Sette 390 Dr. Vloch's WochenMxrtfl Nr. 19 Gehimen die Erkemitniß aufgedämmert sein, was man heute christlich schilt und social schimpft. Der antisemitische Kinderkreuzzug bedeutet vielleicht den Höhepunkt dieses gottvergessenen Treibens, geradeso wie der Kinderkreuzzug des Mittelalters sich als die Culmination einer wahnwitzigen, von halbverrückten Pfaffen fanatisch geschürten, den Volkswohlstand vernichtenden Agitation darstellle. Höher geht's nicht mehr. Künftige Jahrhunderte werden in ihren Annalen des antisemitischen Kinderkreuzzuges nicht mehr ver- geffen dürfen als eines der sprechendsten und merkwürdigsten Belege für die Moral der Lueger-Aera. Asstmilation. *) Eine Betrachtung. In wenigen Tagen wird die diesjährigeJahresausstellung im Künstlerhause geschlossen. Sie hat den jüdischen Künstlern manche Ehre gebracht. Irren wir nicht, so ist die R i e s, der für ihren großgedachten, grüblerischen, wenn auch von Stuck beeinflußten „Lucifer" die goldene Carl Ludwigs- Medaille zuerkannt wurde, jüdischer Abstammung. Isidor Kaufmann, der nach langer, mühseliger Brodarbeit mit seiner „Sabbathandacht" in einem orthodoxen Tempel, wäh¬ rend die letzten Töne von des Vorbeters Liede verklingen, einen großen künstlerischen Fortschritt bekundet, seinen Special¬ erfolg als Schaffender errungen, erhielt, nachdem ihn Kritik und Publicum reicherer Ehren für werth gehalten, doch mindestens für sein inniges und großes Werk den Königswarterpreis. Der Anlaß scheint uns nun günstig, einmal auf dem Gebiete der Gesammtkunst Umschau zu halten, zu untersuchen, was es wohl mit der Unmöglichkeit einer Assimilation der Juden, welche die Gegner mit einer solchen Ueberzeugung behaupten, auf sich haben möge. Vielleicht stimmen die Ergebnisse doch Manchen nachdenklich; wenn er nur sonst nicht eingeschworen ist, selbst gegen seine Ueberzeugung, auf die neuen Lehren. Und wenn sie die Juden mit einigem Stolze auf das erfüllen, was aus ihnen hervorgegangen ist, so schadet das nichts. Sie können es augenblicklich ganz gut gebrauchen. Daß die Kunst die feinste Blüthe jeder menschlichen Gesittung ist, das steht wie ein Gemeinplatz. Daß sie, um sich recht und gedeihlich zu entwickeln, national sein muß, das ist ein Axiom. Denn der Dust und die Form der Hecken¬ rose sind wohl nicht so intensiv und bestechend, immer aber feiner und holder, als der ihrer gezüchteten Schwestern, und veredeln kann man überhaupt nur auf einen Wildling, das heißt also auf ein bodenständiges Stämmchen. Wer also in einer nationalen Kunstform etwas leisten will der muß sich das Beste und Innigste des betreffenden Volkssinues angeeignet haben, der muß in sich fühlen, was diesen Men¬ schenschlag bewegt, was ihm wichtig, was ihm kostbar ist. Selbst seine Vorurtheile mitzuempsinden, wird ihn minder schädigen, als wenn der Schaffende, ein gelassener Beobachter, von Außen her in das zu dringen suchte, was nur innerlich entsteht, nach rein innerlichen Gesetzen sich entfaltet. Darum bleibt die Wissenschaft, das Erlernbare, außerhalb unserer Betrachtung. Zunächst sei ein kurzer Blick auf die bildenden Künste geworfen. Man behauptet nicht, daß Mütterchen Rußland Ihre jüdischen Künstler mit sonderlicher Zärtlichkeit um¬ fange. Und dennoch ist es einem Juden gelungen, was neben ihm nur noch dem Böhmen Myslbeck gerietst Antokolski hat, wie man sagt, die Plastik mit flavischem, mit echt russischem Geiste erfüllt und sich dadurch erst aus dem ersten Kunstmarkte der Welt, in Paris, eine sehr gefeierte Stellung, alsdann in seiner Heimat jene Geltung erworben, die einer so mächtigen Begabung gebührt. Wie das mit seiner sla- vischen Plastik zu verstehen sei, können wir, denen keines *) Aus Anlaß der Polemik Dr. G ü d e m a n u—Dr. Herzl siudet uns ein hervorragender österreichischer Dichter vorstehenden Aufsatz, den wir gerne zur Kenntniß unserer Leser bringen, wenn wir auch nicht mit allen Schlußfolgerungen des geehrten Verfassers