M E N O R A H 191 SALOMON ROSSI EIN JÜDISCHER MUSIKER IM 17 . JAHRHUNDERT VON ALFRED SANDT Immer , wenn es sich um einen jüdischen Musiker handelt , drängt sich uns heute die Frage auf , ob in seiner Musik spezifisch jüdische Elemente vorhanden sind und ob sie als solche erkannt und gewertet werden können . Es ist nicht lange her , seitdem musi¬ kalische Kunstwerke auch von diesem Gesichtspunkte aus be¬ trachtet werden . Erst seitdem das Werk Gustav Mahlers sich eine große Welt unterjocht hat , verstummt nicht die Auflehnung Ein¬ zelner gegen dasselbe , indem rassenpsychologische Momente aus einer unzulänglichen Rüstkammer hervorgeholt werden und den Beweis liefern müssen , daß diese Musik keine Fortsetzung des bis¬ herigen , künstlerisch gestalteten europäischen Wollens bildet , sondern etwas anderes , das man als fremdartig empfindet und daher ablehnt . Die jüdischen Musiker , die im 19 . Jahrhundert schöpferisch gewirkt haben , sind nur auf ihre rein künstlerischen Werte hin geprüft worden . Das Werk eines Felix Mendelssohn , aus romantischem Boden den Inhalt seiner Kunst empfangend , hat sich zwanglos in das künstlerische Scharfen der Gesamtepoche ein¬ gegliedert und lange das ganze deutsche Bürgertum restlos ausge¬ füllt . Man hat nicht überlegt , ob die Sentimentalität so mancher „ Lieder ohne Worte " eine jüdische ist und ob sie sich von der arisch - germanischen eines Robert Schumann unterscheidet , man hat nicht darüber sich Gedanken gemacht , ob der Formsinn eines Mendelssohn unbewußt von den architektonischen Gesetzen des jüdischen Volksliedes getragen wird oder ob er eine reine , reiche Frucht des Studiums klassischen Geistes darstellt . Und wenn ein Meyerbeer dem Angriffe Richard Wagners ausgesetzt war , so handelte es sich um eine rein persönliche Attacke , deren Berech¬ tigung , nicht einmal aus subjektiver Einstellung , in der Schrift „ Das Judentum in der Musik " nachgewiesen wird . Die Pflege der Musik im 17 . Jahrhundert war hauptsächlich durch den hohen Sinn einiger Fürstengeschlechter und durch ihre persönliche Anteilnahme an den fortschrittlichen Bestrebungen in derselben bedingt . Wenn nun zu dieser Zeit Namen jüdischer Künstler in den Vordergrund der ganzen Kunstepoche treten , dann dürfen sie uns den Rückschluß erlauben , daß ihnen vor allem in Italien und Spanien Fürstengunst stärker als bisher zuteil geworden ist . Die Herzoge von Mantua haben in ihrer Mehrzahl die Juden sehr geschätzt . Der Herzog Guglielmo zeichnete sich nicht nur durch Toleranz und Güte ihnen gegenüber aus , er förderte auch ihre Beschäftigung mit den Künsten . Unter seinen Nachfolgern Vincenzo I . , Francesco , Ferdinando , Vincenzo II . und Ferdinando von Guastalla entwickelt sich langsam ein reiches jüdisches Kunst¬ leben in Mantua , dessen Höhepunkt das Auftreten Salomone R o s s i s zur Zeit der Herrschaft Carlo Gonzagas bildet . Dieser jüdische Musiker entstammte einer angesehenen Familie Mantuas , die , wie ihre christlichen Mitbürger , über einen Stammbaum ver¬ fügte , der bis in die Zeiten der römischen Kaiser Titus und Vespasian reichte . Von seinem Leben wissen wir sehr wenig . Geburts - und Todesjahr sind unbekannt , sein reiches Schaffen fällt ungefähr in die Zeit von 1587 bis 1628 . Rossi gehört zu den Meistern , die an der Wiege der gesamten modernen Musik stehen . Seine Versuche , die Melodie in die Oberstimme zu verlegen , bilden die Anfänge der instrumentalen Monodie , die ihre herrlichsten Blüten in den ariosen Instrumental¬ sätzen Bachs treibt . Vom einstimmigen Gesang ohne Begleitung über den instrumental begleiteten Sologesang , von dem durchimitie¬ renden A - cappella - Stil über die mehr homophone Satzweise des Madrigals in der zweiten