Seite 2. Frankfurter Israelitisches Familienblatt. Nr. 35 [•Kitt Bl Kltflffii gegenüber dem General-Anzeiger Vornehmstes Familien-Kaffee -Struktur gar kein Schriftsteller. Denn Schriftsteller nenne ich nicht denjckligen, der schreiben kann, sondern jenen, der schreiben muß, dem das Schrei¬ ben Notwendigkeit ist, um sich von Ideen, Empfin¬ dungen, Erlebnissen zu befreien, die ihK Überwäl¬ tigen und niederzuwerfen drohen, der auf d as Leben so durch das Schreiben reagiert, wie der Künstler durch seine Kunst, der Tatenmensch durch seine Tat, dem also das Schreiben als sol¬ ches BeLürfnis ist, ungeachtet aller kide, die er da¬ mit verfolgt, dem das Schreiben Selbstzweck ist. Für Achad-Haam, glaube ich, ist das Schreiben nie Selbstzweck gewesen. Dies beweist schon die Art, wie er Schriftsteller wurde. Sehr spät erst, und auch da nur widerwillig, gestoßen, gezwungen von Freun¬ den. Und so ist er geblieben. Er schrieb stets nur mit eines bestimmten Zweckes willen, nm eine be¬ stimmte Wirkmrg zu erzielen; schrieb stets — von ganz wenigen kleinen Arbeite!« abgesehen — nur, um zu einer bestimmten, die Oeffentlichkeit stark be- rvegenden Frage Stellung zu nehmen; hatte er seine Ansicht ausgesprochen, dann war er zufrieden und verstumnrte, bis wieder eine wichtige Frage auf¬ tauchte. Wer Schreiben aus der großen, berauschen¬ den Lust am Schreiben heraus, aus dem tiefen künstlerischen Drang heraus, sich im Schreiben sein objektivstes Gegenbild zu schaffen, sich zu vergegen- bUdlichen, das hat er nie getan. Wie ihm aller Rausch und alle Ekstase wesensfremd ist, so auch diese Form künstlerischen Rausches. Es steckt nichts von einem Künstler in ihm, das Wort zur KeiM zeichnung eines psychologischen Typus, nicht zur Bewertung seiner Fähigkeit gebraucht; er hat nichts von der Ausgelöstheit, von dem Ueberschwange, von der Selbstvergcssenheit eines Künstlers. Er ist stets konzentriert, stets maßvoll, stets voller Zucht und Selbstbewußtscin, stets voller Haltung und Würde. Haltung und Würde! Es ist dies eine andere bestimmende Eigenart seines Wesens, und im ge¬ wissen Sinne für die vorangedeuteten Voraussetzuikkg und Erklärung. Vielleicht kein Zug sticht an ihm so stark und ausfallend hervor wie sein Würdebe¬ wußtsein. Ob man mit chm' int Kaffee sitzt oder ihtr auf der Tribüne sieht, ob,.er im Freundeskreise spricht oder in einem Aufsatz seine Meinung äußert, er ist überall der auf seine Haltuttg bedachte, seine Würde ängstlich wahrende, stets ein wenig unnahbare, abkühlendc, zurückhaltende, stolze und einsame Mensch, als den chn alle, die ihn irgend¬ wie kennen, enrpfinven. Es ist dieser Wcsenszug nur. die Ergänzung, die seelische Wiederspiegelung jener anderen, vor¬ hin erwähnten Eigenarten. Die restlose Geschlossen¬ heit und Ausgereiftheit seines Wesens erfordert diesen Stolz als chren psychologischen Niederschlag, und seine unkünstlerische Natur, die ihm alles Bedürfnis zur Entladung, zur Beichte, zur Selbst¬ reinigung — diesen stärksten Drang des künstleri¬ schen Menschen — fremd sein läßt, hat wiederum in diesem Stolz und Würdegefühl seinen Grund; denn wie könnte der, dessen leitendes Gefühl der Stolz ist, beichten, wo doch in aller Beichte so viel Selbstentwürdigung, in jedem Bekenntnis so viel an Entblößung, ja Schamlosigkeit liegt? Der ewig Stolze ist der ewig verhaltene, verschlossene Mensch, — cs ist dies seine Größe und seine Sünde, sein Ruhm und seine Qual, sein Lohn und seine Strafe. (Schluß folgt.) Attentat aus die jüdische Kvltttr i« Warschau. . L , Die wichtigste Errungenschaft, die die polnische Juden- heit nach der Aenderung der politischen Verhältnisse erworben hatte, war die- Freiheit chrer nationalen Kul- tnr, welche