alt. 40 Dr. Blach's Wortzenschrrft. Seite 641 daß die rumänische Regierung, gleichzeitig mit den Erklärungen, die sie abzugeben für gut erachten wird, auch genügende Versicherungen bezüglich der Anwendung der Bestimmungen des Berliner Vertrages ertheilt." Wir bilden uns durchaus nicht ein, daß durch die neueren Ereignisse die Situation unserer unglücklichen Brüder in Rumänien mit einem Schlage eine Besserung erfahren werden. Ihrem alten Vorbilde getreu, dem Pharao der Bibel, werden die rumäni¬ schen Machthaber zunächst ihr Herz verhärten, trotzig die Ver¬ folgungen fortsetzen, die Grausamkeit steigern, die Leiden der Gehetzten und Bedrückten dürften jetzt gerade unerträglich werden. Schon kommen aus Bukarest Mittheilungen, welche solche Absichten der dortigen Gewalthaber deutlich genug verrather. Es müssen noch ganz andere Plagen über dieses Land Herein¬ brechen, soll den Unglücklichen die Sklavenkette gelöst werden. Allein das Gottesgericht wird auch diesmal nicht ausbleiben. Vom Jahrmarkt de» Lebens. Glossen zur Tagesgeschichte. Emil Zola. — Die Landtagswahlen. — Edmund Jellinek und Ern st Bergan i.) Eine Trauerkunde geht durch die Welt: Zola ist tobt! An der Bahre dieses Großen, den ein tragisches Geschick mitten im reichsten Schaffen gefällt hat, trauert die gesammte Culturwelt; doch mehr, als alle anderen Völker müßten wir Juden das Hin¬ scheiden Zola's beklagen. Denn er war ein Genie des Geistes und ein Heros der Gerechtigkeit, einer jener erleuchteten Männer der Völker, von welchen unsere Lehrer sagten, daß sie, der Un¬ sterblichkeit sicher, am Horizont der Menschheit wie ewige Ge¬ stirne leuchten. Er war ein Geistesriese, der die wilden, toll gewor¬ denen Mächte der Finsterniß gebannt und bezwungen. Seinem muthigen Eingreifen ist es zu danken, daß die „Affaire Dreyfus", die wie ein schwerer Alp auf der Judenheit lastete, durch die Hebel der Wahrheit und der Gerechtigkeit von uns abgewälzt wurde. Wir kennen den tieferen Sinn, den unsere Feinde in die „Affaire" hineinzulegen wußten. — Der Jude ist fähig, das er¬ bärmlichste Verbrechen zu begehen, den Hochverrath! — Dieses Axiom sollte durch die Affaire illustrirt werden. Den Juden- haffern von der Sorte des Drumont war die Affaire ein willkommener Anlaß, die französische Volksseele mit dem Gifte des Antisemitismus zu durchtränken. — Die Juden sind Fremd¬ linge — so predigte „Libre parole“ Tag für Tag, — sie kennen keine Vaterlandsliebe, Dreyfus ist der würdige Repräsentant der Juden, die insgesammt werth sind, ihm auf der Teufels¬ insel Gesellschaft zu leisten. Und wir erinnern uns, welch' lautes Echo dieser antisemitische Weckruf der französischen Blätter in der antisemitischen Presse aller Länder fand. Wie Drumont sich räusperte, so spuckte Bergani in Wien und die geistigen Hintermänner der „Staatsbürger-Zeitung" und die Preßmeute des sonstigen antisemitischen Erdenrundes. Unter dem Schlachtruf „Nieder mit den Juden! Nieder mit Dreyfus!" wurden antisemitische Wahlsiege erkämpft, jüdische Geschäftsläden geplündert und Juden mißhandelt. Die Affaire Dreyfus war ein Unglück für die Juden aller Länder. Da trat Zola auf den Plan und rief sein dröhnendes „Ich klage an!" in die Welt hinaus. Er klagte die französischen Richter der Un¬ gerechtigkeit an, er wagte es, umringt von einer dichtgedrängten Rotte fanatischer Anti-Dreyfirsisten, für die Unschuld des Ex- Capitäns einzutreten. Das Donnerwort Zola's wirkte wie ein reinigendes Gewitter, das die schwülen, mißdustigen Dünste aus¬ einanderscheucht. Es wurde Licht in der „Affaire", die wurm¬ stichigen Ehrenmänner L la Esterhazy, Gonse, Mercier standen in voller Beleuchtung da, die Freunde der Gerechtigkeit, die von der Unschuld des Dreyfus überzeugt waren, fanden den Muth, für den unschuldig Berurtheilten einzutreten, eine Gruppe von Wahrheitsfreunden sammelte sich um Zola, die öffentliche Meinung wurde zum Theil umgestimmt und schließlich gelang es, die Unschuld des Ex-Capitäns an's Licht zu bringen. Den Antisemiten war eine wuchtige Waffe aus den Händen geriffen, der Dreyfus-Alp war von der Judenheit genommen. Und das war hauptsächlich das Werk Zola's. Im gebührt ein Platz neben den besten Wohlthätern der Judenheit. Und wir Juden, die wir stets dankbaren Herzens derer gedenken, die uns Gutes gethan, werden diesem Edlen immerdar einen Ehrenplatz in der Reihe unserer Wohtthäter einräumen. Die Herren von Wien rüsten sich für die