Nr . 53 Vr Vlvch ' s Wochenschrift Sette 2075 gehen . Es war Weihnachtsmarkt ; sie hatte mit Lilli , die Alles bewundern wollte uitb mußte, - sich wohl zu lauge auf demselbeu verweilt , eiu rauher Wind wehte , Abends klagte das Kind über Halsschmerzeu . Sie brachte es sofort zu Bette , wendete lindernde Mittel an , jedoch Lilli wälzte sich fieberglüheud in unruhigem Schlafe mit schrill auf einander knirschenden Zähnen hin und her . Eine furchtbare Angst preßte ihr Herz zusammen ; eine nie gekannte , tiefe , fast hoffnungslose Bangigkeit bemächtigte sich ihrer , als sie regungslos , mit angehaltenem Athem , still be¬ obachtend am Bettchen des Kindes saß . Ihr Mann war bereits in die Sitzung der medicinischen Sectiou gegangen , als Lilli zu klagen anfing . Sollte sie ihn holen lassen ? Nein , er mußte ia doch wohl bald kommen . Die treue Minna , das Hausmädchen , die seit ihrer Verheiratung schon bei ihr war und die junge Herrin vergötterte , saß bei ihr , ihre Sorge theilend . „ Wenn nur der Herr Professor schon käme , ich fürchte , unser Herzblatt ist sehr krank " , flüsterte die treue Seele . Der Athem des Kindes geht schneller , ein pfeifender Ton macht sich bemerkbar . „ Gott , mein Gott , schütze unser Kleinod " , flüstern ihre bebenden , schneebleichen Lippen . Sie ahnt es , sie weiß es , mit erschreckender Deutlichkeit sieht sie das Gespenst herannahen , Diphtheritis ! Da endlich hört sie den wohlbekannten Schritt ihres Mannes . Mit niühsam errungenem Gleichmuthe tritt sie ihm entgegen , schreckensbleich , doch möglichst ruhig , sagt sie : „ Gott sei gepriesen , daß Du endlich da bist ! Wie habe ich mich nach Dir so schmerzlich gesehnt ! Erschrick nicht , Geliebter , ich fürchte , Lilli ist sehr krank , sie fiebert stark und ihr Athem geht pfeifend schnell ! " Die eigenthümliche Starrheit , die fahle Blässe des geliebten Antlitzes fällt ihm sofort auf ; sie hängt sich schwer an seinen Arm , sie bedarf der Stütze so nöthig ; vereint treten die Gatten an das Bettchen ihres Lieblings . Gespannt forscht sie in seinen erusteu Augen , seinen blassen , erregten Zügen , in denen sie wie in einem Buche zu lesen versteht . „ Sprich es aus , Geliebter , ich bin stark . Ich erkannte sofort an den Symptomen , die verheerendste , schrecklichste aller Kinderkrankheiten nahe sich . Gott wird Dir beistehen , Hilfe zu bringen ! " flüstert sie mit schmerzvoll zuckenden Lippen , sich an ihn lehnend , seine Hand in festem Drucke fassend . „ Mein Heldenweib " , flüstert er zurück , preßt sie an sein Herz und küßt den goldenen Scheitel . Welche Nacht ! Was Vatertreue und Mutterliebe vereint mit der höchsten Vollkom¬ menheit ärztlicher Kunst aufbieten können , die furchtbaren Selben des einzigen , über Alles geliebten Herzensschatzes zu lindern , ge¬ schieht . Vergebens ! Leonie selbst wagt den Vorschlag zu machen , das letzte verzweifelte Mittel , den Luftröhrenschnitt , auszuführen . „ Gott wird Deine Hand lenken , zum Heile unseres Lieb¬ lings " , flüstern die bebenden Lippen der todtblassen Frau . Im Beisein zweier berühmter Collegen willfahrt er ihr , seine Hand zittert nicht , und sie hält , ohne mit einer Wimper zu zucken , das Kind in ihren Armen . Drei Männeraugenpaare wurden feucht in lautloser Bewunderung dieser Heldenmutter . Alles vergebens ! Einige Stunden später bedeckte geisterhafte Blässe das einst so liebliche Kinderantlitz ; der Blick der süßen , blauen un - schuldsvollen Kinderaugen umflorte sich ; ein heftiges Zucken durchfuhr den fast schon regungslosen Körper . Ueberwältigt von unsäglich bitterem Schmerze wollte Leonie mir ihren heißen Lippen den schon in Todesstarre erkaltenden süßen Kindermund berühren , mit ihrem warmen Athem dem sterbenden Kinde neue belebende Kraft einhauchen , als der sich tief über fein einziges , sterbendes Kind neigende Vater mit dem einen Arme das kleine zurücksinkende Haupt auffing , während er mit dem anderen ge¬ waltsam die geliebte Frau von dem Antlitze des verscheidenden Kindes entfernte , damit sie nicht den verderbenbringenden Hauch einathme . Das kleine Herz hatte aufgehört zu schlagen ; starren , thränenlosen Blickes , eng aneinander geschmiegt , Hand in Hand beteten die erschütterten Gatten an der Leiche ihres todten Lieblings das uralte Zauberwort Jsrael ' s , das da aufrichtet die Gebeugten , tröstet die Trauernden : » Schema jisrae ] , adonai elauhenu , adonai echod ! « Als die kleine Leiche in die kühle Erde gebettet war , als Leonie starr wie ein Marmorbild ihre schwerste