sich u. a. in der jüdischen Schule und im indischen Theater verkörperte. Wie bekannt, erließ die deutsche Behörde eine Verordnung, wonach in den jüdischen Schulen Pie jüdische Sprache zugleich mit der deutschen und polnischer zugelassen ist. In Lodz hat sie sogar der Stadtverwaltung vorgeschrieben, eine entsprechende Anzahl vonSchnlen mit jüdi¬ sch er .Bo rtr agsspra ch e au s ö f f e nt lich e n Mit - teln zu errichten. In Warschau ist vorläufig die Schulsrage'dem guten Willen der Bevölkerung überlassen, — und da muß festgestellt werden, Paß die polnischen leitenden ' Kreise die „Verpolnischiung der städtischen Kultur" be¬ harrlich betreiben. Im.Haushaltsplan der Stadt für das Jahr 1916, der für Bilduugszw ecke zwei Millionen Rbl. vvrsieht, ist für jüdische Schulen .nicht ein Pfennig bestimmt. Hingegen steht in den E i n k ü n f - ten ein Betrag von 32,626 Ml. von der -Jüdischen Gemeinde zur Erhaltung der jüdischen Schulen. Die Stadt hält nämlich eine kleine Zahl pvlonisatorischer Schulen aus, und für diese läßt sic sich von den Juden besonders zahlen. Optimisten aus den Reihen der Assimilanten erzählen, daß die Stadt diese Summe, die den russischen staatlichen Grundgesetzen entspricht, von der jüdischen Gemeinde nicht erheben, vielmehr noch etwas den Juden zahlen werde. Wie dem auch! sei, es , ist an sich charakteristisch, daß zur Zeit, - da die Polen für sich Unabhängigkeit fordern — was doch -natür¬ lich den russischen staatlichen Grundgesetzen noch mehr widerspricht — sie in bezüg auf die Juden administra¬ tive Vorschriften anordnen. die sogar zu den russischen Gesetzen im Gegensatz stehen. Wer auch diese polonisa- torischen Schulen erteilen Bildung nur ungefähr 3600 jüdischen Kindern, während in den christlichen Schulen ca. 30 000 polnische. Kinder kostenlosen Unterricht ge¬ nießen, — eine Prozentnorm, die die echt russischen Leute beneiden könnten. Jetzt will nun die neue Stadtverwaltung das Schulwesen reformieren und die Zahl der Schu¬ len vermehren. Die polnische Schulsektion hat zn die¬ sem Zweck einen Ausruf an „die Mtern" veröffent¬ licht, — aber lediglich in polnischer Sprache. In einem Lande, wo 98Ve"/o der Judenheit nur jiddisch spricht, ist es selbstverständlich daß das Gros der Warschauer Judenschaft den Aufruf garmcht verstanden hat. Hat doch die deutsche Zivilverwaltung, als' sie sich an die jüdische Bevölkerung in Angelegenheit der Beobachtung der Hygiene getvandt hat, einen Ausruf in guter jüdi¬ scher Sprache, erlassen. Es handelt sich übrigens nicht nur um die Sprache. Man hat die Juden überhaupt nicht aufgeklärt, was für Schulen geplant sind, und ob sie den einfachsten jüdischen Erfordernissen entsprechen werden. Ein Mit¬ arbeiter des „Warschauer Tageblattes" erfuhr .vvu der Schulsektion, daß das Programm für die Schulen in Bezug auf die Juden noch nicht «usgearbeitet ist. Daß die Unterrichtssprache polnisch sein wird, ist natürlich selbstverständlich. Es ist nur noch nicht be¬ kannt, in welcher Sprache man, die Religion vortragen wird, die auf Grund der deutschen Schulbepimmuiigen verpflichtend ist. Wer nur einigermaßen die jüdischen Massen kcitnt, der wird leicht verstehen, daß ein der¬ artiges Verhalten darauf hinzielt, sie zurückzuschrecken: — ganz abgesehen davon, daß die jStadt verpflichtet ist, nicht nur den religiösen Bedürfnissen und den Gepflogenheiten, sondern auch den nationalen Stre¬ bungen der Judenschaft Rechnung zu tragen. Wer dies nicht allein. Von den 16 Stellen zur Einschreibung der Kinder gab es in den jüdischen Stadt- . teilen nur 3, u>id nur in zweien waren Juden, ials Einschreiber tätig. Ws oportunistischen Gründen hat eine jüdische Zeitung .