Landtags- Wahlcampagne, und jeden Tag schleichen sie sich an eine andere Berufskategorie heran, um sie durch Versprechungen zu ködern und die Stimmen zu ergattern. Die fortschrittlichen Parteien rechnen bereits mit ziemlicher Sicherheit aus den Sturz der christlich-socialen Partei, gestützt auf die allerdings sehr beachtens- werthe Gegnerschaft, die dem Dr. Lueger und seinem Anhang in den Landstädten Niederösterreichs, insbesondere von St. Pölten aus, erstanden ist. Diese Siegeszuversicht halten wir für einen großen Fehler, der leicht verhängnißvoll wirken kann, weil sie die Indifferenten dazu verleiten könnte, sich der Ausübung der Wahlpflicht zu enthalten mit der bekannten Ausrede, es komme auf ihre Stimme ohnehin nicht an. Wir halten die Niederlage der Christlich-Socialen keineswegs für so ausgemacht. Das ist wohl allgemein bekannt, daß die sechs Mandate in der Innern Stadt das Zünglein an der Waage bilden, und insoweit es sich um die Erhaltung dieser Mandate handelt, machen wir die jüdischen Wähler in der Innern Stadt aufs Nachdrücklichste auf¬ merksam, daß es sich da um jede einzelne Stimme handelt und daß die Juden in der Innern Stadt vermöge ihrer großen Anzahl auf das Ergebniß der Wahl großen Einfluß üben können. In der Leopoldstadt candidirt der schöne Carl persönlich. Dem Oberhaupt der Christlich-Socialen eine Niederlage zu bereiten, das wäre ein sehr werthvoller und moralischer Erfolg, der aber nur erzielt werden kann, wenn alle anständigen Wähler durch den Stimmzettel gegen die Fortdauer der corrupten christlich-socialen Wirtschaft protestiren. Der dicke Strobach candidirt im neunten Bezirke, im Plvfefforenviertel; es sollte nicht allzu schwer sein, die Fettkugel aus dem Bezirke hinauszurollen. Daß der Sturz der derzeitigen Landtagsmajorität den Juden zu unmittelbarem Vortheile gereichen wird, darüber geben wir uns allerdings keinerlei Illusionen hin. Die deutsche Volkspartei ist trotz Bölkl antisemitisch angehaucht, der Großgrundbesitz kokettirt mit dem sogenannten „wirthschaftlichen" Antisemitismus, und die Liberalen pflegen einer Stellungnahme zu Gunsten der Gleichberechtigung der Juden mit großer Vorsicht auszuweichen. Alle diese Parteien bieten uns aber wenigstens die Gewähr, daß, insoweit es auf sie ankommt, wenigstens das Gesetz beobachtet wird. In der christlich-socialen Partei hingegen stehen wir einem Feind gegen¬ über, für dessen politische Existenz die Judenhetze unentbehrlich ist. Den genirt weder Recht noch Gesetz. Wird die Macht der Christlich-Socialen im Landtage gebrochen, dann wird es auch eher möglich sein, die Communalverwalrung ihren Klauen zu ent¬ reißen, wo sie der jüdischen Bevölkerung auf Schritt und Tritt viel größeren unmittelbaren Schaden zufügen können als im Landtage. Die nächste Aufgabe der fortschrittlichen Wählerschaft also ist die Herbeiführung einer Niederlage der Christlich-Socialen im Landtage, und die weitere, die reactionäre, gemeinschädliche Klique aus dem Rathhause hinauszuwerfen. * * * Der „jüdische" Defraudant Jellinek. Das war wieder ein gefundenes Fressen für die Gesinnungsgenoffen des Defraudanten Wastl. Insbesondere das „Deutsche Volksblatt" erklärt das Ver¬ brechen Jellinek's nicht mit dessen individueller Gewissenlosigkeit und Habgier, sondern mit den „Eigenthümlichkeiten der Race". Man konnte auch die infame Verdächtigung lesen, daß der „Mische" Polizeirath Stuckart den Verbrecher absichtlich habe entwischen lassen und daß die Juden sich Jellineks annehmen und den Glauben verbreiten, er habe sich umgebracht, damit er sich in Sicherheit bringen könne. Diese schuftige Ausbeutung eines Ver¬ brechens zu Zwecken der Judenhetze hat uns durchaus nicht über¬ rascht; hätte man die Leiche Jellinek's nicht gefunden, so wäre es dabei geblieben, daß die Juden diesen „Stammesgenoffen" verbergen und ihn auf einer koscheren Privatyacht nach Amerika befördert haben. Bei dieser Campagne mag auch der stille Neid mitgewirkt haben. Konnte Edmund Jellinek nicht Bürgermeister von Mühldorf sein und Ernst Bergani Caffier der Länderbank? _ Isegrim. Englische Politiker über die rumänische Gesetzgebung gegen die Juden. In London erscheint unter dem Titel „Roumanian Bulletin“ von Zeit zu Zeit ein Flugblatt, das den Zweck hat, auf die JudenverfolgunginRumänien aufmerksam zu machen. Dasselbe bringt nun in seiner neuesten Ausgabe einige interessante Zuschriften von bekannten Engländern, die wir nachfolgend wieder¬ geben: |