Seite 2 Dr. Vlortz's Wochrnschrifi. Nr. 1 Ehrenkränkung ist es in der That nicht, sondern eine Büberei, wie etwa, wenn ein Gassenbub einem anständigen Menschen die Zunge her aus streckt! Eine solche Büberei erfordert die entsprechende Züchtigung, welche ja Ernst Schneider sonst widerspruchslos hinzunehmen Pflegte. Er war nie empfindlich und wehleidig, der gute Ernst Schneider. Als der gewesene Abgeordnete Dr. Bloch ihm einmal in offener Parlamentssitzung zuries: „Sie gehören ins Zuchthaus, Sie danken nur der Nachsicht des Staatsan¬ waltes, daß Sie frei herumlaufen", forderte Schneider nicht einmal die Mißbilligung des Hauses für solche Brandmarkung. Auch seine eigenen Parteigenossen wissen ihn zu taxiren. Der ehemalige Gemeinderath und Antisemit Cornelius Vetter nannte ihn „Schuft" ; B u s ch e n h a g e n, auch ein Bruder Anti, nannte ihn einen „Schurken", ohne daß die Gesinnungsgemein¬ schaft dadurch auch nur beeinträchtigt wurde. Von Schönerer wurde er „Creatur", „Agent", „Regierungshund" titulirt — dennoch war Ernst Schneider nie — beleidigt. Aber auch mit einer Ohrfeige, einer richtigen, nicht blos symbolischen und angebotenen, wußte sich Ernst Schneider auszusöhnen. In Nummer 34 der „Oesterreichischen Wochenschrift", Jahrgang 1894, brachten wir folgende Mittheilung: „Bor etwa fünfzehn Jahren, als Ernst Schneider noch in bescheidenen Kreisen für die neue Heilslehre wirkte, wo ihm iwch nicht jene bedeu¬ tenden Geldmittel von clericaler Seite und von seinem Gebieter, dem Fürsten Liechtenstein, zur Verfügung standen, Herr Dr. Lueger noch nicht sein allmächtiger Beschützer war, denn dieser „Erlöser der Christenheit" erhielt gerade von einem jüdi¬ schen Journalisten eine Busennadel mit den Wappen des Königs David zum Geschenk, — dazumal machte Ernst Schneider einen Ausflug nach I e d l e s e e, bekanntlich ein kleiner Jndustrie- ort nächst Wien, wo auch jüdische Industrielle Etablissements besitzen, um in der dortigen Bahnhosrestauration mit Ge¬ sinnungsgenossen Ausfälle über die Schädlichkeit des jüdischen Wirkens in Wien und Umgebung zu schimpfen. Ein zufällig dort ansässiger Fabrikant jüdischen Glaubens, Namens F., ver¬ wahrte sich feierlichst gegen diese allgemeine Verunglimpfung, und nachdem Schneider den dortigen Boden iür eine Aus¬ einandersetzung nicht genug sicher fand, schwieg er, um den bald aulangenden Zug zur Heimreise nach Wien zu benutzen, ui welchem sich auch der erwähnte Fabrikant befand. In Wien am Nordbahnhofe angekommen, fühlte er sich plötzlich auf heimischem Boden, stellte sich beim Ausgange dem besagten Herrn F. mit energischer Miene entgegen, herrschte ihn mit Stentorstimme in so beleidigenden Worten und Ausfällen an, daß der sonst besonnene Fabrikant — ohne ihn auch nur eines einzigen Wortes zu würdigen — dem Antisemitenzögling eine derbe Ohrfeige versetzte, welche selbstredend in der Bahnhofshalle Aufsehen und Zusammenlauf verursachte. Der Jn- spectionscommissär führte sofort beide Herren in das Bahnhof- Polizei-Jnspectorat und machte von dem Geschehenen Meldung. Herr F., gegenwärtig bestrenommirter Fabrikant in Budapest, scheute sich nicht, seine Miffethat als im Widerspruche mit den Gesetzen stehend unumwunden einzubekennen und mußte auch Schneider das beschämende Bekenntniß ablegen, daß er diesen wohlverdienten Backenstreich thatsächlich erhalten. Herr F. war zufällig deur amtirenden Commiffär im besten Sinne seit Jahren be¬ kannt. Der Letztere konnte nicht umhin, Schneider darauf auf¬ merksam zu machen, daß sein Gegner sich gewiß nur in Folge einer Provocation zu einer Thätlichkeit auf öffentlichem Orte Hinreißen ließ und empfahl Herrn Schneider — ihm die schädlichen Folgen eines weiteren gerichtlichen Verfahrens für ihn und seine Interessen vor Augen haltend — Herrn F. ein¬ fach für die in I e d l e s e e gemachten Ausfälle gegen die Juden — um Entschuldigung zu bitten. Schneider, zunächst sein materielles Interesse als Mechaniker, da er damals noch verschiedene hohe Staatsämter und auch zahlreiche jüdische Kundschaft bediente, sich vor Augen haltend, lieferte den Beweis des persönlichen Muthes, indem er in aller Form Herrn F. Abbitte lei st et e, um seine materiellen Vortheile nicht in Gefahr zu bringen. Herr F. hatte seine Entschuldigung — Schneider seine Ohrfeige. Die Sache war somit in der schönsten Ordnung beigelegt. Heute steht Ernst Schneider unter dem mächtigen Schutze des Herrn Lueger, welcher sich einbildet, daß alle antisemitischen Brutalitäten straflos hingehen müssen. Der Terrorismus und die Macht dieser Leute aber sind bereits so groß geworden, daß sie eine Gegenwehr seitens der Beschimpften, Bedrohten und Verfolgten gar nicht mehr für denkbar halten. Siegerathen ja vollständig aus dem Häuschen, wenn sie plötzlich. auf Jemanden treffen, der sich ihre gemeinen und niedrigen Angriffe nicht gefallen läßt. Die Juden verleumden, sie in ihrer Ehre, in ihrer .Sicherheit und in ihrem Erwerbe bedrohen — das ist erlaubt. 