine Kalamität ist, die mit der Beendigung des Krieges von selbst verschwinden wird, sondern daß durch sie ein .außerordentlich großes und schweres Problem geschaffen wird, das unserem! Volke nach dem Kriege noch manche Sor¬ gen bereiten wird.' Durch die 'Vernichtung tausen¬ der jüdischer Existenzen im! Osten entsteht eine neue partikulare Zudenfrage, und wird die all¬ gemeine Jndenfrage um' ein bedeutende verschärft und erschwert. Denn darüber muß, man sich schon jetzt im Laren sein: -es wird 'nach! dem Kriege schlechterdings unmöglich sein, all diese jetzt vernichteten Existenzen in Polen und Galizien selbst wieder aufzubäuen; wer die Verhältnisse, wer die Lage der Juden in diesen Ländern kennt, weist daß diese Hoffnung nichtig und illusvrssch ist. Der schier unerträgliche Druck, der schon bisher dort auf den Juden gelastet hat und sie zu einem Da¬ seinskämpfe zwang, wie er schärfer und mühevoller wohl nirgends in der.Welt gekämpft wird, der unausrottbare Judenhaß, der Polen, der nach dem Kriege eher steigen als sinken wird, die ökonomi¬ sche Rückständigkett dieser Gebiete — besonders GM- ziens — all dies und noch, viele andere Momente lassen es jedem Einsichügen unmöglich! erscheinen, für all die vielen durch! den Krieg gebrochener jüdischen Existenzen in diesen Ländern selbst an eine Wiederaufrichtung zu denken. So wird denn also unmittelbar nach dem Kriege wieder eine große jüdische Wassenemiigrativn einsetzest die .aber von dem gleichen Prozesse, wie er vor einem Jahrzehnte vor sich, gegangen' ist, dadurch grundlegend unterschieden ist, daß, dantals viele Einwanderungsländer den Emigranten offen stan¬ den, heute aber noch! kaum! welche. Amerika, Eng¬ land, die wichtigsten der jüdischen JMmigrattons- gebiete, haben beretts sett Jahren ihre 'Tora ge¬ schlossen, und wie wenig zu hoffen ist, daß, nach deM Kriege etwa eine Oefsirung der Pforten dieser Länder erfolgen wird, zeigt beispielsweise die Tat¬ sache, daß der Kongreß der amerikanischen Ge- weckschasten sich; schon beeilt hat, die Regierung austufordern, die Tore vor der nach dem Kriege zu erwartenden Emigration — gemeint ist natür¬ lich die jüdische zu schließen. An eine MaffeB- emiigration nach Amerika ist also nicht zu denken, die Tausende zertrümmerter jüdischer Existenzen in Polen und Galizien selbst wieder aufzubauäi, ist ebenso wenig Möglich- damit erhebt sich das erste ' .große, furchtbare Problem, das dieser Krieg für Acankfurter Israelitisches FaMilienblatt. uns Juden bereits geschaffen hat, erhebt sich: die bange Frage: Wohin mit diesen Tausenden un¬ glücklicher polnischer, russischer und galizischer Juden? Ein folgender Artikel soll versuchen, Antwort auf diese ,Frage zu geben. Eine Unterredung mit dem Chacham Baschi der. Türkei. „Pesti Hirlap" bringt am . 20. Dezember eine UnterredMg, die sein türkischer Kriegskorrespon¬ dent Eugen.Heltai mit dem Chacham Baschi Ehajim Nach um in Konstantinopel hatte. Der Chacham Baschi äußerte wörtlich: „Wir Juden sind vor alleM.Juden. In der Türkei bestehen wir nicht nur als Konfession, son¬ dern auch als Nation. Der Chacham Baschi ist nicht nur das religiöse, sondern auch! das poli¬ tische Haupt dieser Nationalität. In wichtigen Fragen wird er oft ebenso wie der griechische oder armenische Patriarch vom Großvezier oder von den Ministern zu Rate gezogen. Ich wiederhole: wir sind vor allem Juden; dabei aber mit Leib und Seele Türken. Wir stehen den Türken vor allen anderen