182 MENORAH das vom Menschen Vergewaltigte einmal zu seltsamer Stunde in seine menschenferne Urgestalt rückverwandelte . " „ Du sprichst von einem bestimmten Erlebnis ? " unterbrach einer der Freunde . Der Afrikaforscher hielt seine gekrümmte Hand vor den Mund , man konnte nicht sehen , ob sein Gesicht einen gleich¬ gültigen oder traurigen Zug annahm . Die dunklen Augen , müde , halbgeschlossen , gaben gleichfalls keine Auskunft . , ,Erlebnis — wäre zu viel gesagt . Aber an eine ganz bestimmte Stimmung denke ich allerdings , in der ich einer der von Erich so ge¬ schmähten Warnungstafeln schließlich noch dankbar geworden bin , denn sie allein war es , die mich aus dem Grausen des pani¬ schen Schreckens gerissen hat . Ohne sie wäre ich vielleicht wahn¬ sinnig geworden und säße heute nicht unter euch , sondern — . " Er verstummte . Die anderen fühlten , warum . Saß denn der Freund wirklich noch unter ihnen ? War er nicht schon in jene einsamen tödlichen Gegenden entrückt , die ein rätselhafter Trieb , vielleicht gerade die Sehnsucht nach dem , was er den panischen Schrecken nannte , ihn immer wieder aufsuchen hieß , nach kurzen , in zivili¬ sierten Gegenden krisenhaft genug überstandenen Zeiträumen . Zudem trat Beg , des Forschers schwarzer Diener , mit Kaffee und Likören ins Zimmer . Die bloße Anwesenheit des Negerknaben mit dem stumpfen , wie in Wut erstarrten Gesicht , erinnerte deut¬ lich genug an das abenteuerliche Leben , dem der Abschied¬ nehmende vor kurzem enttaucht war und nun wieder entgegenging . „ Ich liebte damals, " erzählte er , „ oder glaubte zu lieben . Das erste und einzige Mal in meinem Leben . Elise war jungvermählt , an eine Verbindung mit ihr konnte ich nicht denken . Dennoch gehörten wir einander , es war ein Muß , vor dem Hindernisse nicht standhielten , kaum fühlbar wurden . Nur unter den größten Schwierigkeiten sahen wir einander . Einmal war ihr Mann ver¬ reist . Wir verabredeten einen Ausflug in einen der Großstadt nahen Kurort . Da Winter war , durften wir hoffen , dort keinem Bekannten zu begegnen . Alle Vorsichten waren getroffen . Elise fuhr voraus , ich folgte mit einem späteren Zuge . Eine moralische Rechtfertigung unseres Tuns will ich nicht geben . An die dachten wir gar nicht , hatten genug zu tun , uns durch die wohlüber¬ legtesten Abwehrmaßnahmen gegen den , Neid der Welt ' , wie wir es nannten , gegen die bösen Mächte ringsum zu schützen . Dieser Gedanke gewährte anderen Überlegungen gar keinen Platz , erfüllte uns mit aufgeregtester Spannung , und dann , als es klar war , daß wir gesiegt hatten , der Plan geglückt war , als wir end¬ lich in dem kleinen , warmen Hotelzimmer einander allein gegen¬ überstanden , — welch ein Glück ! Doch eine leise Beimischung von Unheimlichkeit war allerdings die ganze Zeit über zu spüren ; vielleicht gerade deshalb , weil das Hotel so elegant , dabei fast menschenleer , also ganz sicher , weil das Essen so gut , wie von Heinzelmännchen für uns vorbereitet , weil alles so bequem und unseren Wünschen bis ins Geringste angepaßt war . Schatten aber lag auch deshalb über der sonst so einschmeichelnd süßen und wohlbehaglichen Situation , weil unter uns ausgemacht war , daß wir nur dieses einzige Mal die vorgetäuschten Freuden einer Ehe genießen , nur dieses einzige Mal die Ehre meiner über alles ge¬ liebten Freundin aufs Spiel setzen durften . Nach einer Nacht , von der ich nichts sagen will , als daß sie unserem Beisammensein für Stunden und Stunden sogar diesen letzten Schatten von Weh¬ mut und Unheimlichkeit nahm , mußte ich am frühen Morgen weg . Elise sollte am Vormittag mit der Bahn zurückfahren , ich hatte den ersten Dampfer gewählt , der in die Stadt fuhr . So ging ich nach kurzem heißen Abschied ( einem Abschied für immer ) die Treppe hinunter — im Hotel regte sich nichts — durch Alleen und Fel¬ der bis an den Fluß , wo das kleine Dampfboot wartete . Es mochte vier Uhr morgens sein . Finsternis und eisigkalter Wind . Auf dem Dampfer war ich einziger Fahrgast ; auch von der Mann¬ schaft nichts zu sehen ; sie mochte von geschützten Plätzen aus den Motor , das Steuer bedienen . So fuhren wir los . Unter dem Wolken¬ himmel stand ich auf dem Verdeck . Hie und da eine Laterne am Ufer . Der ganze Ort sonst dunkel , dumpf im Schlaf . Nur auf dem Hügel in der Ferne das eine beleuchtete , gleichsam wachende Fenster , hinter dessen zartem Vorhang ich die Gestalt der Ge¬ liebten ahnte . Sie lag wohl im Bett , war nicht aufgestanden . Den Vorhang hatte sie jedenfalls nicht aufgezogen . Dieser kleine Um¬ stand riß mich plötzlich aus Träumen , denen ich