schaft gesteigert und vertieft hat, dah es allerorten mächtig widerhallt: „Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an. Das Halte fest mit deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft." ' • * * * Und zur Gemeinsamkeit die Einsamkeit, die ein moderner Weiser die Ouellpunkte eines gesunden Seelenlebens nennt, stiller bescheidener Sinn, der in der anspruchslosen Bachweide sein Bild hat und denkt: Hast du im Tal ein sicheres Haus, So wolle nicht zu hoch hinaus. Solch Mensch grollt nicht mit seinem Schicksale und klagt nicht wehleidig: Wo du nicht bist, da ist das Glück, sondern hält es mit jenem Worte: Lerne nur das Glück ergreifen, denn das Glück ist immer da! Er wird nicht wie jener Mann ans dem Märchen die ganze Welt durcheilen auf der Jagd nach dem Glück, um dann schließlich, als müder Greis heimgekehrt, zu sehen, wie die Lichtgestalt des Glückes von der Schwelle seines Heimes enteilt. Er weiß: in uns liegt der Schatz der Freude, nicht die Welt kann ihn geben. Von der Lust der Welt gilt, was Heine gesagt hat, als er im Louvre vor der Statue der armlosen Göttin des irdischen Liebesgenusses schmerzüberwältigt niedersank: „Du hast keine Arme, du kannst nicht helfen!" Ein solcher Innenmensch lernt in der Schule des Lebens. Genießen macht gemein, Leid adelt, ihm werden Glück und Unglück, wie die rechte und linke Hand, er weiß sie beide zu brauchen und bringt das Leben. Heimsuchung, ihm ist auch sie eine Durchgangspforte zur Freude: „Es fließt ein Brunnen, der heißt Leid, Draus fließt die lautre Seligkeit, Doch wer nur in den Brunnen schaut. Dem graut. Er sieht im tiefen Wasserschacht, Sein lichtes Bild, umrahmt von Nacht. O trinke, da zerrinnt dein Bild, Licht quillt!" Sie Mache. Berlin, den 20. September 1915. ^?*^ie heutige Wochenübersicht kann nur kurz gefaßt sein, da diese Nummer, der Feiertage wegen, früher erscheint. Irgendwelche bedeutsamen Ereignisse haben sich nicht zu¬ getragen. Nur daß die Städte P i n s k und Wilna in den Besitz der Deutschen gelangt sind und daß der Vormarsch der vereinigten Armeen immer weiter geht. Das Zurückweichen unserer und der ver¬ bündeten Truppen in Ostgalizien ist zum Stehen gelangt, und man wird erwarten dürfen, daß auch das letzte Stück Galiziens bald vom Feinde befreit ist. Die Nachrichten aus dem Osten sind sehr spärlich, zahlreiche unkontrollierbare Gerüchte durch¬ schwirren die Luft; wir haben aber nicht die Gewohnheit, von solchen Gerüchten Notiz zu nehmen. Es wäre ungerechtfertigt und unerlaubt, Kombinationen an solche Gerüchte zu knüpfen. Tatsache ist nur, daß die Uebernahme des Oberbefehls durch den Zaren eine wirkliche Aenderung der Kriegslage nicht her¬ vorgerufen hat und daß sie, wenn auch Teilerfolge «derRussen, die in ihrem zähen Widerstande verharren, durchaus nicht geleug¬ net werden können, obgleich sie gewiß nicht so groß sind, wie die russischen Berichte angeben, im ganzen an der günstigen Stellung unserer und der verbündeten österreichisch-ungarischen Truppen nichts zu ändern vermag. Tatsache ist ferner, daß der liberale Geist, der, von der Duma ausgehend, die Oberhalb in Rußland zu gewinnen schien, wiederum der Reaktion ge wichen ist. Denn die Duma i st v e r t a g t w o r d e n und das bedeutet ein Ende oder wenigstens ein zeitweilige- Aushören ihres Widerstandes. Für uns, die Feinde Rußlands, ist ein solcher Sieg bei Reaktion eher ein erfreuliches als ein unerfreuliches Ereignis wenn auch die Freunde freiheitlicher Bewegung im allgemeiner in diesem finsteren Lande den Sieg des Lichtes als etwas Er wünschtes hinstellen könnten. Erfreulich deswegen, weil durü diesen offiziellen Triumph der Reaktion die revolutionärer Elemente in Rußland zu einem Zusammenraffen gedräng werden könnten. Unerfreulich bleibt der Triumph der Reaktioi für uns Juden allerdings; denn zu den Forderungen de: Duma, die mit ihrer Verabschiedung unausgeführt bleiben gehörte eine Aufhebung der schmachvollen Behandlung der Juden. