492 MENORAH unwahrscheinlich erschien, ist eingetreten: Kafka hatte mit dem ersten Nachlaßwerk noch nicht das letzte gegeben. Das „Schloß" bedeutet ihm gegenüber noch eine Steigerung. Hier nämlich tritt der „Angeklagte" von der Passion in die Aktion. Er nimmt den Kampf auf gegen die übergeordnete Macht, die ihn zurückstößt. Der Landmesser K. ringt mit der Schloßbehörde. Er will hinter die Ein¬ fachheiten, hinter das Geheimnis der ur¬ sprünglichen Daseinsform der Dorfbewohner kommen, will deren Demut und deren Glau¬ ben e r z w i n g e n. Er verfällt auf Listen, er leistet erniedrigende Arbeit, erklärt sich be reif, die abgelegte Geliebte eines Sehloßbcam- ten zu heiraten. Dieser Landmesser K. ringt um clas Geheimnis des Schlosses, wie Jakob mit seinem Gölte um das Göttliche rang. Auch in dem neuen Roman herrscht jene mystisch-unwirkliche Atmosphäre, welche wir nirgend anders als bei diesem Dichter erleb¬ ten. Es ist, als wäre die Realität gleichsam abgehoben von der Erdoberfläche und dem Göttlichen genähert: denn Kafkas Menschen sind unwirklich Leidende, weil sie das Gegen¬ ständliche durchschreiten; es sind Ausge¬ wählte, dem göttlichen Odem nahegeriickl. und doch wieder nur Menschen, gebunden an ihre Begrenztheit. V. Es kann nicht Aufgabe dieser Zeilen sein, das Werk zu deuten — es ist ein Fragment geblieben — Spekulationen über den mög¬ lichen Ausgang der Handlung anzustellen oder diese auch nur zu beschreiben; denn nicht darauf kommt es an. sondern auf die Notwendigkeit, sich mit der geistigen Erschei¬ nung dieses Dichters auseinanderzusetzen. Alle Fragen, welche unsere Zeit an uns stellt, und welche die Zeit überhaupt je an ihre Wesen gestellt hat, sehen wir in dem Werke Franz Kafkas berührt, das der Herausgeber Max Brod mit Recht als eine Fausldichtung bezeichnet. Darum sollten gerade wir Jüngsten die¬ sen Dichter lieben lernen, der so ,,modern" ist — eben weil er zeitlos ist. „Lies den Plutarch" (WALTHER RATHENAU. Briefe. Zwei Bände. Carl Reißner, Verlag, Dresden. — MUSSO¬ LINIS REDEN. Eine Auswahl. K. F. Koehler, Leipzig. — NAPOLEON. Emil Ludwig. Ernst Rowohlt Verlag. Berlin. Mit zahlreichen Illu¬ strationen.) An seinen Gestalten hat sich manch Ge¬ schlecht gebildet, durch ihn wurden Männer erzogen, die Geschichte machten. Den Plutarch hat sich jede Generalion erobert, die sich zu Großem berufen fühlte. Männer sehen will jede Jugend, die Männer schaffen will. Und deshalb mag es kein Zufall sein, wenn uns drei Bücher vor¬ liegen, die alle drei von Männern handeln, die Geschichte machten. ,,Rathenaus Briefe", „Mussolinis Reden" und Emil Ludwigs „Na¬ poleon". Drei grundverschiedene Gestalten, jeder einzigartig in seiner Art und doch ein großes Gemeinsames . . . daß sie Männer sind. ..R a l h e n a u s B r i e f e." „Abfallpro¬ dukte der A. E. G." hat das Berlin Wilhelm II. seine Werke genannt. Es konnte ihn nicht ver¬ stehen und wahrhaftig, er ist, ein seltsamer und rätselhafter Mensch, nicht leicht zu ver¬ stehen. Der leichte, skeptische, ironische Ton des jungen Studenten berührt nicht allzu sympathisch. Liebe zu den Menschen und doch ein wenig verachtendes Mitleid mit ihnen zeigen ebenso wie zahlreiche andere Aussprüche, wie fern er eigentlich der Demo¬ kratie war. Aufgeklärter Absolutismus ist es, der uns aus seinen politischen Briefen ent¬ gegentritt. Er ist der geborene Führer, des¬ sen Tragik es ist, daß er nicht in seiner Zeit, sondern über ihr steht. Einsam ragt er über seine Zeilgenossen, mit deren Besten ihn ein reger Briefwechsel verbindet. Und darum ist diese Briefsammlung zugleich ein Spiegel einer Zeit, der kaum seinesgleichen findet. ,,M u s s o 1 i n i s R e d e n." Kaum eine umstrittenere Persönlichkeit dürfte es geben im politischen Leben der Gegenwart. Kaum eine, deren Werk, deren Schöpfung, das mo- |