Seite 102 Dr. Blocks Äochenschrift. Nr. 6 schlagen werden, wohl aber mit Gesetzen und deren Aus¬ legung. Es sei denn, daß sie rechtzeitig ihre Vor¬ kehrungen dagegen treffen. Es ist leider nicht zu erwarten, daß die ungarischen Juden gescheiter sein werden, als die österreichischen. Auch diese find mit ihren deutschen Herren in die politische Verbannung gegangen, haben für sie gewählt und ge¬ zahlt und haben dann von der Mißlaune einen Fu߬ tritt für ihre Dienste bekommen. Das ist schon einmal so, daß sich der schwächer Gewordene einen noch Schwä¬ cheren aussucht, an welchem er die Wut über seine Nieder¬ lage auslassen kann. Auch bei den Magyaren wird das nicht anders sein. Schon haben sie eine klerikale Volks¬ partei und 62 Ortsgruppen einer christlich-sozialen Partei mit einem Sprecher im Parlament. Das ist genug Anti¬ semitismus, um den ungarischen Juden ihre Zukunft zu zeigen und sie zu einer Tat aufzufordern. Diese Tat wäre vor allem die Organisation ihrer Macht. Senti¬ mentale Gefühle sind ein Unding in der Politik, die Vorbedingung des Erfolges ist die brutale Kraft. Mit ihrer dichten Bevölkerung einzelner Landesteile sind die ungarischen Juden ein Faktor, mit welchem man wird rechnen müssen, wenn er selbst wird rechnen können. Rechnen nicht auf die Liebe, sondern auf den Respekt und den eigenen Wert. Liebe vergeht, aber die Stimmen¬ zahl bei den Wahlen besteht. Sie kann für diese und für. jene Partei verwertet werden, darüber kann erst der Augenblick entscheiden, aber man darf sie nicht ver¬ schwenden, muß etwas für sie erhalten. So wie über¬ all die Minoritäten sich auf jene politische Seite schla¬ gen, wo sie nüchtern ihre bessere Rechnung finden, so muß auch der jüdische Standpunkt der einer politischen Wage sein. Man braucht deswegen durchaus noch nicht ganz von den Magyaren abzufallen, wenn deren Anti¬ semitismus tatsächlich in den Kinderschuhen bleibt. Aber man. must darauf gefaßt sein, daß zu einer Judenfeind¬ schaft der Nationalitäten auch noch die der Magyaren ausbricht und daß man dann zwischen zwei Organisa¬ tionen zermalmt wird, wenn man in einer dritten nicht genug Kraft zum Widerstande hat. Wir in Oesterreich, rechtlos gemacht durch unsere Zersplitterung und falsch ins deutsche Lager der Feinde geführt, mußten im Vor¬ jahre zittern, daß uns nicht das Parlament die Mittel¬ schulen für unsere Kinder sperrte. Die Juden in Ungarn mögen noch in der Zeit, in der sie genügend wirtschaft¬ liche Kraft haben, sich vor solchen Möglichkeiten schützen. Für ihre Organisation ist es jetzt Zeit zum Denken, Fleiß und Handeln. Heidnische, christliche und jüdische Familie. (Schluß.) Wie es bei solchen Kinderopfern mitunter zuging, erzählt uns Johann Cassianus, ein kirchlicher Autor des fünften Jahrhunderts und Schützling des heil. Johannes Chrysostomus, in seiner Schrift über die Klöster und deren Mängel*): Ein gewisser Patermutius brachte seinen achtjährigen Knaben zur Aufnahme ins Kloster, worauf dort Vater und Kind einer grausamen Prüfung unterzogen wurden. Der Knabe wurde vom Vater getrennt in schmutzige Lum¬ pen gekleidet und ohne jede Veranlassung oder Verschul¬ dung Deinerseits wiederholt geohrfeigt und geprügelt, so daß. die Tränen auf seinen Wangen nicht eintrockneten. Das alles ertrug der Vater geduldig mehrere Tage, „denn er hetrachtete ihn nicht mehr als sein Kind, er hatte ihn ja Christo geweiht; er freute sich vielmehr über *) De institutis coenobiorum et de octo principalium viti- orum remediis, neue Ausgabe derkais. Akademie-der Wissenschaften, Wien 1888, Bd. 17. seine Leiden und über den Lohn, den er für seine Demut und