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß auch das reaktio- näre Rußland, nicht etwa aus Liebe zu den Juden, sondern aus Not, mit besonderer Rücksicht auf das Haus Rothschild, da- Rußland als Geldgeber gewinnen möchte, von ferneren Be¬ drückungen der Juden für den Moment absieht, und daß er eben nur, um Geld zu bekommen, mildere Maßregeln einführt Wenigstens deuten dies einige Notizen der Zeitungen an, di: von Aufhebung mancher Gewaltmaßregeln und von Gewährung mancher Rechte für die Juden sprechen. Die Lage auf dem Balkan ist immer noch unauf geklärt. Die Vierverbandsmächte scheinen Bulgarien aufgegebei zu haben, aber sie versuchen einen immer neuen Druck au Rumänien auszuüben, und es ist noch nicht abzusehen, wiewei: ihre Schritte Erfolg haben werden. Der Vormarsch der ver bündeten Truppen erregt jedenfalls in Rußland den größte: Schrecken. Ein charakteristisches Beispiel dafür bietet folgend, Schilderung des „Berliner Tageblatts", der hier stehen mag Stockhol m, 10. September. Tie Stimmung in Wilna ist so gedrückt, wie sie nur in einer russi schen Stadt sein kann, die sich vor ihrem unmittelbaren Falle befindet Die „Rjetsch" berichtet: Ein Riesenstrom von Flüchtlingen aus Wilna, di, aui Wagen und mit der Eisenbahn flüchteten, hat Minsk überflutet. Di, Flüchllinge berichten, daß am 26. August ein deutscher Flieger einige mal die Stadt überflogen hätte. Von zwei Bomben, die er auf bei Bahnhof herunterwarf, explodierte eine im Warteraum, ohne abe« bedeutenden Schaden anzurichten. Tie zweite siel in die Maschinenhalle wo ein Dampfkessel zerstört wurde. Mehrere Personen wurden durcl Bombensplitter leicht verwundet. Die Teuerung nimmt wegen de- Mangels an Zufuhr von Tag zu Tag zu. Besonders ist Brot sch schwer zu erhalten. Zucker gibt es nicht mehr. Das Telephon ist i« den Händen der Militärbehörden; den Zivilisten ist es strengstens unter sagt zu telephonieren. Die größten Magazine haben ihre Vorräte nack dem Innern Rußlands gebracht. Die Fabrikgebäude- deren Maschine: fortgeschleppt wurden, stehen leer. Die Theater, Cafes und Kinos sin« geschlossen. Das Publikum ist in sehr erregter Stimmung. Der Men schenzudrang auf den Bahnhöfen ist unbeschreiblich. Da infolge diese Gedränges Fahrkarten schwer rechtzeitig zu erhalten sind, verkaufe« Privatspekulanten die Karten zu bedeutend höherein Preise. Die Fahr karten nach Petersburg, die etwa sieben 'Rubel kosten, werden zu dreißig Rubel verkauft. Die „Rjetsch" erzählt sogar Fälle, in denen Fahrkarte« um fünfundzwanzig Rubel teurer veräußert würden. Auf Befehl de Militärkommandanten wird Reisegepäck nicht mehr angenommen. T« städtischen Beamten organisieren sich, um die zurückgebliebenen Arme« zu speisen. Die Stadtmiliz besteht aus der russisch-polnischen und jüdi schen Intelligenz. Der Post- und Telegraphenverkehr sind völlig abgc brachen. Die Verbrecher wurden aus den Gefängnissen nach Smolen« übergeführt, während die Leichtverbrecher freigelassen wurden. All Kirchenglocken, «darunter manche von 450 bis 623 Pud Gewicht, und di Denkmäler wurden nach Moskau fortgeführt. Das jüdische Hilfskomitc hat 1700 ausgewiesene Personen nach Cherson gebracht. Das Kleingel« fehlt vollkommen. Von Zeitungen erscheinen nur noch wenige. Ji den Vorstädten vernimmt man besonders abends deutlich die andauernd« Kanonade. Wer sich noch flüchten will, nruß dies im Wagen tun. Abc« |