18 M E N O R A H RUDOLF SCHILDKRAUT IN SCHALOM ASCH-. „GOTT DER RACHE" Schildkraut ist seitdem ein anderer geworden. Ich sah ihn später in Hamburg, in Berlin, auf der Höhe seines Schaffens, in der souveränen Beherrschung des Theaters, in der köstlichen Freiheit seiner künstlerischen Kraft. Aber etwas, irgend etwas war doch immer, das an jenes Jugenderlebnis erinnerte. Seine Kunst war so edel diszipliniert, wie es nur je die eines großen Schau¬ spielers gewesen ist. Kein Wort, kein Blick entglitt seinem klaren, künstlerischen Willen. Und doch . . . und doch . . . irgend etwas war da, was an diese mythische Heroenzeit der Schauspielerei gemahnte. An die Zeit des regellosen Schweifens — in jedem Sinne — der großen Vagabundage und Heimatlosigkeit. * Er war ja von der „Schmiere" gekommen. Ich glaube nicht, daß er jemals in einer Schauspielschule mit bürgerlicher Wohl¬ bedachtheit herangebildet wurde. Man kann sich ihn unmöglich als „Konservatoristen" denken. Tatsache ist es — er hat es oft erzählt — daß er sich an kleinen und kleinsten Bühnen herum¬ schlug, hungrige und jämmerliche Tage durchlitt — deren Humor gewöhnlich erst ein rückfallendes Licht späterer Geborgenheit und Behaglichkeit ist — tausendmal daran, unterzugehen, tausendmal von der Lebenskraft seiner schöpferischen Begabung emporge¬ rissen. Es war etwas in ihm, das Flügel hatte und ihn hinauftrug. In die Sphäre einer höheren Existenz und an einen wohlbesetzten Tisch. Dann landete er in Wien am Raimund-Theater. Und dann kam endlich ein steiler Aufstieg. Baron Berger nahm ihn nach Hamburg mit, und Reinhardt gab seinem Namen den großen, durch alle Länder fliegenden Klang. Heut ist er in Amerika, spielt dort seinen Lear, angeblich „jiddisch", in Wirklichkeit gut deutsch — was er aus politischen Gründen verschweigen muß — und ist einer der mächtigsten und gefeiertsten Schauspieler, deren sich die deutsche Bühne derzeit berühmen kann. * Was immer er spielt — und der Bogen seiner Gestaltung reicht vom Minister im „Mikado" bis zum Shylock und vom Schmock bis zum Lear — ist von einer Lebensfülle, die bezaubernd wirkt. Das ist der entscheidende Eindruck. Was er auf die Bühne stellt, das lebt. Das ist. So unmittelbar erobernd ist seine Kunst, daß man Mühe hat, ihre einzelnen Wesenszüge zu erkennen. Seine warme, metallische Stimme ist jedes Ausdruckes fähig, sie hat die Kraft der tragischen Klage und die sichere Spitze des Witzes; der mittelgroße, gedrungene Körper ist in Haltung und Gang, in jeder Gebärde von der Gestalt des Werkes geformt; die großen, froschartigen Augen, der breite, von allen Schatten des Schmerzes und allen Lichtern des Humors umspielte Mund — das alles ist Organ, Ausdrucksmittel, im höchsten Grade geschmeidig und dienstbar. Und das alles ist von innen heraus beherrscht, durch¬ glüht, gestaltet. Ganz von innen her. An diesem souveränen Künstler ist nichts virtuosenhaft, nichts äußerlich. Er hat die vollkommene Sittlichkeit seiner Kunst: er ist durchaus recht¬ schaffen; wahrhaftig. # Als seine höchste Leistung betrachtet er seinen Lear. Sie ist jedenfalls seine persönlichste. Die mythische Königlichkeit, die Wunderlichkeit des Alters, die schauerlichen Sprünge der Narr¬ heit, das alles ist im Hintergrund seiner Leistung. Es ist da, meisterlich gebildet, aber man fühlt es nur nebenbei. Es haftet nicht im Gedächtnis. Eines ist unvergeßlich: das Bild des Vaters. Des Vaters mit der überquellenden Zärtlichkeit, des Vaters, dessen Liebe obdachlos geworden ist, des ratlosen, verstörten, dessen Liebe sich in Haß und dessen Segen sich in Fluch ver¬ wandelt. Das reckt sich zu monumentaler Größe. Hier ist ein Ewiges der Menschheit gefühlt und gestaltet. * Da fühlt man die Rasse: den Juden. Da ist die tiefste Kraft der Rasse, das Geheimnis ihrer Ungeheuern Vitalität zum künst¬ lerischen Erlebnis geworden. Die sammelnde, sich aufsparende, verschwendende Liebe, die fast krankhaft übersteigerte, zur Auf¬ gabe des eigenen Wesens stets bereite Liebe zu der kommenden Generation. Schildkraut hat zahllose Juden auf die Bühne gestellt. Immer mit einer repräsentativen Kraft, die faszinierend ist. Immer von innen heraus gebildet, alle wohlfeilen Mittel der Charakteri¬ stik, oft auch den Jargon, nobel verschmähend. Mit einer Vornehm¬ heit des Geschmackes, des menschlichen und künstlerischen Taktes, die sehr hoch zu werten ist. Er ist schauspielerisch produktives Judentum. * Ist er das wirklich? Sind es die wesentlichen Kräfte des jüdischen Geistes, die in ihm schöpferisch sind? Eine fehlt: der Intellekt. Der scharfe, bohrende, überwache Verstand, den man so gern als das Kennzeichen der Rasse betrachtet. In anerkennendem wie in feindseligem Sinn. Man fühlt ihn nicht bei Schildkraut. Er ist zweifellos sehr klug. Aber er will nichts davon wissen, wenn er in künstlerischer Bewegung ist. Nichts, aber auch gar nichts zeigt ihn als den „Verstandes¬ schauspieler", als den „denkenden" Künstler, als den „intellektuel¬ len" Gestalter. Seine Kunst kommt aus einem tieferen Lebens¬ grunde, als der Geist es ist. An ihm ist alles Instinkt, Phantasie, Temperament. Es quillt ungebrochen aus verborgenen Schächten. Eine Natur ist er. Eine ungebrochene Natur. Voll Flammen. Ein prachtvolles Ereignis des Lebens. Des selbstherrlichen, trieb¬ haften, ungeistigen Lebens. Der Jude, um den noch Wüstenatem weht. Der das gelobte Land noch nicht betreten hat, das Land der Ordnung, der Über¬ lieferung, des Geistes. # Darum muß man noch immer daran denken, daß er einst vom grünen Wagen kam; von der Schmiere. Aus einem Leben, das sich in keinen bürgerlichen Zwang fügen will. Er kennt nur Eines: spielen, spielen, spielen. Der spielende Mensch aber, das Kind, ist der freie Mensch. Der Mensch, der von keinem Zweck be¬ herrscht und gebändigt ist. „Ein aus sich rollendes Rad." Die Leute hatten recht; er ist ein echter Komödiant. |