über¬ einstimmen. seiner Hauptwerke voll ausgeführt bekannt ist, natürlich nicht bestimmen. Etwas muß wohl daran sein, denn ge¬ wiegte Kenner haben dies Losungswort ausgegeben, haben den russischen Juden als durchaus national, als eine ganz echte und wesentlich russische Erschemung gefeiert. Wir müssen uns wohl dabei bescheiden. Ein Bahnbrecher scheint er unter allen Umständen zu sein; das ist in der Plastik schwerer denn anderwärts, weil der Bildner immerdar durch den spröden Stoff, den er meistert, bedrängt, durch die Be¬ dingungen des Raumes, den voll zu füllen seine Aufgabe ist, gebunden sein wird. Kein Künstler braucht so unbedingte Hingebung an seine Themen, als der Landschafter im modernen Sinne. Er soll sich in das Stückchen Welt, welches abzuschildern er sich vorgesetzt, versenken mit allen seinen Sinnen, soll es förmlich in sich saugen, um es dann bestimmt und in seiner vollen Eigenart wiedergeben zu können. Besonders schwer ist es, die Poesie dürftiger Landschaft zu heben, den Eindruck der Oede und der Gottverlaffenheit wahr und den¬ noch nicht so beklemmend festzuhalten, daß es unerträglich wirkt. Einem ist es geglückt, sogar der Mark Brandenburg ihren Reiz abzugewinnen. Man muß diesen dürftigen Boden wohl sehr lieben, muß fick sehr mit ihm verwachsen fühlen, um sich so an ihn dahinzugeben. Dieser Eine thut es rast¬ los und unermüdet. Er malt diesen wehenden Sand mit dem dürftigen Graswuchse darüber, mit den zerzausten Föhren, die sich kümmerlich daraus gen Himmel heben: malt diesen blaugrauen Himmel mit den ziehenden, wei߬ grauen Wolken darauf: diese Erde mit ihren Bewohnern — den Menschen, die nur durch rastlosen Eifer ihm das Nöthige und selbst mehr abgewinnen, die freilich durch die ständige Mühe frühe verkümmern, den eigenwilligen Ziegen, den trägen Kühen, die hier grasen. Er hat seine Heimat eigent¬ lich erst künstlerisch entdeckt; das Spiel des Windes und jeder Bewegung überhaupt weiß er festzuhalten, meister¬ lich, überzeugend, wie Keiner. Und dieser Urmärker ist ein Jude, entstammt, wenn wir nicht irren, selbst dem vielge¬ schmähten Thiergartenviertel. Klingenden Lohn trug ihm seine Kunst keinen. Er kann darauf verzichten. Aber reiche Anerkennung, und zwar der feinsten Kenner, ist ihm zu Theil geworden; man stellt ihn, den Entdecker des Landes, neben Menzel, den Schilderer seiner Leute, und, wenn man die besten Namen in deutscher Kunst der Gegenwart nennt, so darf man seinen Max Lieb er mann, nicht vergessen. Alsdann das Sittenstück. Da sprach man durch Jahre in den Berliner literarischen Kreisen von einem blutjungen, schwächlichen Bürschchen, das für die Zukunft Großes ver¬ heiße, das eine Frühreife und ein Können bekunde, erstaun¬ lich nicht nur in Anbetracht seiner Jahre. Diese Saison vermittelte uns die Bekanntschaft des Dichters, den die Berliner Kritik in einzelnen Stimmen unmittelbar nach der Aufführung seines Dramas, meines Erachtens frevelhaft übertrieben, als den Vollender dessen gepriesen, was der einsame und große Gerhart Hauptmann gewollt, wie seines Werkes: Georg Hirschfeld's und der „Mütter". Nie¬ mals ist das kleinste Bürgerthum Berlins inniger und mit mehr Neigung gemalt worden, als hier, wo man vordem nach Suderman nur die Schatten gesehen, dort fand Hirschfeld auch das Licht. Seine ganze Wärme wendete er nicht dem jüdischen, wohlhabenden Hause zu, dem der trau¬ rige Held entsprossen ist und das ihn nach gemeinem Welt¬ lauf endlich wiedergewinnt — sie gehört dem armen Mäd¬ chen, das dem Geliebten so Alles hingegeben hat, so ohne Wunsch und so ohne Lohn. Die strenge Zucht der jüdischen. Familie wird hier direct als etwas aufgezeigt, was zu überwinden wäre, das der junge Künstler aus innerer Schwäche nicht zu überwinden vermag. Das eigentliche Wiener Stück aber, eine Gattung, die im Aussterben schien, hat wieder so ein Judenstämmling, C. K a r l w e i s, neu belebt. Aus genauester Kenntniß dieses Bodens, der einem |