Jahrgang XXVIII Dr. Bloch’s Zentraloroan für die gesamten Ilnteressen des Judentums- -- Wien, 5. Mai 1911 Lrscbelnt jeden Freitag. > Brief-Adresse: Wie«, IX/i, Hahngaffe 15. ^ Telegramm-Adresse: Bloches Wochenschrift, Wien. o cr — = — =oo ? Derugsprris für Oesterreich: Q Halbjährig 8 Kronen; Einzelexemplare 50 Heller. Für's Ausland: Halbjährig 10 Kronen. Ganzjährig 20 Kronen. Anzeigen: Die 4malgespal- 3 tene Petitzeile 24 Heller. C n O ■ — — - O o og O Do O A. k. Pofispardastenamt Sleartng-Verk ebr Vir. S10.97S. Redaktion und Administration: + Vien IX/i, Hahngaffe Nr. 15. Telefon Nr. 14.847. ^ o O ■ ■ ■ O o Inhalt: Leitartikel: Jüdische und unjüdische Kandidaturen. — Verfolgung der Juden in Rußland. — Das Wiener jüdische RekonvaleS- zentenheim. Das Verbot des Schofarblasens in Weffely a. d. March im Jahre 1719. — Korrespondenzen: Die Jahrhundert¬ feier Ignaz Kurandas. Gesellschaft für Sammlung und Konservierung von Kunst- und historischen Denkmälern des Judentums. Jüdische Renegaten als Kandidaten. Eine Aktion zugunsten der Juden in Persien. Die Judenexzeffe in Karow. Rawa-Ruska. Giuseppe Pacifico Ventura. Zu Fuß durch Palästina. Der Bodenkauf in Waad-el-Arisch. Proteste russischer Judengemeinden gegen den Aus¬ schluß der Juden aus dem Militärdienst. Die Gesellschaft zur Verbreitung wahrer Mitteilungen über die Juden. Finnländische Juden¬ gesetzgebung. Mischehen zwischen Juden und Indianern. — Vermischtes. — Feuilleton: Zwei Welten. — Literatur. — Briefkasten. — Inserate. Jüdische ««d ««jüdische Kandidat«««. Trotzdem für die bevorstehenden Wahlen ein besonderes Animo in der Wählerschaft nicht zu merken ist, müssen sie doch von Seiten der freiheitlichen Parteien mit dem größten Auf¬ gebot von Energie und Aufmerksamkeit durchgeführt werden. Denn die jetzt aufgelegten Wählerlisten zeigen, daß die Christlich- Sozialen alle ihre alten Listen wieder aufwenden, um bei den Wählern durchzudringen. Daß sie unter den heutigen Verhält¬ nissen große Verluste erleiden, ist nicht anzunehmen. Eine durch Jahrzehnte Betriebene Demagogie und Verhetzung ist bei der Bevölkerung nicht so rasch wieder wettzumachen. Es steht zwar fest, daß der Abbröckelungsprozeß der gegenwärtigen Rathaus- partei bereits begonnen hat und daß man ihr baldiges Ende Voraussagen darf. Aber infolge des politischen Beharrungsver¬ mögens wird sich das Mißvergnügen der betrogenen Gewerbe¬ treibenden, der moralischen Menschen, der überlasteten Steuer¬ träger nicht sogleich in Taten umsetzen. Vielmehr dürfen die Christlich-Sozialen noch eine Weile hoffen, neuen Besitz an sich zu reißen, wenn man ihnen nicht mit Wachsamkeit begegnet, den freiheitlichen Besitzstand zu erhalten. Ein besonders eklatantes Moment trägt diese drohende Ge¬ fahr im neunten Wiener Gemeindebezirk. Hier haben die Christ¬ lich-Sozialen den Handelsminister Weiskirchner als Kandidaten für den Alsergrund aufgestellt. Das zeigt sehr deutlich ihre Absicht, diesen bisher freiheitlichen Besitz auch unter ihr berüch¬ tigtes Kommando zu bringen. Wer Weiskirchner ist, braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden. Es wird sich wohl niemand davon blenden lassen, daß dieser geschmeidige politische Emporkömmling Minister ist. Weiskirchner hat einmal das schöne Wort gesprochen, das sich nur in Oesterreich die Wähler bieten lassen: „Mein Programm lautet: Dr. Karl Lueger". Das war das Programm, nicht nur seiner politischen, sondern auch seiner persönlichen Karriere. Als Sohn von Luegers Lehrer ist er hochgekommen, tut zum Dank dafür das Erbe seines Protektors abgelehnt und tat als Minister nichts anderes, als zwischen seiner Unzulänglichkeit und der Feindschaft seiner engeren Parteigenossen herumzubalanzieren. In Versprechungen ist er einfach unbegrenzt, aber ebenso-in der Frage der Fleischeinfuhr aus Argentinien, wie der ungarischen Marinelieferungen hat der große Held das Hasenpanier ergriffen, als Männlichkeit not¬ wendig war. Er ist ebenso wertlos als Staatsmann wie mitschuldig an dem moralischen und kulturellen Rückgang Oesterreichs durch die christlichsoziale Politik. Daß man ihm ohne jede Schwäch¬ lichkeit begegnen muß, ist für jeden gebildeten und fortschritt¬ lichen Wähler ganz selbstverständlich. Es mag nun Leute geben, welche über die Erfolge seines Gegenkandidaten Hock nicht die aller¬ beste Meinung haben. Nichts wäre verderblicher, als dieser Meinung jetzt irgendwie Ausdruck zu geben. Baron Hock hat unbestreitbar große Verdienste um die freiheitliche Sache. Trotz seiner exponierten Stellung als Staatsbeamter hat er sich immer ungescheut als Tod¬ feind der Christlich-Sozialen deklariert, auch zu einer Zeit, in welcher es viele seiner Kollegen für gut befunden haben, ihren Frieden mit der herrschenden Partei zu machen. Daß er als Angehöriger einer kleinen Partei im Parlament nicht hinreichend zu Worte kam, ist sicher nicht seine Schuld. Er hat jedenfalls niemals Konzessionen in seinen^ Programm gemacht, gab mit der Freien Schule den Freiheitlichen eine neue Organisation und ist gewiß bei weitem als Mensch und Politiker seinem Gegenkandidaten vorzuziehen. Seine Niederlage würde einen schweren Verlust an freiheitlichem Besitzstand bedeuten. Jeder Wähler möge daher ohne jede Lässigkeit seinen Namen in den heuer besonders skandalösen, echt christlichsozialen Wählerlisten kontrollie¬ ren, durch das Wahlkomitee reklamieren und persönlich wie auch durch entschlossene Agi¬ tation den Alsergrund dem Fortschritt und der Kultur erhalten helfen. * * * Im Rathausviertel der Inneren Stadt Wien stehen ein¬ ander als Kandidaten gegenüber: der ehemalige Minister von W i t t e k, der, ein Mann von strengkirchlicher Gesinnung, zu den Führern der klerikalen Partei zählt, und der Täufling Dr. Wilhelm N e u m a n n, welcher von den fortschrittlichen Parteien kandidiert wird. Herr Ministerialrat Camill Kuranda hat nun frei¬ mütig erklärt, daß er seinerseits nicht in der Lage ist, in diesen Wahlkampf gegen von Wittek für Dr. Neumann einzugreifen, was ihm seltsamerweise nicht von fortschrittlicher, sondern von zionistischer Seite als Sünde vermerkt wird. |