Hr. 6 Dr. Bloch’s IahrgsnsLxvii Zenttalorgan kür die gesamten Interessen des Judentums. --n — . n- Wien, 11. Februar 1910 Brscbetnt jeden Freitag. ’ Brief-Adresse: Wien. IX/i r Hahngaffe 15. r Telegramm-Adresse: Gloch's Wochenschrift, Wien. OG ^ Vrxrrgsprris DO für Vrfkrrrrich: 0 Halbjährig 8 Kronen: Einzelexemplare 50 Heller. Für'» Arralnnv: Halbjährig 10 Kronen. Ganzjährig 20 Kronen. Anzeigen: Die 4malgespal- tene Petitzeile 24 Heller. PO- - rD U OG O Do C D. ft. VofisparftslsrnLMk Eleartng-Verkebr Mr. S10.S76. Redaktion und Administration: Wien IX/i, Hahngaffe Nr. 15. ^ Telefon Nr. 14.847. ^ O p -o f Inhalt: Leitartikel : Ungarns Inden am Scheidewege. — Heidnische, christliche und jüdische Familie. — Das Buch Hiob auf der Ober¬ stufe der Mittelschule. — Vom Jahrmarkt des Lebens: Die 50jährige Jubiläumsfeier des 72. Hausregiments. Hilferuf der Rabbiner und Vorsteher der sephardischen Gemeinde Tiberias (Palästina). La belle Juive. Das katholische MeßNeid jüdischen Ursprungs. Ein Geburtstag. Suspension eines Oberrabbiners. Die Schächtfrage in der Justizkommission des deutschen Reichstages. Kündigungsfrist der Privatdozenten. Die Leichenverbrennungen und die Konfessionen. Rothschild und der „Bibelkuß". Die jüdischen Bettler in New-Iork. Ein dreizehnjähriger jüdischer Komponist. — Korrespondenzen: Der neue ungarische Ministerpräsident über die Juden. Der Verein Frauenhort. Wien. Ein Boykottkomitee in Rumänien. Ludwig August Frankl-Feier in Prag. Juden im französischen Staatsrate. Eine österreichische Auszeichnung an einen Juden in Salonichi. Die ottomanische Kriegsflotte und die Juden. Zuflucht König Eduards bei einem Juden. Rußland „Ein Paradies für Juden". Konfiskation wegen eines judenfreundlichen Artikels. Eine Ehrung Michelsons. Verschärfung der amerikanischen Einwanderungsgesetze. Gegen die geplanten Erschwerungen der Einwanderung in Amerika. — Vermischtes. — Feuilleton: Jünglingsjahre. — Literatur. — Briefkasten. — Notizen. — Inserate. Ungar«« Inden am Scheidewege Der ungarische Handelsminister im Kampfministe- cium Khuen-Hedervary hat in der Slowakenstadt Iglo eine Kampfrede gehalten, der eine enorme politische Be¬ deutung zukommt. Für Ungarn schlägt jetzt eine Schick- salsstunde. Man rüstet pon Seite der Regierung gegen die adeligen und bürgerlichen Parteien der jenseitigen Reichs¬ hälfte. welche die Gemeinsamkeit der Donaumonarchie so¬ wohl in wirtschaftlicher wie in politischer Beziehung mit Fanatismus und Hartnäckigkeit auseinanderreißen wol¬ len. Alle Vernünftigen sind der Ansicht, daß sowohl der in zwei Teile gespaltene Staat als auch die in zwei Teile zerfallene Bank weniger Kredit im Auslande haben wer¬ den. Aber die magyarischen Adelsführer arbeiten mit Macht auf die Trennung hin und es ist ihnen umso schwerer auf verfassungsmäßigem Wege beizukommen, als sie die zur Wahl berechtigten Bürger für ihre Ziele zu entflammen wußten. Die historische Komik der po¬ litischen Situation liegt nun darin, daß man die Adels¬ regierung in Ungarn ganz gern an der Macht ließe, und zwar gerade deswegen, weil sie es verstanden hat, den Staat einheitlich magyarisch zu halten und zu führen. Diese Kunst war