Hälfte des 1 6 . Jahrhunderts schritt die Entwicklung zum rezitativischen Stil und zum Generalbaß , lang¬ sam den Samen , den Salomone Rossi gelegt hatte , emporzüchtend . Die erste Sammlung seiner Kanzonetten erschien im Jahre 1589 und ist dem Herzog Vincenzo I . gewidmet . Es sind neunzehn volkstümlich gehaltene Gesänge , die die Frische eines jugend¬ lichen Musikerblutes zeigen und doch auch schon das Talent eines geschickten Kontrapunktisten verraten . Wenn man in dem Exem¬ plar dieses Werkes , das die Wiener Nationalbiblio¬ thek verwahrt , blättert , so hat man seine Freude an diesen sin¬ nigen dreistimmigen Liederchen , die noch mehr von der Kunst des Zeitalters empfangen , als ihr gegeben haben . Drei Jahre später ließ er ein zweites Buch dreistimmiger Kanzonetten er¬ scheinen , der Erfolg des ersten scheint also ein beträchtlicher ge¬ wesen zu sein . Wichtiger sind die fünf Bücher fünfstimmiger Madrigale , die wiederholt neu aufgelegt worden sind . Die Madri¬ gale des 16 . und 1 7 . Jahrhunderts sind ernste Kunstlieder von tiefem poetischen und musikalischen Gehalt , die entweder ohne jede Instrumentalbegleitung oder ausschließlich durch Instrumente zum Vortrag gebracht wurden . Rossis Madrigale sind verschie¬ denen Fürsten gewidmet , deren Chöre bei der Wiedergabe vor keiner leichten Aufgabe standen , denn obwohl der vokale Charak¬ ter festgehalten wird , erfordert die komplizierte Stimmenführung eine besondere und eingehende Schulung . Aus dem Jahre 1614 stammen 21 vierstimmige Madrigale , die dem Herzog von Modena Alfonso d ' Este gewidmet sind . Für die Musikgeschichte sind am wichtigsten seine vier Bücher Sonaten , von denen das erste und zweite Buch als „ Sinfonie e gagliarde " , drei - bis fünfstimmig , das dritte bis vierte Buch als „ Varie sonate , sinfonie , gagliarde brandi e corrente " erschienen sind . In diesem Werke wird uns der Begriff der instrumentalen Monodie klar vermittelt . Zwei hübsche Bei¬ spiele für diesen neuen Stil enthält der dritte Band ; nämlich eine Sonate „ sopra TAria della Romanesca " und eine „ sopra l ' Aria di Ruggiero " . Diese so oft bearbeiteten Bässe erscheinen hier in ihrer reinen Gestalt . Obgleich aber der Baß der Romanesca nicht streng durchgeführt wird , haben wir doch das älteste Beispiel des gehen¬ den Basses vor uns . Die Aria di Ruggiero wird in acht Variationen behandelt , deren jede eine Manier festhält , ganz wie es für Varia¬ tion dauernde Regel geblieben ist . Von vokalen Werken ist noch eine Sammlung drei - bis acht¬ stimmiger Cantica , Psalmen , Hymnen und Laudes zu nennen , Ge¬ sänge , die für die jüdische Musik von unschätzbarem Werte sind , enthalten sie doch die Lieder Salomos , auf hebräischen Text ge¬ sungen . Aber auch an einem geistlichen Musikdrama „ Maddalena " beteiligte sich der unermüdliche Rossi , indem er einen der vier Akte komponierte , während der berühmte Monteverdi mit zwei anderen angesehenen italienischen Musikern zu seinen Mitarbeitern zählte . Für die Aufführung des Dramas „ L ' Idropica " , die 1608 in Mantua stattfand , schrieb er ein Intermezzo , der einzige uns über¬ lieferte Nachweis , daß er auch Beziehungen zur damaligen Bühne hegte . Das Judentum hat sich bisher wenig um einen ihrer größten Musiker gekümmert . Zwar hat der Pariser Oberkantor N a u m - bourg im Jahre 1877 33 drei - bis achtstimmige Gesänge Rossis neu herausgegeben , die der Meister für den Gottesdienst in der Synagoge geschrieben hat . Aber von einer Wiederbelebung dieser wertvollen Musik oder von einer Gesamtausgabe der Werke des Tondichters wird nicht gesprochen . Und doch sollte man sich die Tatsache ins Gedächtnis zurück¬ rufen , daß Rossi durch seine Kunst das Ansehen der Juden so weit |