Pflicht erfüllt hatte , brachte am Abende des trauervollsten Tages der milde Schein der Chanukalichtchen , denen Lilli stets so freudig zuge - jubelt hatte , ihr wieder die ersten lindernden Thräneu . Ihr Mann hielt sie in seinen Armen , sein Auge ruhte in liebevoller Besorgniß auf ihrem schönen Antlitze , aus welchem der angstvolle , todestraurige Ausdruck zu weichen begann . „ Mein Heldenweib , sei stolz und stark ! Laß uns muthig und ergebungsvoll tragen , was Gott uns auferlegt ! " flüstert er weich , ihren Mnnd , ihre Augen , ihr goldenes Haar zärtlich küssend . Am andern Tage fuhren sie nach Berlin ; aus ihrem Munde sollten die Eltern die Hiobspost erfahren ; bei ihnen fanden sie die zärtlichste Theilnahme , das innigste Mitgefühl . Leonie sollte wochenlang bei den Eltern bleiben , ihr Mann wollte sie dem Schauplatze ihres höchsten Erdenglückes , ihres bittersten Schmerzes entrücken ; andere Räume sollten sie bei ihrer Heim¬ kehr umfangen , ihr Mann wollte in ihrer Abwesenheit mit der treuen Minna Hilfe die Uebersiedlung in eine andere Wohnung bewerkstelligen . Sie wehrte sauft , aber energisch alle seine Vor¬ schläge und Bedenken zurück . „ Als ich sechzehn Jahre zählte , sagte mein Bruder , ich sei aus dem Holze der Heldinnen geschnitzt ; Du , Geliebter , nanntest mich in den schwersten Stunden von Gefahr und Tod Dein Heldenweib und ich sollte nun feige die Stätte fliehen , an welche mich tausend süße , glückliche und schmerzliche Erinnerungen knüpfen ! Nein , Geliebter , die Stätte ist geheiligt , die Räume sind geweiht , in denen die kleinen Füßchen unseres todten Lieblings ihre ersten Schritte machen lernten , in denen sein erstes Lallen , sein helles Jauchzen erklang . Wir kehren zusammen heim und Du sollst mit mir zufrieden sein ! " „ Mein Heldenweib , mein holder Engel " , flüsterte er , ihre Hände mit heißen Küssen bedeckend . Als sie nach thränenreichem Abschiede von den Eltern wieder ihr jetzt so still gewordenes Heim am Arme des geliebten Mannes betrat , verlor sie die so mühsam errungene Fassung ; gebrochen lehnte die zarte Gestalt in fetueu Armen und schluchzte laut . „ Wie werde ich ohne das Kind leben können ! Verödet die Stätte ! Nun das Kind in ewigem Schlummer ruht und meiner nicht mehr bedarf ; laß ' mich Geliebter in treuer Pflichterfüllung anderer Art , in ernster Arbeit mit Dir , neben Dir , Trost und Erhebung finden für mein grenzenloses Wehe ! " Die schönen , thränenüberströmten Augen blickten bittend zu ihm auf . „ Verödet , mein geliebtes Leben , wäre mein Haus , hätte ich Dich , Du meine holde Lichtgestalt , verlieren müssen . Gott ist barmherzig ! Er hat unser Kind , die köstliche Gabe , die er uns verlieh und damit unser Leben reich machte und verschönte , zurückgefordert , denn Kinder sind nur geliehenes Gut ; doch ivir wollen die Erinnerung an das Kleinod , das wir besessen , be¬ wahren , was ja so Vielen auch versagt ist ; aber Gott hat Dich mir gelassen . Du , mein Stolz , meines Lebens Sonne , wie bin ich noch so reich und glücklich ! Du sollst mir helfen , Du sollst mir immer nahe sein , als Engel des Trostes und der Barm¬ herzigkeit für meine Kranken . " Eine schwere dunkelrothe Plnschportiere trennt jetzt nur noch ihr Boudoir von seinem Empfangszimmer ; das nächste große Helle Zimmer dient ihm als Studirzimmer ; so wurde bald in den nächsten Tagen die Eintheilung der Räume verändert . Welches Glück erfüllt Leonie inmitten ihres großen Schmer¬ zes ; sie kann ihrem Manne dienen , sich ihm nützlich und hilf¬ reich erweisen , sie hat einen Lebenszweck gefunden . Sie versteht den leisesten Wink seiner Augen , ihr geräuschloser Schritt stört ihn niemals ; sie schlägt oft und gerne für ihn in den mächtigen Folianten nach ; die Kranken bringen ihr volles Vertrauen entgegen . Oft , ja fast täglich wandert sie nach dem Friedhofe zu Lillis kleinem Hügel ; ihr Mann theilt den Friedhofcultus , den sie treibt , nicht , ja er mißbilligt denselben sogar ; allein Frauen Pflegen in anderer Weise zu trauern , als Männer ; so zürnt er ihr nicht und läßt sie gewähren . Die Zeit geht eilends dahin ; wiederholt hat er ihr den Vorschlag gemacht , eine jugendliche Gefährtin in das Haus zu nehmen , um für die zahlreichen einsamen Stunden , in denen er nicht mit ihr , bei ihr sein kann , eine Gesellschafterin zu haben . Hat auch der Tod des Kindes , deffen junges Leben so reiche Hoffnungen , eine so lichtvolle Zukunft verhieß , eine nie ausfüll - bare Lücke in ihrem Herzen und in ihrem Hause zurückgelassen . |