nicht gering, denn neben acht Millionen Magyaren beherbergt Ungarn zwölf Millionen anderer Nationalitäten. Aber die ungarischen Politiker haben sich in dieser Beziehung so tüchtig gezeigt, wie englische, und das war in mancher. Beziehung von ganz guter Wir¬ kung. Denn durch, das Niederhalten der Nationalitäten ersparte man in Ungarn den Sprachenstreit, der das Leben in Oesterreich lange verwüstet hat und man hielt im Süden die serbo-kroatischen Völkerschaften in Schach, unter denen für die Bildung eines grobserbischen Reiches und für den Abfall von der Donaumonarchie agitiert wird. Aber diese Vorteile waren immer noch kleiner als der Verlust und die Abtrennung von ganz Ungarn, auf welche namentlich die Unabhängigkeitsparteien hin- arbeiteten. Da nun die Kossuths und die Iusths und die Hollos sich nicht biegen wollen, so soll ihre unbe¬ schränkte Herrschaft gebrochen werden. Auf dem ganz ein¬ fachen Wege, daß man mit Einführung eines neuen Wahl¬ rechts die Majorität der Nationalitäten gegenüber den Magyaren zur Geltung kommen läßt. Wenn dieser Fall eintritt, so gibt es im ungarischen Parlament überhaupt keine magyarische Majorität mehr, sondern jeine rumänisch- kroatisch-serbisch-slowakische, der Terrorismus der unga¬ rischen Barone ist überhaupt für immer zu Ende, jeden¬ falls aber wird es dann zur Trennung der Gemeinsam¬ keit nicht mehr kommen. Das ist das Ziel des gegenwärtigen ungarischen Ministeriums, wie Hieronymi in seiner leidenschaftlichen Rede sagte: Die Entfesselung der Nationalitäten, in deren Hochflut der Uebermut der magyarischen Parteiführer ertrinken soll. Dieser Umschwung der Dinge wird für jeden Volksstamm in Ungarn eine vollständige Aenderung der Existenzbedingungen herbeiführen, besonders aber für die Juden. Bis jetzt haben diese den Machthabern eine un¬ erhört treue Gefolgschaft geleistet und haben dafür in einem gewissen Grade von Gleichberechtigung ihren Lohn gefunden. Wenn aber der Herzog fällt, muß der Mantel nach. Mit den Magyaren wird auch deren jüdischer Flü¬ gel in die Minorität und Verteidigungsstellung gedrängt werden. Dann werden die Abgeordneten der Nationa¬ litäten Vergeltung üben für eine lange Bedrängung, nicht an den Magyaren, mit deren Zahl und Kraft sie nicht so leicht fertig werden können, aber an den Juden. Diese haben sich leider die Feindschaft der Nationalitäten in einem hohen Grade zugezogen, indem sie überall die fanatischen Vorkämpfer des magyarischen Gedankens waren. Ein solches Vorgehen ist überall als die Frucht einer mißverstandenen Assimilation zu bemerken. Wenn ein Volksstamm den Juden den Anschluß gestattet, findet er an ihnen Anhänger, die für ihn selbst aufopfernd durchs Feuer gehen. Diesseits der Leitha waren sie solange freiwillige Leibeigene der Deutschen, bis sie den Haß aller Slawen hatten, jenseits des bedeutengsvollen Grenz¬ flusses erleiden sie dasselbe Schicksal im Dienste der Magyaren. Oft und oft wurde gemeldet, daß ein jü¬ discher Pionier des Magyarentums in einem slowakischen Karpathendorf seine Politik mit Gut und Leben bezahlen mußte. Wenn die Nationalitäten zur Macht ßommen. werden die Juden nicht mehr mit Hacke und Spaten er- |