'Wenn aber endlich Einer, und wir wünschen, daß ihm recht Viele folgen mögen, sich erhebt und die auf ihn ansprengende Meute mit einem Fußtritte abwehrt, dann erhebt sich ein Wuthgeheul und die Individuen, deren ureigene Natur die bestialische Rohheit ist, reden plötzlich von der Bildung, die der Jnsultirte im Zustande der Nothwehr außer Acht gelassen. Der Fall Benedikt—Schneider darf nicht vereinzelt, sondern muß im Zusammenhänge mit den Zuständen, wie sie sich ent¬ wickelt haben, und mit den allbekannten Vorgängen in den Ver¬ sammlungen und im Gemeinderathe beurtheilt werden. So wie bisher geht es absolut nicht weiter und den schuftigen Anfällen eines Ernst Schneider gegenüber, über die Dr. Lueger natürlich kein Wort verliert, gibt es eben keinerlei parlamentarisches Mittel. Das Verhalten des Dr. Benedikt wurde vom Land¬ tage mißbilligt, ohne daß diese Körperschaft für das kecke und provocatorische Benehmen des Ernst Schneider den gleichen Tadel gefunden hätte. Das ist eine craffe Ungerechtigkeit, welche die Wirkung des dem Herrn Dr. Benedikt ertheilten parla¬ mentarischen Verweises gänzlich aufhebt. Wir wiederholen es: die Sympathien aller anständigen Menschen stehen auf Seite des Herrn Dr. Benedikt, und wenn er sich ein Versehen hat zu Schulden kommen lassen, so liegt das vielleicht in einer ganz anderen Richtung, als in derjenigen, in welcher er den Tadel des Landtages über sich ergehen lassen mußte. Unter allen Umständen begrüßen wir es auf's Freudigste, wenn dem Stampiglienfälscher und falsche Zeugen-Werber sammt seinen Freunden und Gesinnungsgenossen ein drastischer Beweis dafür geboten wird, daß sie nicht ungestraft das Recht und die gute Sitte verleugnen dürfen und daß sie mit der energischesten Zurückweisung Derjenigen zu rechnen haben, gegen welche sie sich bereits Alles erlauben zu dürfen glauben. , Wenn angebotene Ohrfeigen mit der Würde einer parla¬ mentarischen Körperschaft nicht in Einklang stehen, so ist das frei¬ lich wahr, aber daftir kann nur Derjenige verantwortlich gemacht werden, der ohne jeden Grund, blos seiner Confession wegen, be¬ schimpft und verhöhnt wird. Eine größere Herabwürdigung für den niederösterreichischen Landtag kann es überhaupt nicht mehr geben, als daß ein Ernst Schneider daselbst einen Platz einnehmen darf. In der ganzen Debatte hat ein einziges Monierst angenehm berührt, und das war die Genauigkeit, mit welcher Dr. Lueger über" die Aeußerung des Dr. Benedikt referirte, und diese lautete: „Ein zweites Mal werde ich Sie ohrfeigen, Sie Lump!" Der Eindruck, den die Sache auf jeden Kenner des Ernst Schneider machte, wäre ein unvollständiger gewesen, wenn Dr. Lueger an diese wichtige Ergänzung des Benedikt'- schen Citates vergessen hätte, welches so sehr den heimat¬ lichen Anschauungen entspricht. Der Anarchismus des „dummen Kerls von Wien" In jenem Blatte, dessen Kopf durch die Aufschrift: Heraus¬ geber Ernst Bergani" genügend gekennzeichnet ist, haben wir diese Woche eine socialpolitische Auslassung gesunden, die nicht nur wie gewöhnliche Leitaufsätze des „Deutschen Volksblatt" die Aufmerksamkeit eifriger Stplblüthensammler verdient, sondern an der auch weitere Kreise nicht achtlos vorübergehen dürfen. Dieser Aussatz gestattet näm¬ lich einen tiefen Einblick in die wirthschastlichen Zukunftspläne der antisemitischen Partei, er ist geeignet, auch jenen Naivlingen die Augen zu öffnen, welche den schwarzen Umstürzlern bereitwilligst die Juden opfern möchten, und dies in dem naiven Glauben, daß damit der Moloch Antisemitismus gesättigt sein würde. Wenn die Juden auf- gefreffen sein werden, müsse naturgemäß Ruhe und Frieden eintreten; dann könnten die Bischöfe ruhig schlafen, die christliche Industrie könne gemüthlich ihrer Erträgnisse sich freuen, das immobile Capital wäre vor Neid und Schelsucht gesichert und der Herr Hausherr ein Gegenstand der allgemeinsten Verehrung. |