Der Krieg als jüdisches Erlebnis. Ein Vortrag von Reinhold Lewin (Leipzig). Der Krieg als Erlebnis — wer darf sich erkühnen, einen solchen Vorwurf zur Behandlung und Darlegung zu wählen? Von des Krieges begrifflicher Erfassung hängt es ab, wie man den Kreis der Berufenen zieht, ob man ihn ausdehnt oder verengert. Denkt man nur an Schützengraben und Handgemenge, an den Kampf Mann gegen Mann mit Bajonett oder Handgranate, so dürften nicht viel das Wort ergreifen. Von der fechtenden Truppe /schiede wenigstens der Artillerisf am schweren Geschütz aus, der nie mit Augen das Ziel erblickte, dahin er seine Granaten ent- sandte. Mit den wenigen aber, die sei es zur Befragung, sei es zur freiwilligen Erzählung zurückblieben, ließe sich kaum Er- sprießliches beginnen. Wen hätte nicht im Laufe des Feldzugs die Wortkargheit eines Urlaubers enttäuscht, der, nach aufregenden Abenteuern ausgeforscht, die Lüsternheit seiner Freunde im Stiche ließ und verdroß? Die Schweigsamkeit des Frontsoldaten, wie sie durchgängig beobachtet wurde, beruht auf keinem Zufall. Sie entspricht dem Ergebnis psychologischer Forschung, die man vom Blickpunkt der Fachwissenschaft anstellte. So wohltätig waltete die Natur in dem Grauenvollen, das draußen tobte, in dem Entsetzlichen, das auf den Einzelnen einstürmte, daß sie sein Empfinden für weite Bezirke abstumpfen und ersterben ließ. Die Aufnahmefähigkeit der Seele schrumpfte ein. Es ging ihr nicht anders, wie etwa die Pupille des Auges sich zusammenzieht, um nicht von einem grellen Strahl, einem zuckenden Licht ge- blendet zu werden. Diese optische Einstellung, die der tnensch- liehe Organismus automatisch zu seinem Schutze bewirkt, wurde aufs psychische Gebiet übertragen. Das unerträglich Schlimmste ausschaltend, es unter die Schwellendes Bewußtseins versenkend, Monatsschrift, 63. Jahrgang. 1 |