Seite 2 Nr. 38 — 20. September 1935 DIE WAHRHEIT h* Iii ill *«? lg f ,1 ■m Georg Mannheimer: Die Sprache, die ich schon als Kind gelallt, die mit mir wuchs und mit mir wurde alt, die Sprache ward mit einem Mal mir fremd und brennt an mir gleich einem Nessushemd. Sie ist die Sprache, die mein Erzfeind spricht, sie ist die Schlange, die ins Herz mir sticht, sie ist das Beil, das meinen Nacken bricht, sie ist der Henker, der ans Rad mich flicht. Sie ist der Pfeil, der ewig nach mir zielt, sie ist der Schelm, der meine Ehre stiehlt, sie ist das Nessushemd, das mich verbrennt, und doch erst mit dein Tod von mir sich trennt. O Gott, wie hast du mich gestraft so schwer, daß ich die Sprache, die mir nahm die Ehr 4 , daß ich die Sprache, die mein Erzfeind spricht, muß sprechen, lieben, bis mein Atem bricht. O Welt, o Gott, gebt Antwort: Was ist wahr? Daß mich ein Weib, ein Mutterschoß gebar, daß ich ein Mensch bin wie die andern sind. Oder: ein ekler Aussäte, Pest und Grind, unreines Tier und schwarzer Antichrist, Vampyr, der an dem Leib der Menschheit frißt. 0 Deutschland, gib mir Antwort: Was ist wahr? Wer spricht die deutsche Sprache? Der Barbar, der uns die Ehre raubt, das letzte Brot, der uns wie Freiwild hetzt bis in den Tod, der in der Wieg' schon lehrt das deutsche Kind, daß Juden wert nur zum Verrecken sind. Wer spricht die deutsehe Sprache? Deutschland sprich: Die Hetzer, die heut herrschen über dich, die Streicher, Goebbels, Rosenberg und ER, die Hetzer. Oder die Gehetzten. Wer? Wer gibt mir Antwort? Löst den bittern Streit? Ich horche, horche, horche in die Zeit. Ich horche. Und mein Herz bricht Stück für Stück. Ich horche — keine Antwort kommt zurück. Die Völkerbundjuristen stellen fest: Verfassungsbruch in Danzfä* Ueber das noch nicht veröffentlichte Gut¬ achten des Juristenkomitees, welches vom Völkerbundrat für die Prüfung der Petitio¬ nen der Danziger Bevölkerung, darun¬ ter der Juden, eingesetzt worden ist, erfährt der JTA-Vertreter: Die Juristen haben die meisten in den Petitionen der Katholiken, Sozialisten und Juden inkriminierten Verordnungen und Ma߬ nahmen des Danziger Senates als Verfas¬ sungsbruch anerkannt. Zu den in der jüdischen Petition noch besonders angeführten Klagen haben die Juristen u. a. folgendermaßen Stellung genommen: Die Verordnungen über die Ausübung der Berufe von Notaren, Rechtsanwälten, Aerzten, Apothekern und Zahnärzten werden von den Juristen vom rein formellen Rechtsstandpunkt als mit der Ver¬ fassung im Einklang stehend betrachtet. Sollten jedoch diese Verordnungen — so urteilen die Juristen — von den Danziger Behörden so an¬ gewendet werden, daß Juden nur ihrer Rasse oder Religion wegen zu den vorgenannten Berufen nicht zuge¬ lassen würden, so würde es sich um einen • ganz klaren Verfassungsbruch handeln. : = Bezüglich der in der jüdischen Petition anhand von zahlreichen Beispielen beschriebenen Ver- SENNERING Pcnsscn Hirsch, Fsrs&fihof Während der hohen Feiertage Vollhetricb und Gottes¬ dienst im Hause. Mäßige Nachsaisonpreise den und nicht nur jenen, deren politische oder andere Auffassungen sie teilen. Art. 73 der Ver¬ fassung sieht die Gleichberechtigung aller Bürger vor. Wenn daher