Vollkommenheit erben werde." Schließlich befahl ihm der Vorstand des Klosters, das Kind in den Fluß 3 U werfen, und der unmenschliche Vater vollzog den Befehl an dem weinenden, sich sträubenden Knaben: Nun sagten die Mönche: Genug des grausamen Spiels, zogen den glücklicherweise nicht ertrunkenen Knaben aus dem Wasser und belobten den Vater. Er wurde auch vom Abte zu seinem Nachfolger bestimmt. Was mit dem Kinde weiter geschehen ist, wissen wir nicht. Hoffentlich hat es keine Lugenentzündung bekommen und die päterliche Zärtlichkeit nur mit einem tüchtigen Schnupfen bezahlt.*) Besser unterrichtet sind wir über das Schicksal eines anderen Opfers einer gläubigen Mutter, und hier stehen wir «auf historischem Boden. Gegen Ende des vierten Jahrhunderts lebte in Rom die vornehme und reiche Frau Melania. Mit 23 Jahren verwitwet, verlor sie zwei Kinder durch den Tod und es blieb ihr nur ein fünfjähriger Knabe, als sie sich auf Zureden hes heil. Hieronymus entschloß, eine Pilgerreise nach Palä¬ stina und andern heiligen Stätten anzutreten. Ihr ein¬ ziges Kind ließ sie ohne Versorgung, ohne Erzieher zurück. Als man ihr dagegen Vorstellungen machte, antwortete sie: „Gott wird es besser schützen, als ich es vermag." Das Waisenamt nahm sich des Kindes an, während ganz Rom, damals zum Teil noch heidnisch, das Vorgehen der jungen Mutter aufs schärfste tadelte und man die ärgsten Verdächtigungen gegen Hieronymus äußerte. Die¬ ser aber nannte Melania eine Heilige. Jahre verstrichen, ohne daß Melania sich um ihr verlassenes Söhnchen kümmerte. Dieses wuchs heran, ward ein tüchtiger, angesehener Mann, heiratete und ward Vater von zwei Kindern. Eines davon, auch Melania genannt, heiratete, zeigte aber, obwohl sie in glücklicher Ehe lebte, Neigung zum Eremitenleben. Kaum hatte die Großmutter davon erfahren, als sie eiligst nach Rom Mrückkehrte, um das Familienleben der Enkelin zu zer¬ stören, sie der Pflicht der Gattin zu entreißen, wie sie sich der Mutterpflicht entrissen hatte. Es gelang ihr aber nur zum Teil. Sie bewog Melania und ihren Gatten, das Gelübde der Keuschheit abzulegen, ihr gro¬ ßes Vermögen teils der Kirche abzutreten, teils an Arme zu verteilen und dann mit der Großmutter und deren ständigem Begleiter und Gewissensrat, dem Mönch Ru¬ finus, ein unstetes Wanderleben zu führen. ^>ie gingen nach Sizilien, hielten sich einige Zeit in verschiedenen Städten Afrikas auf, dann nach Jerusalem, von dort nach Konstantinopel und wieder zurück nach Jerusalem, wo Melania am letzten Tage des Jahres 439 gestor¬ ben ist. Kardinal Rampolla, der frühere Staatssekretär Papst Leo's XIII., hat vor kurzem eine alte, von einem Mönch verfaßte Biographie dieser jüngern Melania herausge- geben. Das interessanteste daran ist, daß der Rezensent dieser Schrift in der klerikalen Revue des deur montes es der damals schon christlichen kaiserlichen Negierung übel nimmt, daß sie die Verschleuderung! von Melanias Vermögen an Kirche und Mönche, unter Benachteiligung ihrer Familie, zu verhindern suchte. Die kirchlichen Fanatiker sind acht Jahrhunderte spä¬ ter nicht milder oder kinderfreundlicher geworden. Wie der berüchtigte Ketzermeister für Deutschland, Konrad von Marburg, die später heiliggesprochene Landgräfin Elisabeth von Thüringen, peinigte, demütigte und tyran¬ nisierte, hat Adolf Hausrath in seinen „Kleinen Schriften religionsgeschichtlichen Inhalts" erzählt, und wer ihm nicht glaubt, kann ihre Biographie in der „Goldenen *) Diese Erzählung ist wohl nur eine plumpe Nachahmung des 22. Kapitels der Genesis. In dieser kommt der Befehl direkt von Gottz in der Legende von einem Mönch. |