272 MENORAH ! FREIBURG I . B . » Tel . 2881 Goetliestmjie - 5 Tel . 1S81 j TOCHTERPENSIONAT \ ' lllllllilllllilllllllilllillllll Z I COHN - BERNSTEIN ! ■ Höhere Tödirer - ™ < l [ : onbilduii 8 ssJi < ile . Vor - ; • bereitung | iir Gymnasium und Abiturienten . 2 • Eigene Villa mit Garten . Bestr Verpflegung . • i Ers . e Referenzen j Lodz geführt hatte . Ich begleitete sie zu dem Wiener Advokaten , der die Sache führte ; es sah schlimm aus . Da hatte Mutter nachts einen Einfall , den sie am folgenden Morgen auch gleich dem Advokaten mit teilte . Dieser war aufs höchste überrascht von dem gesunden Plan , und als er erfuhr , daß er aus Mittlers Kopf stammle , was sie ihm zu Beginn der Unterredung wohlweis¬ lich verschwiegen hatte , da sprach er ihr seine unverhohlene Bewunderung aus . , ,Sic sind ja ein juristisches Genie " , versicherte er ihr ein über das anderemal . Damals rettete Mutter auch eine verhältnismäßig große Summe . Vater hatte in den letzten Jahren nur wenig Geschäfte mehr gemacht . Er sah und hörte schon schlecht , war von jeher von schwächlicher Gesundheit gewesen , und Mutter sowohl , als auch die Brüder be¬ standen darauf , daß er sich ganz vom Ge¬ schäft zurückziehe . Er gab nur widerstrebend nach . Drei Töchter waren bereits verheiratet , die vier Kleinen im Alter von elf bis fünf zehn noch zu Hause . Hugo , den Jüngsten , hatten wir , mein Mann und ich , zu uns nach Wien mitgenommen , wo er das Gymnasium besuchte . Mutter aber — sie war damals 47 Jahre alt — konnte das ruhige Leben nicht er¬ tragen ; seit sie im Hause nicht mehr viel zu tun hatte — die Schwestern besorgten abwechselnd die Wirtschaft — ruhte und rastete sie nicht , vorläufig nur mit ihrer Phan¬ tasie . Und als endlich ein großes Kon¬ fektionshaus aus Wien in allen großen Provinzstädten Filialen errichtete , da über¬ nahm sie eine solche Filiale in B . Wir Kinder suchten sie vergebens davon abzu halten , kein Bitten , kein Flehen half ; sie er¬ widerte , sie könne nicht müßig gehen , dazu sei sie noch nicht alt genug , und sie wolle auch Geld verdienen , das sie für ihre jün¬ geren Töchter notwendig brauche . In ihrer ungewöhnlichen Klugheit sah sie unsern nächsten Schritt voraus , und so schrieb sie an alle Kinder nach Wien , wenn wir viel¬ leicht vorhätten , hinterrücks bei den Chefs durchzusetzen , daß sie unter irgend einem Vorwand ihre Einwilligung zurückzögen , so würde sie auf und davongehen , so weit ihre hüße sie trügen und sich irgendwo als Kinderfrau verdingen . Da war nicks zu machen . Ihre Pflichten wären übrigens nicht so schwer gewesen , wenn sie sie nicht , wie alles im Leben , zu ernst genommen hätte . Sie hatte eigentlich nur die wenigen Bücher zu führen , das Geld zu übernehmen , all¬ wöchentlich nach Wien zu sclrcken und di . 1 Bestellungen aufzugeben . Aber sie war nicht zu halten . Früh um sieben Uhr war sie schon be ; m Aufsperren , mittags blieb sie nur eme Stunde zu Hause , den ganzen Tag über r und arbeitete sie im Geschäft . Sie beteiligte sich auch , was sie durchaus nicht mußte , lebhaft am Verkauf , und bald blühte das Geschäft , und niemand wollte kaufen , ohne Mutters Rat einzuholen . Und wie erzog sie dabei die Kunden ! Kam da eine Mutter mit ihrem hochaufgeschossenen Jungen und wollte einen Überzieher kaufen ; der Student wollte aber immer einen andern als die Muitcr . Da legte sich Mutter ins Mittel und schlug vor , einige Überzieher in gleicher Preislage zu wählen , die engere Wahl aber dem Sohne zu über¬ lassen . „ Vergönnen Sie Ihrem Sohn doch che 1 ' reude , sich allein einen Überzieher aus¬ wählen zu dürfen " , redete sie der Mutter zu , und fast immer half ihr Dazwischentreten . Sie redete auch direkt vom Kauf ab , wenn ihr das Kleidungsstück für den beabsichtigten Zweck nicht praktisch genug erschien , kurz , sie tat , was sie konnte , um die Kunden , aber auch um ihre Chefs zufriedenzustellen . Und die Charakterstudien , die sie machte ! Sie erzählte bei Tisch stets , was sie erlebt hatte und war unermüdlich im Lobe der an¬ ständigen Leute . Unter anderem erzählte sie mir , als ich wieder einmal in B . zu Besuch war , daß der Gatte einer Schulfreundin von mir , ein Seminarlehrer , sich einen Salon¬ anzug ausgesucht und gebeien habe , ihm denselben erst am 2 . des nächsten Monats ins Haus zu schicken , da er ihn am 1 . be¬ zahlen würde . Mutter suchte ihm das aus¬ zureden , sie kannte den Mann und wußte sehr wohl , daß er bezahlen würde , sie hätte auch monatelang auf das Geld gewartet , das ihr sicher war , aber er bestand darauf , daß er zuerst zahlen und dann den Anzug haben wolle . „ Ich mache niemals Schulden , gnä¬ dige Frau, " sagte er , „ das ist ein Grundsalz , von