Seite 354 Nr 21 Dr. Vlochs Wochenschrift. gesagt wurde, daß er in Wien gründliche Antipathien genieße und nur mit vier Stimmen Majorität in den Gememderat gewählt worden sei, wird ihm nahegelegt, sich hoch aus dem politischen Leben zurückzuziehen, was ihm doch als Gründer von finanziellen Millionenunter¬ nehmungen keine großen Schmerzen bereiten werde. Das sei besser, als über Wien die Diktatur der Bauern zu verhangen und aus persönlicher Herrschbegier die Haupt¬ stadt der Provinz auszuliefern. Sehr interessant ist auch die Stelle, in welcher erzählt wird, Dr. Geßmann hätte sich in einem Kloster mehrtägigen Bußübungen unter- zogen. Eine offenbare Heuchelei, um die Klerikalen für sich zu gewinnen und konfessionellen Hader (man be¬ achte den köstlichen Wißt) in die christlich-soziale Partei zu tragen. Dr. Geßmann und sein halbes Dutzend Schild¬ träger, zusammen die politische Aktiengesellschaft Geßmann und Konsorten, wollten die Partei als Clique terrori¬ sieren und fälschten das Testament Luegers. Der Artikel im „Deutschen Volksblatt" ist nicht ge¬ zeichnet. Aber, wenn es darauf ankäme, würden ihn Hunderttausende unterschreiben. Vergani hat in jeder Silbe recht, die er über Geßmann sagt, aber auch Geßmann in jeder 'Silbe, die er über Vergani vorbringt. Sie werden einander deswegen ebensowenig klagen, wie man Len Hraba geklagt hat. Jeder von beiden kann dem anderen gerichtsordnungsmäßig beweisen, daß er bei der Rettung des christlichen Volkes nichts anderes gesucht hat, als seinen mit allen Mitteln geförderten Egoismus, daß er mit seinen Freunden zusammen eine politische Aktiengesellschaft gebildet hat. Nicht nur den Genannten ist das bis aufs Tüpfelchen nachzurechnen, sondern jedem christlich-sozialen Führer überhaupt und allen zusammen. Wieviel Millionäre hat nicht der christliche Sozialis¬ mus hervorgebracht, wieviele Neffen und Anhänger füttert er auf Kosten der Steuerzahler. Und die Leute, die ihn leiten, konnten bis in den Rat der Krone ge¬ langen, konnten die ersten Stellen im Staate besetzen, konnten die Herrschaft im Reiche und seiner Hauptstadt an sich reißen; trotzdem in der ganzen anständigen Presse täglich das behauptet wurde, was die gewiß kompetenten Christlich-Sozialen jetzt von einander bestätigen. Diesen Leuten haben die Behörden trotz den Staatsgrundge¬ setzen Vorschub geleistet, haben ihnen die loyalen Juden ohne Federlesen geopfert. Während Geßmann und Ver¬ gani und noch viele andere Millionäre geworden sind, entlud sich die antisemitische Tapferkeit gegen jüdische Hausierer, denen man ihr bißchen Existenz wegnahm. Der von dieser Sippe gerettete Steuerzahler erstickt in Ab¬ gaben und in der Teuerung, während die politischen Aktiengesellschaften finanzielle Aktiengesellschaften mit Millionen Kapital gründen. Und noch immer kommt kein Sturm der Entrüstung, um diese Schmach aus dem Staate hinaus zu fegen! Hoffentlich werden die Lungen der freisinnigen Agitation nicht versagen, um diesen Sturm anznblasen. Aber es rührt sich gar nichts im deutsch-demokratischen Odenwalde, als wenn es gilt, einen Konfessionswechsel mit Mandatsvaluta zu honorieren. Ktolypirts Nrrteumi»««gen. (Schluß.) Ueberhaupt war das vierzehnte Jahrhundert reich ütt Kömgsmorden, und die Anstifter waren oft die nächsten Anverwandten. König Eduard II. von England wurde 1227 von seiner Gattin des Thrones beraubt und mit ihrer Zustimmung ermordet, wie achtzehn Jahre später König Andreas von Neapel unter Gutheißung der Seimgen. Doch wurde diese Königin einige Jahre spater von einer Kommission von Kardinälen freige¬ sprochen, mit der Motivierung, sie sei unter dem Ein¬ flüsse eines Men Zaubers gewesen. Und wieder nach vierzig