53 lonien nach Jerusalem und besuchte das von den berühmten Gesetzeslehrern Schemaja und Abtalion geleitete Lehrhaus, in das man nur gegen Eintrittsgeld eingelassen wurde. Er war aber sehr arm und mußte sich als Tagelöhner verdingen. Sein täglicher Verdienst betrug ein Tropaikon (35 Pfg.), dessen Hälfte er zum Unterhalte seiner Familie und die andere zur Entrichtung des erwähnten Eintrittsgeldes verwandte. Als er aber eines Tages nichts verdient hatte und abends ins Lehrhaus nicht eingelassen wurde, kletterte er zum Fenster empor und legte sich in die Lucke desselben hinein, um dem Vortrage zu lauschen, ohne zu merken, was um ihn vorging. Es war Winter. Die Schneeflocken fielen dicht auf ihn nieder, hüllten ihn ein und er erstarrte vor Frost. Am fol¬ genden Morgen, als das Fenster immer dunkel blieb, sah man an demselben nach, gewahrte den Erfrorenen, holte ihn herab und rief ihn durch angestrengte Bemühungen zum Leben zurück. Der Arme studierte weiter und erwarb sich durch seinen Eifer so reiche Kenntnisse und durch seinen edlen Charakter so viel Sympathie, daß er einer der gefeiertsten Lehrer in Israel wurde. Dieser Lehrer, der Präsident des Synhedrions in Jerusalem, der Sproß eines in Babylonien heimischen Geschlechtes, das seinen Stammbaum mütterlicher¬ seits auf den König David zurückgeführt hat (Jer. Taanith 4,2) und der Großvater des Synhedrialpräsidenten Gamaliell., dessen Schüler der Apostel Paulus war (Ap. Gesch. 22, 3) ist der Mann, von dem Renan spricht, Hillel „der Alte". Was die angeführte Erzählung über ihn berichtet, ist sagenhaft, enthält aber einige Züge, in denen sich die Geschichte des Judentums seiner Zeit wiederspiegelt. Dasselbe war damals in gewissem Sinne erstarrt und er hat es, wie der Talmud (Succa 20) sagt, wieder belebt. Die nationale Kraft des - jüdischen Volkes, infolge der glänzenden Makkabäersiege erstarkt, war, seitdem Rom seine eiserne Faust auf Palästina gelegt hatte, gebrochen. An den Baum des Judentums hatte sich ein fremdes Reis angesetzt, das mächtig emporwuchernd später über ihn hinausgewachsen ist und ihn in Schatten ge¬ stellt hat: die griechische Kultur. Dieselbe hatte mit ihrer heitern Auffassung des Lebens und der freieren weltlichen Gesinnung in den aristokratischen Kreisen, zu denen die priesterlichen Adels- |