dem ich nie abgehe . " Mutter drückte ihm ihre Anerkennung aus , und uns erzählte sie voller Freude , daß es so prinzipientreue Menschen gebe , die ganze Geschichte . Im Sommer brachten wir sie durch Bitten und oft erst durch die Drohung , daß wir alle nach B . kommen und uns nicht wegrühren würden , dazu , eine Erholungsreise anzu¬ treten , die sie jetzt mehr brauchte als je Aber sie sehnte sich immer wieder nach ihrer Tätigkeit zurück , so sehr sie auch einen Aufenthalt in den Bergen oder an der See genoß . Immer wieder pries sie die Arbeil als den größten Segen auf Erden . Wie sehr sie sich jedesmal weigerte , eine solche Erholungsreise anzutreten , mag aus einigen Briefen ersehen werden . „ Liebe Rosa ! Dein Brief hat mich sehr überrascht . Ich schreibe ausdrücklich , ich will von nieman¬ dem etwas wissen , und nun teilst Du mir plötzlich mit , Du willst mit mir nach Franzens ' . . acl gehen . Wo bleibt der Stolz meiner i - ' . den Töchter ? Ich bekomme näm¬ lich fas > . . « glich zehn solcher Briefe . — Das allein ge ' . - . igt , mich von Franzensbad fernzu¬ halten . Und wenn es nur Franzensbad wäre ! Aber es gibt noch anderes — vorher die Professoren in Wien , zu denen Ihr mich hin schleppen wollt . Der eine wird staunen , daß man mich nach Franzensbad schicken will , der andere , daß man mich nicht längst hin¬ geschickt hat . Unsere Völkerwanderung hat mir immer zu schaffen gegeben , aber die heurige ver¬ dient verewigt zu werden . Herzliche Grüße von Deiner treuen Mutter Klara . " „ Liebe Rosa ! Zwar bin ich noch sehr böse auf Dich , aber ich bin in einer Lage , in der man sich sogar an Feinde wendet . Die liebe Jetty ist heute gekommen mich abholen : ich soll mil ihr nach Wien und von dort weiter * ) — ich spreche den Ort nicht aus , weil ich zu Gott hoffe , daß ich irgend eine Hilfe finden und doch noch schön zu Hause bleiben werde . Auch mit Dir fahre ich nicht , Du bist eine Verschwenderin ! Ich weiß am besten , wie ich an der Reise zugrunde gehen werde , mir fehlt zum Wohlleben alles , auch der Wille . Ich bin heute noch im Bett — die liebe Jetty glaubt , das Bett wird mich retten , und ich glaube , die Ungeduld wird mich töten . Kannst Du raten ? Aber nicht handeln , nur raten , den Oberbefehl habe ich selber noch . Deine treue Mutter Klara . " „ Lieber Moritz ! Damit ich gleich mit der Hauptsache an¬ fange : ich bin ganz gesund . Es ist mein fester Wille , das Geschäft noch dieses Jahr zu behalten * * ) , geht es mir aber so gut wie im vergangenen Jahr , so gebe ich noch ein Jahr zu . Ich bereite Dich darauf vor , lieber Moritz . Ich fühle mich am wohlsten in meinem Wirkungskreise ; das Bewußtsein , daß ich zu irgend etwas da bin , daß ich Geld verdiene , macht mich stark . Ich wiederhole Dir , ich fühle mich ganz wohl . Mit tausend Grüßen an Dich , die liebe Anna und die lieben Kinder Deine treue Mutter Klara . " Es war ein großer Schmerz für Vater , daß das Geschäft am Samstag offen war . Aber Mutter konnte natürlich nicht anders , denn es war ganz ausgeschlossen , daß die Chefs in Wien gestattet hätten , den Laden am Samstag zu schließen . Und da erzählte sie unserem Vater zu ihrer Entschuldigung fol¬ gende Geschichte : Es lebte einmal eine Familie in Wohlstand : das Geschäft des Mannes blühte , die Fa¬ milie hatte jeden Samstag ihr Huhn im Topf , am Freitag abend gab es Barches und Fisch . Mit einemmal begann der Mann zu krän¬ keln , das Geschäft ging bergab , die Krank¬ heit verschlang Unsummen , denn die gute Frau tat , was sie konnte , dem Manne sein trauriges Leben zu erleichiern , endlich starb der Mann . Die Frau rettete noch so viel aus dem Schiffbruch , um sich eine Strick¬ maschine zu kaufen ; mit der ernährte sie sich und ihre beiden kleinen Kinder . Eines Abends — es war am Freitag — kam eine Nachbarin zu Besuch , die mit ihrem Tage¬ werk längst fertig war , denn sie war keine Witwe und hatte nur die Hausarbeit zu leisten ; sie traf die Freundin noch an der Strickmaschine . Erschrocken fragle sie : „ Jetzt arbeiten Sie noch , es ist ja schon Schabbes ? " „ Die Arbeit muß ich morgen abliefern, " antwortete die Witwe , „ sonst werde ich nicht bezahlt , und ich habe keinen Kreuzer im Haus . Übrigens werde ich Ihnen noch etwas sagen : so einen Schabbes mir der liebe Gott beschert , so einen Schabbes be¬ reite ich ihm . Früher hab ' ich einen Mann gehabt , der mich und meine Kinder ernährt hat , ich hab ' ein Dienslmädel gehabt , am Schabbes gab es immer Fisch und Bar¬ ches — jetzt . . . " ( Fortsetzung folgt . ) * ) Meran . * * ) Sie behielt es noch sechs Jahre ! mtlich Wien . I . . Zelinkajjasse 13 . Verantwortlicher Redaktei . WIELAND ) , Wien , V1L , Scidengnssc 3 - 11 . |