VkJm*, ^mMtE&cSst® -^^ww-s^^f 5 ^^^ Ä Preis dieser Nummer 40 Groseben Jüdische Die ItfanrhtiT K In Deutschland «erboten mit den Veröffentlichungen der „Union österreichischer Juden* Redaktion und Administration: Wien II., Heinestraße 13 — Telephon R 46-2-16 — Postsparkasserfconto Wien: A 100.918 Erscheint jeden Freitag wiwiiifflnn $1. Jahrgang Wien, 20. September 1935 Nummer 38 Furchtbarer seelischer Schimerz er¬ schüttert uns angesichts der Judengesetze des deutschen Reichstages vom 15.. Septem¬ ber 1935. Dieser Tag, ein wahrer dies, ne- fastus für das Judentum, wird eingeschrie¬ ben bleiben in seine, tausendjährige Leidens¬ geschichte für uns und künftige Geschlech¬ ter. Er zeigt, wie weit vom Wege der Menschlichkeit, Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Wissenschaft und Vernunft die Leidenschaft eines überhitzten Nationalismus, die Irrlehren einer PseudoWissenschaft ein besiegtes, durch unsinnige Friedensverträge tribut¬ pflichtig gemachtes und infolgedessen von Not und Elend zermürbtes Volk, das einst als das der „Dichter und Denker" in Kunst und Forschung an der Spitze der Nationen stand, verführen können. Unsere seelische Er¬ schütterung übertrifft noch die des 4. August 1914, da ein anderer deutscher Reichstag die verhängnisvollen Worte eines anderen Kanz¬ lers „Verträge sind Fetzen Papier" fast einstimmig billigte und mit den zynischen Worten des ersten Repräsentanten des großen deutschen Reiches: „Nun werden wir sie aber dreschen", den Weltkrieg be¬ gann, dessen Folgen zu dem zweiten Reichs¬ tag vom 15. September 1935 führten, in dem zur Schande des deutschen Volkes der Ausschluß unserer deutschen Glaubensge¬ nossen von den VoUbürgerrechten, ihre Diskriminierung und Diffamierung einstim¬ mig vollzogen wurde. Von den 669 Reichsboten hatte nicht ein Einziger den Mut, seine Stimme zu ver-. weigern, und die mißtönenden Haßgesänge des Diktators und semer Unterführer fanden einen einstimmigen Widerhall. Und die Begründung: die Juden sind die Träger des völkerzersetzenden und völker¬ verhetzenden Moskau-Bolschewismus. Die deutschen Juden, die zu 90 Prozent den freien Berufen angehören? Diese Anklage hatte der „Führer" vergessen, wenn er am gleichen Tage vom unheilvollen Einfluß der Juden auf die Kunst spricht. Das „durch und durch kapitalistisch verseuchte Judentum sei niemals im Besitze einer eigenen Kunst gewesen". Das wird auch nicht behauptet. Die deutschen Juden haben aber ihren großen unvergleichlichen Anteil an der deutschen Kunst. Namen wie Max Liebermann, Lesser U r i, Benno E1 k a n, Friedrich Hitzig, Alfred Messel, Gustav Mah- 1 e r, Felix Mendelssohn, Meyerbeer, Offenbach, Schönberg, Bruno Wal¬ ter, Max Reinhardt und viele andere können nicht mit einem Federstrich aus der Entwicklung der deutschen Kunst getilgt werden. Ja, die Juden hätten auch in einem Kino gegen einen ausländischen Film demon¬ striert. Deshalb müssen sie aus der jahr¬ hundertealten Gemeinschaft des deutschen Volkes ausgestoßen werden. Aber die deut¬ schen Juden sind doch Deutsche. Sie wurzeln seit mehr als 1600 Jahren in deutscher Erde, sie atmen deutsche Luft/ sie wuchsen in deutscher Kultur auf, sprechen die deutsche Sprache, lieben das deutsche Vaterland, bluteten für Deutschlands Ehre auf den Schlachtfeldern der Befreiungskriege, im Jahre 1870 und im Weltkrieg, in dem mehr als zwölftausend deutsche- Juden den Helden¬ tod fürs deutische Vaterland gestorben sind. Tut nichts, der deutsche Jude hat kein deutsches Blut und darf keine politischen Rechte haben. Und der jüdische Nobelpreis¬ träger LandsteinerHat doch nachge¬ wiesen, daß es kein deutsches und kein jü¬ disches Blut, sondern nÜF menschliches Blut gibt. Tut nichts, Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deut¬ schen oder artverwandten Blu¬ tes. Aber die Tragödie des deutschen Juden¬ tums wird in ein Satyrspiel verzerrt durch den