noch warm und herzerfreut nachhing , in die trübselige , fröstelnde Gegenwart . Das Schiff nahm den Weg um einen Felsen , das Fenster ver¬ schwand . Namenlose Angst befiel mich . Kein Mensch ringsum . Kein Zeichen irgend einer menschlichen Betätigung . Die Nacht hatte alle Bauwerke in sich eingeschlungen . Man sah nichts als die leblose , steife Kulisse der Berge , unendlicher Wälder . Wenn ich jetzt schriee , niemand würde mich hören . Niemand mir zu Hilfe kommen . In völliger Verlassenheit müßte ich untergehen . So also , fühlte ich , sieht diese Gegend für einen Ertrinkenden aus , so bietet sie sich seinem letzten Blick . Eine Landschaft ohne Menschen , da und dort ein Lichtschein , der schwarze Himmel , — nichts ant¬ wortet . Und nun wußte ich : dies ist die wahre Gestalt der Welt . Jetzt erst hatte sie sich mir enthüllt in ihrer ganzen Lieblosigkeit , Weltraumkälte schauerte an meiner Haut . Und die Fruchtlosigkeit aller Menschenmühe , sich mitten in diesem unendlichen fremden ernsten Weltall eine Heimat , ein wohnliches Leben , ein Hotel¬ zimmer mit einer schönen , geliebten Frau einzurichten , fiel mir bitter ins Herz . Abschied , Abschied nehmen heißt es . Jede Nacht saugt ein , was wir der Natur abgetrotzt zu haben glauben , legt unsere Errungenschaften in Trümmer . Wo sind in diesem Augen¬ blick Telegraphendrähte , Hafenanlagen , die Bahnstrecken längs der Ufer , all die Zeichen menschlichen Triumphs ! Finster , ab¬ weisend alles ringsum , nie erschlossen , leer . Eine Landschaft auf dem Mars , dem Sirius kann nicht fremder sein . Und dies also unsere urbar gemachte Erde , unsere Vertraute seit Jahrtausenden , mit der wir so familiär zu sein glauben , dies sogar einer ihrer be¬ wohntesten Striche , Umgebung einer großen alten Stadt ! Ewige Feindseligkeit der Natur , all unseren Anbiederungsversuchen zum Trotz bleibt sie ein wildes Urtier , — mit uns spricht sie nicht — und was ich jetzt höre , das Rauschen der nächtlichen Uferbäume , das siedende Zischen und Seidenrauschen der Eisschollen , durch die sich der kleine Dampfer stolpernd seinen Weg bahnt , all das ist gar nicht für mein Ohr , für Menschenohr bestimmt , es ist eine Sprache , die über unsere Köpfe hinweg geredet wird , Urwesen uns zur Seite unterhalten sich mit irgend welchen anderen Dämonen über uns , wir verstehen nichts davon , wir sind ausgeschlossen , verachtet , verraten , von bösen Mächten umringt , die uns zer¬ malmen . . . Und da verstand ich auch , was mich von Elise riß , plötzlich war das Unheimliche , das schon durch den geglückten Plan tags zuvor im wohlgewärmten , komfortablen Hotel sich an¬ gekündigt hatte , mit ganzer Macht da und zeigte , daß mi߬ glückt war , was ein Weilchen lang wie geglückt ausgeschaut hatte . Und so mußte es immer sein . Alles Gelingen war nur provi¬ sorisch , der Weltraum schluckte es in kalter Nachtstunde in seine Ungestalt zurück . Je länger ich es überdachte , desto trauriger wurde ich ; es war eine Traurigkeit , die anzog wie ein Wirbel . Wie schön , sich nun ganz loszulassen , alles praktische Sichein¬ ordnen , das so unnütz war , aufzugeben , hineinzuspringen in das offene Tor . Es war der Irrsinn , der hinter dem Tor lauerte , das wußte ich ganz deutlich , und hatte doch keine Kraft mehr , mich zurückzuhalten . Die Eisschollen polterten , — ein Schritt und es wäre getan gewesen . Da kam mir im letzten Augenblick eine ganz unerwartete Rettung . Mein Blick fiel auf eine Emailtafel neben der Treppe , die zur Kajüte hinunterführte ; im trüben Öllicht las ich : . Ausspucken behördlich verboten . ' Und plötzlich war das Gefühl menschlicher Nähe wieder da . Ordnung , Beherrschung des Elements lockte , war friedlich und gut . Ein leises Hoffen , vor dem das Chaos versank . Ich glaube , daß ich dann noch lange vor der Emailtafel gestanden bin und sie mit beiden Händen gestreichelt habe , bis wir bei der ersten Station anlegten und Menschen , Arbeiter einstiegen , die diesen Weg täglich zu machen hatten und denen er daher nichts Erschreckendes bot . Die beruhigten mich vollends . Aber gerettet hat mich doch nur eine jener Warnungstafeln , die du Erich , unlängst so bespöttelt hast . " — Er lächelte . Die anderen aber konnten in dieses Lächeln , das übrigens im Augenblick vorbeiging , nicht miteinstimmen . Sie ahnten , daß ihnen der Freund , vielleicht ohne es zu wollen , ein seinem Leben zugrunde liegendes Unheil enthüllt hatte , von dem er sonst nie sprach und das also der eigentliche Grund war , das ihn immer wieder in Wüsten und Fernen ohne lebensrettende be¬ hördliche Warnungstafeln hinaustrieb . |