Erscheint Dienstag und Freitag Ui Heute 8 Seiten stark JÜDISCHE ZEITUNG I Redaktion und Administration: Wien, I., Kärntnerstraßa 28, Tel. R-27-4-85. Redaktionsschluß Montag u. Mittwoch vorm. CH» Thebet 5694) | J. Jahrgang Um die jüdische Masseneinwandenmg nach Palästina Eine Unterredung mit Prot. Selig Brodetsky, London Auf seiner Durchreise von London nach Polen kam Montag der Leiter des politischen Ressorts der Zionistischen Exekutive London Prof. Selig Brodetsky nach Wien. Prof. Brodetsky, der sich in Wien zwi- sihen einem Zug und dem anderen bloß einige Stunden aufhielt, hatte die Liebenswürdigkeit, unserem Redakteur gegenüber folgende be¬ merkenswerte Ausführungen zu machen: Die Einwanderungspolitik der englischen Regierung ln Palästina ist absolut keine Stöp-Immigratlons- Politik. Das Problem dieser Frage liegt in folgendem: Wir vertreten das Prinzip, daß die Einwanderung der Absorp¬ tionsfähigkeit des Landes angepäßt werden muß, selbstver¬ ständlich auch dann, wenn dies eine ausgesprochene Mas- seneinwanderung mit sich bringt Sämtliche Experten, die das Land in der letzten Zeit besucht haben, stellen mit sel¬ tener Einmütigkeit fest, daß das Land sich in landwirtschaft¬ licher und industrieller Aufwärtsentwicklung befindet,' ferner, daß diese Entwicklung keine Konjunktur und , keine vorübergehende Erscheinung darstellt. Die gegenwärtige Aufwärtsentwicklung des Landes unterscheidet sich grund¬ sätzlich von der Lage, in der sich das Land im Jahre 1926 be¬ fand, wo freilich in viel bescheidenerem Maße eine rapide Entwicklung festzustellen war. Damals, im Jahre 1926, strömten Menschen ins Land, ohne Kapital resp. bloß mit Aussicht auf Kapital, das durch die damals einsetzende Krise ausblieb, wohingegen heute Millionen von Pfunden die Banktresore der palästinensischen Banken füllen. Auch damals wurde rapid gebaut, allein fast ausschließlich zu Spekülationszwecken, was natürlich, da das Land bald von einer Krise erfaßt wurde, von sehr mißlichen Folgen beglei¬ tet war. Auch heute herrscht eine überaus große Bautätig¬ keit im Lande, allein sie kann nicht groß genug sein, um den Bedarf zu decken. Die englische Regierung motiviert bekanntlich ihre einschränkenden Einwanderungsmaßnahmen mit dem Be¬ stehen einer arabischen Arbeitslosigkeit im Lande. Hiezu wäre vor allem festzustellen, daß die Zahl dieser arbeits¬ losen Araber nife zu erfassen ist, weil sich diese arbeitslosen Araber zum großen Teil aus den umliegenden arabischen Gegenden, insbesondere Transjordanien und dem Hanran, die sich in desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen befinden und mit Neid auf das florierende Palästina blicken, rekrutieren. Es besteht keinesfalls, wie die Regierung an¬ nimmt, ein Boykott arabischer Arbeit. Allein in dieser Frage sind prinzipielle Feststellungen notwendig. Vor allem auf den Böden und Siedlungen des jüdischen Nationalfonds, geschaffen durch Spenden von Juden zum Zwecke der An¬ siedlung von Juden, auf denen das Prinzip der jüdischen Selbstarbeit besteht, kann selbstverständlich keine Rede von arabischen Arbeitskräften sein. In unserem Kampfe gegen den Standpunkt der Regierung in der Frage der Arbeits- möglichkeiten für Araber verweisen wir auch auf den Mac- Donald-Brief, aus dem hervorgeht, daß bei der Be¬ urteilung der Aufnahmsfähigkeit des Landes eine allfällige arabische Arbeitslosigkeit nicht ins Kalkül zu ziehen ist, so¬ lange auf jüdischen Böden jüdische Arbeitskräfte benötigt werden. Wir können es auch unter keinen Umständen zu¬ lassen, daß arabische Arbeiter zu Zwecken der Ausbeutung der jüdischen Arbeitskräfte herangezogen werden. Die Exekutive wird in der für