(der Haintf den Jttden angeraten, sich jedenfalls vorläufig einzuschreiben, und da hat sich die wahre Wficht der polnifchen Schulsektion offenbart. Als die Zahl der eingeschriebenen Juden bis zn 1500 ge¬ langt war, verfügte man, die weitere Einschreibung der jüdischen Kinder einzustellen: hingegen, hat man pol¬ nische Kinder auch fernerhin notiert. Vor der Welt wird natürlich die polnische Stadtverwaltung .sagen, sic habe den Juden gegenüber die besten kulturträgerischen Absichten gehabt, doch die stockfinstere jüdische Masse und ihre fanatischen nationalistischen Anführer vereitelten alle schönen Benrühungen. II. i Der zweite überaus wichtige kulturelle Faktor ist das jüdische Volkstheater. Zu der Russecheit war das jüdische Theater jahrelang verboten. Rur nach großen Bemühungen ist es 'den Juden gelungen, ein jüdisches. Theater unter dem Namen „Deutsches Theater" zu gründen. Nach Ausbruch des Krieges wurde das angebliche „deutsche" Theater erst recht verboten. Als die deutschen Gruppen Warschau besetzten, stellten sie zugleich mit den jüdischen Zeitungen auch das „Jüdische Volkstheater" wieder her. Jetzt bestehen in Warschau außer einigen Kino-Varietöes drei ziemlich große Mische Theater, die aus achtungswerter Höhe der Kunst stehen. Nicht nur die Mischen Massen-und die national-jüdische Intelligenz besuchen diese Theater; der Reihe der Zuschauer gehören auch manchmal deutsche Militärpersonen an, die in einem ftemden Lande Vor¬ führungen in verständlicher Sprache und für einen billi¬ gen Preis beiwohnen können. Die hiesige „Deutsche Warschauer Zeitung" verfolgt mit lobenswürdiger Äuf- merftamkeit die Aufführungen und gibt ständige Bericht¬ erstattungen. Plötzlich fiel der polnischen Stadtverwaltung ein, die Theater mit einer unerhört großen Steuer von 15°/o der Brutto-Einkünfte zu belegen. Unten den Theater-Unternehmern brache ein Skandal aus. Die polnischen Unternehmer erklärten, man möge ihre Theater mit'Gewal-t schließen, denn eine derart hohe Steuer würde sie zum Bankrott treiben. Dabei befinden sich die polnischen Theater in einem weitaus' besseren Zu¬ stand als die jüdischen; sie hüben reichere Zuschauer, bestehen seit einer viel längeren Zeit, und drei von ihnen erhalten von der Stadt kostenlos Gebäude und Dekorationen, sowie auch! etwaige Unterstützungen! in direkter und indirekter Form. Die jüdischen Theater dagegen siird auf sich selbst bezw. auf die ärntsten Klassen angewiesen. Dennoch hat" ntan mih ,de>t pol¬ nischen Unternehnmngen die Sache so geregelt, daß mau wohl die Steuer in Kraft ließ, aber einen bedeutenden Teil derselben ihnen,gls ständige Unterstützung aus den Stadtmitteln bestimmte. Anders gesagt; die Stadtkasse wird von den polnischen Theatern in v'i n e Tasche Steuer nehmen, und aus der anderen ihnen den. größten Teil derselben zurückzahlen. Für die jüdischen Theater hat man aber die 15 »a Steuer bestehen lassen ohne jegliche Zurückzahlung. Ihre Reflamation bleibt vorläufig unberücksichtigt, und den Eigentümern winkt die traurige Aussicht, die Theater zu schließen. Vierhundert jüdische Familie» werden brotlos werden, und'ein wichtiger Hort der jüdischen Kultur wird in Ver- sallgehen. Böse Zungen sagen, die ganze Steuer-Affaire sei eine Komödie mit dem Zweck, der jüdischen Theaters loszu¬ werden. Denn eine öffentliche Bühne niit dem verhaßten „Jargon", welche dazu die Deutschen noch loben, war schon lange den polnischen Chaiwinistcn ein Dorn iin Auge. Was bleibt den Nationaljuden zu tun? Im Stadt¬ rat zu intervellieren? Wer, nachdem man den Jttden die Hälfte ihrer Mandate im Namen „des Friedens und der Einheit genommen hat, hörte inan auf, mit ihnen zu rechnen. Uebrigens ist es sehr fraglich, ob -die „Ver¬ einigten