Nationalitäten am nächsten!; und dies .sowohl durch unsere konfessio¬ nelle Und Rassenverwandtschast wie auch durch unser Gefühl. Wir leben mit unseren nmselinänni- schen Brüdern in guteM Einvernehmen. Wir tKle'n von Herzen ihre Leiden und Freuden. Beim Aus¬ bruch des Krieges telegraphierte ich nach allen Seiten des Reiches, daß unsere Brüder für den Sieg der türkischen Waffen beten und jedes Opfer für den Schutz des Vaterlandes bringen sollen. Etwas anderes konnte ich nicht tun. Wir ver¬ treten da den religiösen Standpunkt. Mit unseren bescheidenen Mitteln unterstützen wir die Türkei und glauben an ihren Sieg." Auf die Frage, ob der. Krieg bei den Juden populär sei, antwortete er: ^,Der denkbar po¬ pulärste. Und das ist selbstverständlich, wird doch dabei Rußland angegriffen; jenes Rußland, wo das '.Los unserer jüdischen Brüher das denkbar trostloseste ist" „Hat das türkische Reich; viele russisch-jüdi¬ sche Emigranten?" „Gewiß! besonders Palästina, wo 25,000 bis 30,000 russische Inden leben. Dieser Tage erhielt ich eben die Erlaubnis, diese in den türkischen Staatsverbaird aufzunehmen. 5000 sind bereits naturalisiert. CharaLeristisch für die türkische Tole¬ ranz ist der Umstand- daß es mir auf Grund dieser Aktion gelungen ist, den sogen. „Roten Zettel" ab zu sch affen. Diesen Passierschein erhielten die emigrierenden fremden (russisch¬ rumänischen) Juden und dursten sich rechtlich nur drei Monate lang in Palästina aufhalten. Dieser, von Abdul Hamid seit 20 Jahren .eingeführte be¬ schämende Umstand — hört nun auf." Die wetteren Aeußerungen Chajim Nachums über Ursache, Wirkung und Dauer des 'Krieges besitzen weniger Wichtigkett; sie haben mehr Inter¬ esse für den allgemeinen Tagespolitiker. 'Ich lasse, sie darum unerwähnt. Sein Bekenntnis zum jüdischen Nationalismus, die Bedeutung der Ab¬ schaffung des Roten Zettels sind wichtig ge¬ nug, um der breiten jüdischen Oeffentlichkeit nicht vorenthalten zu werden. H. A. Hugo Zuckermauu. Bor etwa- einem Jahre erschien ein einfaches Leines Liedchen, — und heute ist dieses Liedchen, bereits bon nicht weniger als sieben Komponisten vertont, ja ist beretts in den Bolksliederschatz des deutschen Volkes einverleibt worden.. Hören wir dieses Lied .in .seiner klassischen Einfachhett, Schlichtheit und.Tiefe: Drüben am Wiesenrand Hocken zwei Dohlen. — Fall' ich: am Donaustrand? Sterb' ich in'Polen? Eh' sie meine Seele holen. Kämpf' ich als Reitersmann. Drüben' am Ackerrain Schreien zwei Raben. — Wert»' ich der erste sein. Den sie begraben? 8tactt- Univ.-Bibl. Frankfurt am Main Nr. 1. Was ist dabei? Biel hunderttausend trabe» In Oesterreichs Reiterei. Drüben im Abendrot Fliegen zwei Krähen. — Wann kommt der Schnitter Tod, Um uns zn mähen? Es ist nicht schab'! Seh' ich nur unsere Fahnen lochen Ans Belgerad! Generalleutnant Dr. v. Dickhuth-Harrach wünschte in einem Briefe „dem sehr verehrten Kameraden" neben „dem Lorbeer des Dichters" auch den „Siegerkranz", wenn Gott „ihn gnädig wieder hcimsührt", — doch Gott hatte es anders beschlossen, — und der Dichter, Dr. Hugo Zucker- Mann, weilt nicht Mehr unter uns. So schmerzlich der Verlust eines echten Dich¬ ters und reinen, hochgesinnten Menschens für die Menschheit als .solche ist, — für Uns als Juden ist der Verlust noch uM vieles größer. Denn Hugo Zuckermann war einer jener jungen Inden, deren Seele ihr Judentum wieder sucht und deren Deh¬ nen sich verbunden fühlt mit dem.Wohl und Wehe ihres angestammten