das Programm einer Mehrheits- partei die Ausscheidung der. Juden aus den öffentlichen Aemtern vorsieht, nur wegen ihrer Rasse öder Religion, so ist ein solches Programm verfassungswidrig und kann in der Verwaltungspraxis keine Anwen¬ dung finden, selbst wenn man es als Meinungs- nnmniiiiiHnniiniiininkmii Cafe Pension Echslein Semmering «■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ ausdruck der Mehrheit der Bevölkerung ansehen könnte. Der Senat könne sich daher in keinem Fall auf die „neue Staatsauffassung" berufen, denn kein Wahlergebnis, welche Mehrheit auch immer es ergeben würde, kann die B e s t i m- mungen der Staatsverfassung un¬ gültig m a c h e n. Bezüglich der in der jüdischen Petition an Hand Diifamaläon der Juden und der Boykottaufrufe gegen sie weisen die Juristen darauf hin, daß eine andauernde Diffamationshetze eine Störung der öffentlichen Ordnung darstelle und daher von den Polizeiorga¬ nen nicht passiv geduldet werden dürfe. Desgleichen können die Polizeiorgane, die dem Schutz aller Bürger zu dienen haben, nicht einen ein großes Ausmaß annehmenden Boykott! eines Teiles der Bevölkerung dulden. waltu n gs p r a x i s des Danziger Sena¬ te.^, erklären die Juristen, daß ohne Durch- i ifrtng einer genauen Enquete an Qt$ und Stelle — was night im Kompe¬ tenzbereich des J u r is te n ko m i te e s liegt — viele der von den Petenten angeführten und vom Danziger Senat bestrittenen Tat¬ sachen nicht beurteilt werden können. Das Juristenkomitee wendet sich aber eindeutig gegen die in den Bemerkungen des Danziger Senates zu der jüdischen Petition dargelegten Thesen über die „Gefühle der großen Mehrheit der Bevölkerung" gegenüber den Juden und über die „Grundsätze, in welchen sich die neue national¬ sozialistische Staatsauffassung widerspiegelt." Die Juristen bemerken hiezu, daß sehr beträcht¬ liche Teile der Danziger Bevölke¬ rung die nationalsozialistischen Ge¬ dankengänge ganz offen ablehnen, daß — selbst wenn der Sehat der Mehrheit der Be¬ völkerung sein Ohr leihen muß — die Staats¬ beamten gemäß dem Art 93 der Verfassung im Dienste der Allgemeinheit und nicht einer Partei stehen. Sie müssen da¬ her In ihrer Verwaltungspraxis allen Teilen der Bevölkerung gerecht wer- „Ein Heldenstück". Unsere Kritik des unter obigem Titel in der „0 esterreich i sehen Arbeiter-Zei¬ tung" erschienenen Artikels des Herrn Staats¬ sekretärs Großauer hat begreiflicherweise in allen Kreisen größtes Aufsehen hervorgerufen. In dieser Angelegenheit hat, wie die letzte Nummer der „Jüdischen Front", des Organs des „Bundes jüdischer Firontsoldate n", meldet, der Bundesführer, Hauptmann Edler von Friedmann, bei Herrn Staatssekretär Gro߬ tuer vorgesprochen. Herr Staatssekretär Gro߬ auer bekannte sich in dieser Aussprache dem Bundesführer gegenüber als Frontkamerad, der sich in seiner Menschenwertung ledig¬ lich vom Charakter und niemals von Rassenmomenten leiten läßt. Schon aus diesem Grunde sei ihm j e g 1 i c h e T e n d e n z, die ihm in dem fraglichen Artikel zugeschoben wurde, fremd. Die Besprechung hat bei Herrn v. Friedmann den vollsten Glauben an die mit seinem hohen Amte verbundene Unparteilich¬ keit des'Herrn Staatssekretärs