Jahren, wird diese Königin auf Befehl ihres Neffen, des Königs Karl, ermordet. Nach Ungarn zu¬ rückgekehrt, bemächtigte sich dieser Karl des Thrones, dessen rechtmäßige Inhaberin Königin Maria war, und wurde dann, in Gegenwart dieser Königin und ihrer Mut¬ ter, mit deren Zustimmung ermordet. Das vierzehnte Jahrhundert schließt mit der Empörung des Herzogs von Lancaster gegen seinen Neffen, den König Richard II. von England. Er zwingt das Parlament, seine Absetzung auszusprechen und läßt ihn ermorden. Freilich hatte Richard einige Jahre früher seinen anderen Onkel, den Herzog von Glocester, in einen Hinterhalt gelockt und ermorden lassen. Wie viel Familienmorde in italienischen Fürsten¬ häusern in diesem vierzehnten Jahrhundert begangen wur¬ den, läßt sich hier gar nicht aufzählen. Erwähnen müs¬ sen wir jedoch die Verschwörung der Familie Pazzi zur Ermordung der die Stadt Florenz fast wie Fürsten be¬ herrschenden Brüder Lorenz und Julian Medici. Betei¬ ligt waren an dem Komplott auch der Erzbischof von Pisa, Salviati und der Kardinal Riario, und geschehen sollte der Mord im Dom, während der Consecrierung der Hostie. Auch Papst Sirius IV. war von der Ver¬ schwörung unterrichtet und bemühte sich, einen Anführer seiner Mietstruppen, Johann Baptist Montesecco, zur Teilnahme zu bewegen, aber ohne Blut zu vergießen — wie der venetianische Richter von Shylock verlangte. „Heiliger Vater", sagte der Soldat, „solche Dinge lassen sich nicht ohne Ermordung der zwei Brüder Medici machen". — „Ich will keinen Menschen töten lassen, das ist nicht meines Amtes", antwortete der Papst; „ob¬ wohl Lorenzo es verdient hätte, will ich nicht die Er¬ laubnis zu.seiner Ermordung erteilen, ich will nur den Umsturz der Regierung". Da sagte Kardinal Riario: „Wer will denn durchaus seinen Tod, aber...wenn.,er sy. zufällig dabei getötet werden sollte, wird Eure Heilig¬ keit wohl dem Mörder Absolution erteilen?" — „Dumm¬ kops", schrie ihn der Papst an, „ich will nicht seinen Tod, obwohl er ihn verdient, nur seinen Sturz und die Unterwerfung von Florenz unter unsere Herrschaft." Die Kunst, Revolutionen ohne Blutvergießung zu machen, hat man aber bis jetzt nicht gelernt, und Julian Medici wurde am Sonntag, 26. April 1478, im Dom. während die Glocke ertönte und der Priester den Kelch mit der Hostie erhob, erdolcht, sein Bruder entkam mit einer leichten Verwundung und seine Herrschaft blieb un¬ erschüttert. Die Verschworenen, so weit man ihrer hab¬ haft werden konnte, wurden hingerichtet, unter ihnen auch der Erzbischof Salviati. Vierzig Jahre später ließ Papst Leon X. den Kar¬ dinal Petrucci hinrichten, weil er ihn zu vergiften ge¬ plant hatte; Kardinal Sauli wurde als Mitwisser ab¬ gesetzt und zü lebenslänglichem Kerker verurteilt. Aber auch die dem Laienstande angehörenden Glieder der Fa¬ milie Medici waren nicht besser. Herzog Eosmos I. sandte den Bischof von Cortona nach Paris, um dort seinen Widersacher, den Marschall Strözzi, vergiften zu lassen. Das konnte freilich „ohne Blutvergießen" geschehen. Im siebzehnten Jahrhundert kam dann noch ein Brudermord im Hause Medici vor. Ueberspringen wir, um diesen Aufsatz nicht zu um¬ fangreich werden zu lassen, einige Jahrhunderte und wen¬ den wir uns zur neueren Zeit, so finden wir gleich im ersten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts den ger¬ manischen Jüngling Karl Sand, der sich unter falschem Namen bei August von Kotzebue einschleicht und den un¬ schuldigen und politisch ganz ungefährlichen, aber nicht genug deutsch-patriotischen dramatischen Dichter erdolcht. Ich" übergehe die zahlreichen mißlungenen Attentate auf den ersten und den dritten Napoleon und auf König |