Redaktionund Administration: - ' ■ VernHsprete»: Wien, II/, Nvvaragasse 27 Telephon: Redaktion 5107|VIII. Anabhängige Aertschnft für jüdische Ganzjährig ...... K 14.— Halbjährig.K 7.— Administration 4988/n, St. k. österr. Postfparkaffa- Scheck-Konlo Nr. 100.918. Antennen. Für srnltnsbruiiite: Gniizjlihrig. . . . . . K 10. — Inserate: — Die viermal gespaltene Nonpareille-Zeile 25 Heller. Erscheint jeden Areilag. Fiir Ausland: Abonnements- nnd Insertion«- Ganzjätzrig . '. . . - . 8 Mark betrage sind in Wien zahlbar »nd klagbar. | Motto: „Das Siegel Gottes ist WahrheitI“ t» Rubel oder IN Fr«4. Ur 32 ' j Wie». 18. August 1**11- Inhalt : Ferieustimmung. — Der Wanderbettel.'— Die Judenfrage auf dem Rassenkongreß. — Am Vorabend des X. Zionistenkongresses. Der X. Zionistenkongreß. — Jüdischer Emigrations-Kongreß. — Josef Israels. — Der Erwerbssinn Richard Wagners. — Verschiedene Nach¬ richten. — Der Belfer. — Austritte aus dem Judentume. Ferieustinnnnug. Mit Recht nennt man die Ferien-Zeit die schöne Zeit. .Sie bedeutet eine solche für Lehrer und Schüler. Nicht als betrachteten wir die Zeit/ des Unterrichtes als eine mühevolle und beschwerliche. Denn, wenn es auch an Plagen, Beschwer¬ den, und Unannehmlichkeiten in dieser nicht fehlt, welcher Beruf wiese sie nicht auf? Und es wäre ein Lehrer von sehr trauriger Gestalt, der nicht in/die Schule das mitbrächte, was für jeden Erfolg des notwendigste ist, die Freudigkeit am Berufe. Doch bedarf der Lehrer insonderheit einer Zeit der Ruhe, der Samm¬ lung, schon wegen der in der Schulzeit hart mitgenommenen körperlichen Organe.. Und, wie notwendig ist für Geist und Gemüt die freie Zeit! Welche Erfahrungen und Belehrungen können wir in ihr sammeln! Die Natur ist und bleibt das wichtigste Lehrbuch. Wenn wir den Schul- und Stadtstaub von den Füßen geschüttelt haben, in Wald und Feld, an Flüssen und Seen wandeln, wenn es den Glücklicheren unter uns ge¬ stattet ist, die Alpen zu bewundern oder gar am Strande der See Erholung zu suchen und zu finden, dann erkennen wir erst, wie viel rvir noch zu lernen haben- wie viel es unterem Himmel und auf Erden gibt, wovon sich unsere Schulweisheit wenig träumen laßt. Daher gönne man Schülern, gönne man aber auch Lehrern, das bischen freie Zeit, dieses ofcium cum dig- nitate. Es wird keine Redensart sein, wenn wir sagen: Ge¬ stärkt an ^ Geist und Körper werden wir zu unserer schweren Arbeit w/eder zurückkehren. Da verbringe ich meine freie Zeit in einen/ schönen, von Bergen und Wäldern nmrankten, von einem stillen Wässerchen durchzogenem Dörfchen. Die Bewohner des Ortes sind friedliche Leute, die den sich hieher vor der Hitze /der Stadt flüchtenden Städtern freundlich entgegenkommen. Wenn ich von meinem Spaziergängen durch die Wälder zurück¬ kehre, erfrischt vom Dufte der Tannen und Fichten, abgekühlt von einem im Bache genommenem Bade und dann sehe, wie schwer diese Bauern arbeiten müssen, wie sie vom heißen Felde, ganz durchglüht von der erbarmungslosen Sonne dieses wunder¬ baren Sommers, die vollen Garben auf ..schwankendem Wagen in die Scheune bringen, ihren einzigen Schatz hier bergend, wie sie dann, umhüllt vom Staube, dreschen, übrigens zeigt sich auch in diesem Dörfchen bereits der Kulturfortschritt, man drischt nämlich schon mit Hilfe der von'der Elektrizität betrie¬ benen Motore, — dann tritt mir das ewige Wort unserer heiligen Schrift vor das Auge, düs besagt: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brod essen." Dieses Wort ist für den Bauer geschrieben, er ist und bleibt es, welcher für das wichtigste sorgt, dessen wir bedürfen: für unsere leibliche Not¬ durft. Mit dem Bauer kehren wir wieder zum Naturzustände zurück und ohne ihn gäbe es auch keinen Kulturfortschritt, den Industrie und Fabriksarbeit bedeuten. Unsere Bibel, dieses un¬ vergleichliche, göttliche Buch nimmt in ihrer ganzen Gesetzgebung rmr auf ein Ackerbau treibendes Volk Rücksicht. Traurig, daß wir Juden, durch die trübe Entwickelung der düsteren Zeitver- hältuisse, die wir durchzukämpfen harten, vom Ackerbane abge¬ drängt wurden. Wie anders hätten sich unsere Verhältnisse gestaltet! Werner Sombart hätte auch sein dickleibiges Buch nicht schreiben können. Diese einfachen Landleute, die ich bei ihrer schweren Arbeit beobachte, find glücklicher zu nennen, als die, welche auf den Gelderwerb, durch Geschäfte aller Art, hin- gedrängt wurden. Unsere Schuld ist es wahrlich nicht. Man stellt uns als ein Wüsten-, ein Wander-, ein Nomadenvolk hin. Das hat schon vor Sombart Dühring getan. Wer aber hat uns zu einem solchen gemacht? Das Vorurteil und der Haß. — Doch wir wollen uns die heitere Ferienstimmung durch solche Gedanken nicht trüben lassen, jetzt, da vom heiteren, tief¬ blauen Himmel die Sonne auf uns herniederlacht und des von der Stirne heiß rieselnden Schweißes spottet. Auch befinden wir uns nicht mehr in der Zeit der Trauer, welche den ersten Teil der Ferien, den ihres Ausstieges, einnimmt. Vorüber sind die drei Wochen, die uns „ben ha-Mezarim,“ zwischen den Beengnissen, finden." Zu uns spricht nun der göttliche Jesaias von Trost, Aufrichtung, Erhebung. Wir bedürfen des Trostes, mehr denn jedes andere Volk denn, die sich als unsere Freunde ausgeben, sie zeigen uns, wenn sich für sie die Wolken verzogen, ihr hämisches, spöttisches Antlitz und, was sie uns als Arznei reichen, das ist ein bitterer Wermutstropfen, ein schleichendes Gift, welches verzehrt und vernichtet. Traurig genug, daß sich gar mancher Jakob von diesen Labans täuschen und hintergehen läßt. — Wieder trübe Gedanken in dieser Trosteszelt, in diesen herrlichen Tagen, da die Sonne so wunderbar leuchtet, der Segeir der Felder uns grüßt, die Wälder duften, die Bäche geheimnißvoll murmeln und das ewige Lied von der schaffenden Allmacht Mls entgegentönt. — Ich nahm mir vor. in dieser Friedelis- und Ferienzeit keine Zeitungen zu leserl. Was sollen alle diese Nachrichten von dem uns wenig bekümmernden Marokko, von Unfällen waghalsiger Bergbesteiger, von Malissoren, Fleischer- lind Selchertücken, vom deutschen, freiheitlichen oder besser un¬ freiheitlichem Nationalverbande, von Spitzbuben und anderen Geschichten, was sollen sie den stillen Frieden mir stören, in |