offiziösen Konrmentar, den das Deutsche Nachrichtenbüro, offen¬ bar zur Beschwichtigung des Auslandes, den deutschen Judengesetzen gibt. Danach ist „durch die vom Reichstag verabschie¬ deten neuen Gesetze . . . unmißverständlich zum Ausdruck gebracht worden, daß das deutsche Volk gegen den Juden, solange er ein Anhänger des jüdi¬ schen Volkes sein will und danach han¬ delt, nichts einzuwenden hat . . . Dadurch, daß das Judentum zu einer na¬ tionalen Minderheit gestempelt wird, wird es nun überhaupt wieder mög¬ lich, normale Beziehungen zwischen Deutschtum und Judentum herzustellen." Dabei wird das primitivste Recht jeder na¬ tionalen Minderheit, die Gleichberechtigung, den deutschen Juden genommen, ein Beweis für die Richtigkeit der von der „Union" entgegen den Jüdischnationalen immer vertretenen These, daß die Gewäh¬ rung von Minderheitsrechten und die Beru¬ fung auf sie die Minderung der Rechte der Juden mit sich bringen. Dann erfolgt zur Ge¬ nugtuung der jüdischnationaien Zionisten, um die wir sie wahrlich nicht beneiden, wie zum Hohn die Berufung auf das jüdischnationale Programm, das mit seinen Forderungen nach „eigenem völkischen Leben" — „eigene Schulen, eigene Theater, eigene Sportverbände" — fast wörtlich abgeschrie¬ ben wird, und auf den „Zionistenkon- greß in der Schweif, auf dem eben¬ falls in aller Deutlichkeit festgestellt wurde, daß die Juden ein eigenes Volk sind und auf dem die völkischen An¬ sprüche des Judentums erneut angemeldet wurden. Deutschland hat nur die praktischen Folgerungen davon gezogen und kommt den Forderungen des Zionistenkongresses entgegen, wenn es heute die in Deutschland lebenden Juden zu einer nationalen Min¬ derheit macht" Geflissentlich wird von den national¬ sozialistischen Gesetzgebern übersehen, daß der Zionismus als solcher mit der jüdisch- nationalen Bewegung, die in den Achtziger¬ jahren des vorigen Jahrhunderts in Rußland unter den von der zaristischen Herrschaft gequälten und bedrückten Juden entstanden ist, nichts zu tun hat. Der Zionismus, der von einem großen Teile der Judenschaft un¬ terstützt wird, will nur den heimatlos ge¬ wordenen Juden ein Asyl und eine Heim¬ stätte verschaffen. Der jüdische Nationatis¬ mus, der zum Unglück für das ganze Juden¬ tum diese religiöse und karitative Bewegung in seine Bahnen zu lenken trachtet, rekru¬ tiert den Großteil seiner Anhänger aus dem Osten Europas, aus Polen, aus Rumä¬ nien usw. Die überwiegende Mehrheit der west- und mitteleuropäischen Juden lehnt den jüdischen Nationalismus ebenso ab wie den deutschen. Die west- und mittel¬ europäischen Juden lieben ihr Vaterland mit der heißen Inbrunst ihres Glaubens und sind bereit, Hir ihre Heimat jedes Opfer zu erdulden. Es ist eine bewußte Fälschung, der Mehrheit der deutschen Juden ein Bekenntnis zu einer nicht existierenden jüdischen Nation zu un¬ terstellen. Auf dem Kongreß der europäischen Nationalitäten hat am 3. September 1935 der Präsident, Dr. Josip W i I f a n, von den deut¬ schen Juden folgendes gesagt: „Die von der nationalsozialistischen Politik betroffenen Ju¬ den lehnen es als Gesamtheit ab, als eine nationale Minderheit angesehen zu werden; trotz allem, was in Deutschland geschehen ist, wollen sie als Angehörige des deutschen Volkes mosaischer Konfession beurteilt und behandelt werden." Für uns als österreichische Juden, die sich den deutschen Juden innig verbunden fühlen, ergibt sich aus den furchtbaren deut¬ schen Judengesetzen, die, historisch gesehen, trotz der großen Worte von der „Säkular- Regelung". bloß eine Episode bleiben werden, nur eine Folgerung: der Zusammenschluß von Zionisten und Nichtzionisten unter Ablehnung jedes Na¬ tionalismus, sei er deutsch oder jüdisch, auf dem Boden der Grundsätze der „Union": der Liebe zu unserem einzigen Vaterland Oesterreich und unserer ange¬ stammten Religion. Präsidium der „Union österreichischer Juden". |