Volkes. Er gehörte deshalb auch voll und ganz; zjn jener Bewegung, die als Gegenströmung zur .Anpassung an unsere Um¬ gebung die jüdische Eigenart zu ihrem! Streben gemacht hat, ein Streben, das nur im' Lande der jüdischen Vergangenheit zur .zukunftsverheißenden Verwirklichung werden kann. Ein jüdischer Dichter war Hugo Zuckermann, das jüdische Volk hat ihn verloren. Aus aller Welt. Deutsches Reich. Gelnhausen. Für die Steuerperiode 1915/17 ist hier zum ersten Male die ■ Israelit. Kultussteucr aus Grundlage der staatlichen Einkommen- und Ergänz- ' nngssteuer aufgebaut und damit dem seit einem Jahr¬ hundert geübten ungenauen Einschätzungsverfahren ein Ende gemacht worden. Widerspruch gegen unrichtige Veranlagung war bei dem durch das kurhessische, noch heute gültige Gesetz vorgeschriebenen umständlichen Apparate: Versammlung der sämtlichen Kommissionen des Kreises vor dein König!. Landratsamte und Abstimmung über die Höhe der Ver¬ anlagung, fast unmöglich; in jedem Falle mich ge¬ wagt, weil bei Verwerfung der Berufung den sämtlichen erschienenen Schätzern und Aeltesten des Kreises die Reisediäten seitens der Beschwerdeführer zu vergüten waren. Besonders ist es zu begrüßen, daß fortan die gemeinschaftlichen Lasten (die nach Hanau zu überfiihren- den Provinziallasten) eine gleichmäßige, einheitliche Re¬ gelung erfahren. Die seitherige, mwerhältnismäßig hohe Heranziehung einzelner Gemeinden wird hierdurch end¬ gültig beseitigt. Die Erreichung dieser langersehnten Fortschritte ge¬ lang nur durch eine anhaltende zielbewußte Bewegung, die von der Gemeinde Gelnhausen ihren Ausgang neh¬ mend, dank der warmen Unterstützung des vorigen Land¬ tagsabgeordneten Pfarrer Mehenschein und seines Stach- folgers Amtsgerichtsrats Hengsberger, die Aufmerksamkeit der Regierung auf seitherige. Unvollkommenheiten lenkte. Wenn deren Beseitigung vorerst auch nur auf dem Verwaltungswege erfolgt, so dürfte die landesgesetzliche Sanktionierung gewiß in absehbarer Zeit cintreten. . Wenn gleichzeitig auch die letzte der von den Ge¬ meinden Kurhessens crsttebte Forderung: „Wahl ihrer Shnagogen-Aeltesten" in das Gesetz ausgenommen wird, so ist eine Beruhigung der Gemeinde-Angehörigen die unmittelbare Folge. Wenn auch, dem Bernehmen nach, neuerdings als Kompromiß eine Weisung Zergangen sei, daß die Gemeinden einige Kandidaten für die Neube¬ setzung in Vorschlag zu bringen, berechtigt sind, so darf doch das eigenttich selbstverständliche Recht dieser Gemeinden, ihre Vertteter selbst zu wählen, nicht länger vorenthalten werden. Palästina. Infolge, der tiesttaurigen Zustände, die im heiligen Lande schon seit' Monaten herrschen und sich durch den Kriegszustand der Türkei noch' bedeutend verschlim¬ mert haben, wird 'auch die Augcnheil-Anstalt des Lemaan Zion noch mehr als sonst von Hilfesuchenden bestürmt: Ist sie doch z. Zt. die einzige derarttge Klinik, die geöffnet ist, denn selbst das englische Hospttal ist seit einigen Monaten geschlossen. An einzelnen Tagen stteg die Inanspruchnahme bis zu der fast unglaublichen Höhe von 900 Personen. Die finanzielle Lage des Vereins Lemaan Zion ist unter diesen Umständen natürlich sehr ungünstig. Es fehlen die Mittel, den täglich wachsenden Ansprüchen auch nur annähernd nachzukommen, und oft müssen sctzveren Herzens dringende Fälle abgewiesen werben. Alle Freunde des heiligen Landes mögen es als ihre Ehrenpflicht bettachten, selber zu spenden "und in ihrem Bekanntenkreise Spenden zu |