den Aufbau des Nationalhelms lebenswichtigen Frage der lOOprozentigen jüdischen Arbeit in jüdischen Betrieben und jüdischen Unternehmungen, die mit jüdischem Kapital arbeiten, keine Konzessionen machen. Das zweite Moment, mit dem die Regierung ihre Ma߬ nahmen motiviert, ist die Angst vor eventuellen Rück¬ schlägen in der Entwicklung des Landes. Demgegenüber erklären alle Experten, daß gerade eine künstliche Behinderung der gegenwärtigen Aufwärtsentwicklung des Landes diese Rückschläge zur Folge haben könnte, daß gerade durch eine Stop-Immigrations-Politik eine Krisis herbeigeführt werden kann. Die Exekutive hat gegen die Maßnahmen des Ober¬ kommissärs diesem gegenüber und in parlamentarischen Kreisen protestiert und ihren Standpunkt der Regierung klarzulegen versucht Ebenso hat die Exekutive alles getan, um in der Frage der sogenannten «Illegalen» Remedur zu schaffen. Wir arbeiten in dieser Frage mit der größten Intensität Unsere Stellungnahme wird dadurch diktiert daß all diese «illegal» Eingewanderten sich bereits im Wirtschafts¬ leben des Landes verankert haben und dadurch den Beweis erbracht haben, daß das Land mehr Menschen bedarf, als die Zahl der von der Regierung bewilligten Zertifikate entspricht Es ist also unsere Rechnung in bezug auf die Absorptionsfähigkeit des Lande.: richtig gewesen ünd die der Regierung unrichtig. Die uns zügebilligten Zertifikate waren daher zweifellos viel zu gering und entsprechen nach wie vor nicht den Bedürfnissen des Jischuw. Aber auch ein anderes Moment ist für unsere Stellungnahme maßgebend. Juden, betont Prof. Brodetsky mit Nachdruck, sind keine Fremden im Lande. Das Recht der Juden auf Palästina ist ein kollektives. Dieses kollektive Recht in ein persönliches Recht zu verwandeln, die An¬ erkennung dieses Rechtes jedes Juden durch die eng¬ lische Regierung ist wohl schwierig durchzusetzen, aber eine sehr wichtige Aufgabe für uns, der wir uns widmen müssen. Denn Palästina ist in der Balfour-Deklaration und im Mandat für die Juden der ganzen Welt, unbe¬ schadet ihrer staatsbürgerlichen Rechte in den einzelnen Ländern, als jüdisches Nationalheim erklärt worden, und zwar unter Würdigung der auch schon damals schweren jüdischen Situation in den verschiedenen Ländern der Welt. Und zum Schluß noch ein von Optimismus er¬ fülltes Wort In den ersten zehn Jahren sind nach Palästina 100.000 Juden eingewandert, verhältnismäßig wenig Men¬ schen. Heute aber stehen wir einer grundsätzlich geänderten Situation gegenüber. Vor uns liegt heute das große jüdische Palästina. Der Weg zu diesem großen jüdischen Palästina ist nicht ferne, daher kann es für uns Juden keine Grenzen in der jüdischen Einwanderung nach Palästina geben, so¬ lange das Land die Einwanderer absorbiert. Dies ist der Standpunkt der Zionistischen Exekutive. Zum Schluß gab Prof. Brodetsky noch einige inter¬ essante Informationen über die Hilfeleistungen der englischen Juden für deutsche Flüchtlinge. Die gemeinsame Hilfsaktion von Zionisten und Nichtzionisten hat sich vorteilhaft ausge¬ wirkt. Das Komitee, das etn der Spitze der Hilfsaktion für deutsche Flüchtlinge stand, bestand aus drei Zionisten (Pro¬ fessor Weizmann, Prof. Brodetsky und Simon Marks), drei Nichtzionisten und einem keiner Partei angehörenden Chair¬ man ln der Person von D’Ävigdor Goldslimid. Die Resultate sind überaus erfreulich. Um Jahre 1933 sind rund 200.090 Pfund gesammelt worden. Davon wurden 115.000 für Palästinazwecke, 10.000 für jüdische Schulen in Deutschland und der Rest,' für unmittelbare Hilfeleistung an Flüchtlinge in London, de ren Zahl etwa 2000 beträgt, ver¬ wendet. * J. R. An unsere Leser! Von heute an wird «Die Stimme» zweimal in der Woche erscheinen. Zweimal in der Woche wird sie vernehmbar werden und mit stärkerer Inten¬ sität, mit verdoppelter Eindringlichkeit für das jüdische Recht, für die jüdischen Forderungen zu wirken, mit zwiefachem Eifer sich der Aufgabe zu widmen, Künder der jüdischen Sache zu sein. In sechsjähriger Arbeit hat sich «Die Stimme» ihren Platz im jüdischen Schrifttum erobert. Die Aufgabe, die sich «Die Stimme» vor sechs Jahren gestellt hat, vom jüdischen Leben, jüdischem Geist, jüdischer Hoffnung zu sprechen, Mittler und Sprachrohr der nationalen Juden- heit zu sein, dieser Aufgabe hat «Die Stimme» nach ihrem besten Gewissen entsprochen. Sie wird nunmehr lauter und deutlicher, und daß sie dies kann, dankt sie der treuen Gefolgschaft ihrer Leser. v Wenn «Die Stimme» sich nun anschickt, zweimal in der Woche zur Oeffentlichkeit zu sprechen,, so schrei¬ tet sie damit weiter in der Erfüllung ihrer Aufgabe, die. denen, die an der «Stimme» arbeiten, Lebensinhalt ge¬ worden ist. In ihrer höhen Auffassung von der Pflicht jüdischer Publizistik bleibt «Die Stimme» was sie,war: ein Diener am' Licht. Auch im neuen. Jahrgang wird «Die Stimme» im Bewußtsein ihrer Verantwortung und aus dem Gefühle für die schweren Probleme der jüdischen Situation von’ heute bestrebt sein, jüdische Werte zu entfalten, zu verbreiten, für sie zu werben und den Weg zu fin¬ den, der in dieser schweren und kritischen Zeit so notwendig ist, den Weg in eine bessere j ü d i s c h T Z u k u n f t. Die Redaktion der „Stimme“ 1953 jjg^gjggg^gggj Es ist wieder ein Jahr abgelaufen und wieder fragt man sich, wie sich diese verschwundenen zwölf Monate einmal in der rückschauenden Betrachtung ausnehmen werden. Sind sie nur ein unbedeutendes Glied in der Kette der Jahre oder voll.Schicksal und Gewicht für eine weitere Zukunft? Bei dem eben beendeten Jahr 1933 trifft dies letztere zu. Es hat im Zeichen des Unheils be¬ gonnen und heute, da ein neues Jahr auftritt, ist die ganze Kulturmenschheit voll Sorge und Unrast. Für das jüdische Volk ist ein schwarzes Jahr vergangen und es ist leider kein Zweifel, daß sich damit eine Periode neuer dunkler Ereignisse einge- leitet hat. Der Nationalsozialismus ist in Deuts.chr land zur vollen Macht gelangt. Seine Anfänger be¬ teuern immer wieder, daß ihr Sieg die Entwicklung der Menschheit vielleicht für Tausende von Jahre bestim¬ men wird. Das ist parteimäßig bedingter Ueberschwang. Der Bolschewismus, der nach einer ehrlichen, echten durohgefochtenen Revolution zur Herrschaft kam, mußte die Hoffnung auf die Revolution fahren lassen und kam bald an seine Schranken. Der Nationalsozialismus, der sich weder an Ideengehalt noch an ethischer Anzie¬ hungskraft mit dem Linkssozialismus vergleichen kann, hat schon jetzt nach einem Jahr die Grenze erreicht. Er ist Terror, aus Terror entstanden, und die Art seiner Machtausübung, diese Methodik des Schreckens, hat den Widerstand der ganzen Welt herausgefordert. Der Nationalsozialismus hat nicht durch eine Revolution gesiegt, sondern nur durch ein im ganzen Verlauf noch nicht recht aufgehelltes Intrigen¬ spiel. Er hat. sich nicht mit seinen Gegnern gemessen, sondern ist einfach — man könnte sagen: legal — ein¬ gesetzt worden. Die Gegner sind da. Die Arbeitslosig¬ keit ist nicht behoben, Deutschlands politische Stellung nicht gefestigt, sondern geschwächt, und wohin die neuen Machthaber bücken, starrt ihnen un verhüllte Feindschaft entgegen. Sie haben nurgegen die Juden gesiegt. Das ist der einzige Punkt ihm Pio- ..TH»«« Stars* Kohle• Koks• Anthrazit ■■■HH höchster OUAMTXTEH ' ■■HH Batdi. iV. Ataenlinienlr. 21« Tel« Serie U 4T*5*W |