hervorgerufen und alle Mißverständnisse hinsichtlich" der unbe¬ absichtigten Wirkung des Artikels beseitigt. Verbringen Sie die Feiertage in ÄliÄZIlÄ PENSION STERN Fließendes Wässer, Meeraussicht. Küche, Reduzierte Herbstpreise bekannt gute „Unfaßbar, qualvoll, unerträglich!" Dem „Prager Mittag" wird von Freun¬ den aus Berlin geschrieben: „Die beiden Kinder von R„ der achtjährige Kurt und die sechsjährige Pauline, trauten sich an einem Pferd nicht vorbei, das mit dem Vorderbein auf dem Bürgersteig stand. Nach einigem Zögern nahm Kurt Pauline bei der Hand und sagte: „Ach komm nur! Das Pferd weiß ja nicht, daß wir jüdisch sind." Dazu bemerkt das Blatt: „Man braucht nicht hinzuzufügen, daß diese Geschichte wahr ist. Könnte sie jemand erfinden? Es ist in ihr, komprimiert bis zur Schmerz- haftigkeit, alles Grauen enthalten, das aus jedem Brief, jedem Bericht, jeder Meldung, die'heute zu uns aus Deutschland kommt, hervorstarrt. Nie¬ mals, darüber gibt es keinen Zweifel, war das Elend der jüdischen Bevölkerung Deutschlands so groß wie in den letzten Wochen, niemals seit dem Beginn des Hitler-Regimes. Unfaßbar ist das alles, qualvoll, unerträglich. Nicht zu zweifeln daran, daß in zahlreichen Städten und Dörfern der deutschen Provinz die Juden keine Lebensmittel zu kaufen bekommen, daß ihnen keine Medikamente mehr ausgefolgt werden, daß ihnen ärztliche Hilfe verweigert wird. Nicht zu zweifeln daran, daß die Juden in vielen Städten die Straßenbahn nicht mehr benutzen dürfen. Nicht zu zweifeln daran, daß .Tausende ununterbrochenen Erniedrigungen und Beleidigun¬ gen ausgesetzt sind, die das Maß des Erträglichen überschreiten. Was sich auf dem Gebiete der , : Rassenschänder-Kampagne" ereignet, ist bei kühnster Phantasie unvorstellbar." Unter Hinweis auf den Deutschland-Beschluß des Zionisten-Kongresses in Luzern schreibt das Blatt: „Um dieser Wirkung in den anderen Ländern willen sind Entschließungen und Appelle zu wenig. Es muß gehandelt werden. Es muß der Wille zum Widerstand gezeigt werden. Es muß zusam¬ mengerafft werden, was an jüdischen Verstand 1 und an jüdischem geistigen Einfluß und wirtschaft¬ lichem Kapital in der Welt ist. Es muß geschwiegen und gehandelt, nicht ge¬ redet und geduldet werden." Rasiere Dldiöüt und foilllö Oesferrelclilsches QoaiHfflsfaDriKal Ueberau erhältlich „Dankbarkeit". Als das Bad, von dem hier die Rede sein soll, eingeweiht wurde, da rühmten die Stadtväter den großherzigen Stifter, und der deutschnationale Oberbürgermeister pries ihn als Vorbild aller sozialen Tugenden, dessen Geschenk für alle Zeiten ein Zeichen hoher edler Gesinnung und immer mit seinem Namen verbunden sein werde. Die ge¬ waltige Anlage mit dem riesigen Wasserbecken ist unbestritten das schönste, größte Freiluftbad der Stadt. Die Benutzung ist billig, handelt es sich doch, wie gesagt, um eine Stiftung, um die Schenkung eines jüdischen Bankiers. Er wollte damals, nach dem großen Kriege, dem verarmten Yolke ein Bad schenken, benutzbar für die Minderbemittelten, von allen Stadtteilen her leicht zu erreichen, ein nobles Volksbad im nobel¬ sten Bezirk. Wenig Städte gibts, die in solcher Lage ein solch erlesenes Massenbad aufweisen können. |