Ratsmänner" in diesem Falle zur Verteidigung der jüdischen Rechte eintreten würden. Eine jüdische Schule und ein jüdisches Theater, — das ist ja „fanatischer Ueber- Nationalismus". Etwas anders ist eine polnische Schule und ein Polnisches Theatet in . . . Posen, — das -sind ge¬ sunder Patriotismus und gerechte nationale Forderungen.. Und an die öffentliche Meinung der Kulturwelt zu appeflieren? Das hieße wieder, um „fremde Einmischung" in „interne polnische Angelegenheiten" zu rufeil. Auf internationale Politik haben aber nur die Polen das Monopol. Warschau, den 2. September 1916. Beobachter. Jüdischer Natiorralfouds. Die Spenden ei ngän ge während des .Monats August beliefen sich auf M. 8 4,184.—. Dieser Be¬ trag verteilt sich auf nachstehende Länder: Nordamerika M. 25,921, Oesterreich M. 23,670 (davon aus den be- setzten Gebieten M. 2196), Deutschland (incl. besetzte Ge¬ biete) M. 9048, Argentinien M. 7706, Ungarn M. 2886, Holland M. 2613, England M. 2414, Bulgarien M. 2342, Rumänien M. 1956, Südafrika M. 826, Britisch Indien M. 816, Südslavische Länder M. 758, Portugal M. 750 China M. 722, Ncu-Seeland M. 419, Aegypten M. 382, Belgien M. 366, Rußland M. 324 und Italien M. 265. In der bei Holland verzeichneten Summe ist die erste Rate der Einkünfte vom „Feldzüge" des Niederlän- discheit Zionistenbundes inbegriffen. In den Tagen vom 20. bis 25. August haben Gruppen von Propagandisten, insbesondere Studenten.und junge Kanfleute, die verschie¬ denen Provinzen der Niederlande bereist und fast in -allen Städten mit jüdischer Bevölkerung zionistische Versamm¬ lungen abgehalten, nachdem vorher die Belvohner des Ortes durch Hausbesuch der Feldzugsteilnehmer dazu eingeladen worden waren. Die anläßlich dieser Veranstaltungen her¬ ausgegebene Feldzugs nummer des „Joodschen Wächter" wurde in einer Auflage von 20.000 Exemplare» in aflen jüdischen Kreisen verbreitet. Das ideelle und materielle Ergebnis des Feldzttges ist recht beftiedigend. Eine Reihe neuer Mitglieder wurdeit gewonnen, und die gesammelten Spenden erreichten nahezu 5000 Mark, wo¬ von der größte Teil fiir den Genossenfchaftsfonds bcstinimt ist. Der Krieg ««d die Jude«. Frankfurt a. SR. Karl Scheidt, Feldlazarett- Inspektor, Inhaber des eisernen Kreuzes, erhielt das hessische Militärsanitätskreuz am Bande der Tapferkeitsmedaille und Gefteiter Albert David, Sohn von Hermann Dajvid, Rappftr. 11, das Eiserne Kreuz. Frankfurt a. M. Erich Falk, Auslandsreisender der Firma Goldschmidt &■ Loewinger, wurde zum Feld- webel-Leutnant und Ofsizierstellvertreter 'Ad. Levi wurde zum Leutnant befördert. — Vizewacht- meisttzr Eisenkraemer erhielt W Eiserne Klreuz. Schierftein a Rh. Bizefeldwebel und Inh. des Eisernen Kreuzes Otto Kahn, Sohn des.Gemeindeverordneten und Vorstehers der iss. Gemeinde Daniel Kahn, Inhaber der Firma Gebrüder Kahrt, ist zum preußischen Offizier befördert worden. Neuwied Leutnant Karl Aron und Unterarzt Rudolf Aron, Söhne des .Sanitätsrats Dv. Aron, erhielten das Eiserne Kreuz. Erfurt. Leopold Rosenstein erhielt das Eiserne Kreuz. < p« BreSla«. Beide Söhne des Kaufmanns David Davidsohn — nämlich Leutnant Rechtsanwalt Dr. David so hn-Düsseldorf und Stabsarzt Dr. David- sohn-Charlottenburg — besitzen das Eiserne Kreuz 1. Klasse. — Vizcfeldwebel Rechtanwalt Dr. Richard Staab. Unteroffizier Bruno Gold st ein, Unteroffizier Sieg¬ fried Goldenkranz-Breslau, Unteroffizier Max Scheyer-Gleiwitz und Erich Jnngmann-Ratibor erhielten das Eiferne Kreuz 2. Kl. Rechtsanwalt Ludwig Fo er der-Breslau wurde zuM Kriegsgerichtsrat ernannt. Warschau. Dr I. L. Magnes, der Präsident der New Dörfer Kehillo, weilt hier fort Interesse der Hilfs¬ tätigkeit der amerikanifchlen Juden. |