ENORAH In an Old Jewish Town / Aus einer alten Judenstadt Nicht nur an das Altertum dürfen wir an¬ knüpfen, wenn wir Begeisterung für das Judentum in unseren Reihen beleben wollen. In dämmriger Ferne nur erscheint es den meisten von uns, zu groß ist die zeitliche Entfernung, um in allen seinen Ideen und Gestallen — abgesehen vom archäologi¬ schen Interesse und Verständnis — der jetzigen Generation nahe gebracht zu werden. Schwer nur gelingt dies, wie das fast einzige Beispiel der wiederbelebten Makkabäerfeier beweist, die das verblassende Chanukafcst neuerdings ergänzt. Es tut dringend not, an eine jüngere Ver¬ gangenheit anzuknüpfen, die noch in frischerer Erinnerung ist, mit der uns lebensvolle Beziehun¬ gen verknüpfen, an die letzten zwei bis drei Jahr¬ hunderte unserer Geschichte und an die poesieum¬ rankte Zeit unserer Urgroßeltern. Die jüdische Geschichtswissenschaft, insbesondere die orts- und familiengeschichtliche Forschung ist es, die uns wertvolle, dem Geiste der Gegenwart nahelie¬ gende und verständliche Kulturgüter vermittelt. Schwierig ist diese Aufgabe, erschwert die Forschung, denn das tragische Wanderschicksal der Juden hat oft die Tradition unterbrochen, ver¬ heerende Brände und an Dummheit grenzende Nachlässigkeit zahlreiche wertvolle Urkunden ver¬ nichtet. Um so erfreulicher ist es, daß es Orte gibt, in denen ein gütiges Schicksal die Tradition nicht unterbrach, in denen die steinernen Ge¬ schichtsquellen — die Grabsteine nicht verfallen und die papiernen nicht vom Feuer verzehrt wor¬ den sind. Findet sich dann in einer solchen Ge¬ meinde ein Mann, der verständnisvoll und opfer¬ fähig genug ist, uns zielbewußt Denkmals- und Kunstschutz zu betreiben — das Vorhandene zu erhalten. Versprengtes und in früheren Zeiten nach auswärts Verschleudertes zurückzuführen — und findet er bei seinem Streben, den Geist der Ver¬ gangenheit der Gegenwart zu vermitteln, einen Mann der Wissenschaft, der wie wohl kaum ein anderer fähig ist, das Dunkel der Vergangenheit zu erhellen, dann beim Zusammentreffen solcher glücklicher Umstände kann ein Werk wie das fol¬ gende entstehen: hisenstadt Ii i 1 t i 1 p J i adt. (Am Sabhath durch Eisensiadicr Forschungen. II erausgegeben von Sändor W o I f. Bd. [. Die ' Grab- schrijlen des alten Judenfriedhofes in Eisensladt. Bearbeitet von Dr. Bernhard IV a c h s / e i n. Mit einer Studie: Die Entwicklung des jüdischen Grabsteines und die Denkmäler des Eisenstädtcr Friedhofes von Sdndor Wolf. Mit 77 Abbil¬ dungen. Wien 1922. Adolf ilolzhausen. Sändor Wolf, seinem Berufe nach kein Mann der Wissenschaft, sondern ein Kauf¬ mann, hat sich durch seine Ausgrabungen und Sammlung um seine engere Heimat, das Burgen¬ land, sehr verdient gemacht und in Eisenstadt in dem Stammhause seiner Familie ein mustergül¬ tiges heimatkundliches Museum gegründet, das von prähistorischen Ausgrabungen angefangen bis zum Hausrat der Biedermeierzeit alles ent¬ hält, was zum Verständnis von Geschichte, •'<<?<2%#§'.l is&te&^-ASMit Eisenstadt Tomhstonu / Grabstein Kultur und Folklore des Burgcnlandes dient. Lange Zeit hegte er schon den Gedanken, der Juclengemcindc Eisenstadt ein geschichtliches Denkmal zu setzen, und 1917 betraute er Bernhard W a c h s t c i n mit diesem monu¬ mentalen Werke. Seine Wahl hätte auf keinen Besseren fallen können. Bernhard Wachstein ge¬ hört zu jenen wenigen genialen Gelehrten, die der jüdischen Wissenschaft, die allzu lange zu ihrem Schaden meistens von Theologen betrieben wurde, neue Ziele und neue Methoden ge¬ wiesen haben. Als er diese Arbeit begann, kannte er, wie aus dem 2. Bande seiner Inschriften des alten Wiener Judenfriedhofes ersichtlich ist, bereits einen Teil der Eisenstädter Gcmeinde- archivalicn und erkannte sofort, dali es nicht möglich wäre, in eine m, wenn auch noch so stattlichen Bande Grabsteininschriften und Ur¬ kunden zu behandeln und zu verwerten. So mußte mit dem abgeschlossenen Leben, den steinernen Monumenten der Totenklage begonnen werden, die in dem vorliegenden ersten Band vereinigt sind. Spätere Bände werden die Archivalien be¬ handeln und wohl ein deutliches Bild von dem Verwaltungsorganismus einer alten Juden¬ gemeinde und dem inneren Leben ihrer Ange¬ hörigen bieten. Man glaube aber nicht, dali die Grabinschrif¬ ten nichts mehr a's die Klage über den Verstor¬ benen enthalten, oder nur Namen und Todesjahr angeben. Sie enthalten oft eine dem Verständigen deutlich erkennbare Charakteristik der Verstor¬ benen und eine genaue Nuancierung des An¬ sehens, das sie bei ihren Zeitgenossen genossen haben. Die Angabe der Berufe und manch anderes Detail bieten oft überraschende kultur¬ historische Ausblicke. Wachstein weiß aus all diesen sonst nicht beachteten Kleinigkeiten in oft überraschender Weise zu deiilcn. Paul Josef Diamant (Tn be continued ' Fortsetzung folgt) |