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Für das UGAUgüJUGiBG « Ausland: Deutschland ganzjährig Mk. 13.70, halbjährig Mk. 6.85, vierteljährig Mk. 3.45, England ganzjährig Shg. 14,—-, halbjährig Shg. 7.—, vierteljährig Shg, 3.10, Russland ganzjährig R 7.—, halbjährig R. 3.50, viertel¬ jährig R 1.75, Schweiz, Frankreich, Italien, Türkei, Rumänien, Bulgarien, Serbien, Griechenland, Aegypten ganzjährig Frcs. 17,—, halbjährig Frcs. 8.50, vierteljährig 4 J5, Amerika ganzjährig Doli. 3.40, halbjährig Doli. 1.70, vierteljährig Doli. —.85 Nr. 41. Wien, 10. Oktober 1902 — 9. Tischri 5663. 6, lahrgang Die Lehre aus Südafrika. Die Nachricht, dass Lord Alfred Mi In er die zionistische Zentrale in Südafrika als Repräsentanz der dortigen Judenschaft anerkannt hat, indem ei der Federaüon die Mitwirkung bei Ausfc^gung von Pässen an Juden übertrug, hat in weiten Kreisen das berech¬ tigteste Aufsehen erregt. Während die Freunde des Zionismus in der gemeldeten Tatsache einen natur- gemässen und erfreulichen Fortschritt bei Beurteilung der Judenfrage erblicken, hat die Mitteilung von der Verfügung der südafrikanischen Verwaltung bei den Gegnern des Zionismus natürlich ein Gefühl des Miss¬ behagens hervorgerufen. Und doch mussten selbst Antizionisten die innere Berechtigung der Massregel zugeben, indem sie ihr wenigstens für einen Teil der Juden keine Einwendungen entgegensetzen. Es ist also einleuchtend, dass der antizionistische Unmut nicht gegen die Verfügung als solche gerichtet ist, welche eine scheinbar schwierige Frage in einfacher Weise regelt, sondern dass das missliebige Erstaunen unserer fanatischen Gegner sich nur aus der Erkenntnis her¬ leitet, dass hier ein Schritt getan ist, der ihren mühsam gestützten Theorien widerspricht und ihnen darum von Herzen unsympathisch ist. Jeder Mensch, der in das Gebiet Transvaals oder des früheren Oranjestaates eintreten oder diese Terri¬ torien verlassen will, bedarf nach den Anordnungen der südafrikanischen Behörden eines Passes. Der Pass ist für Nicht-Engländer nur durch Vermittlung der betreffenden Konsulate zu erlangen. Ja, da sitzt die Schwierigkeit: der betreffenden Konsulate. Welches ist dieses betreffende Konsulat für die nach tausenden zählenden jüdischen Auswanderer, die aus Ländern kommen, in welchen sie fast nie oder nur in beschränktem Masse als Staatsbürger anerkannt wurden und welche den Juden, die sich aus der unbarmherzigen Umklammerung befreit haben, ihre Tore für immer versperren ? Sollten die armen Leute, die nie die Wohltat eines Vater¬ landes verspürt, weil sie ans Ländern kommen, die von Barbaren bewohnt und beherrscht sind, sollten sie für immer schutzlos und ohne Repräsentanten bleiben? Bietet da das Völkerrecht keine Lösung für diese Frage ? Ja, und die englische Regierung, die Vertretung des mächtigsten und politisch entwickeltsten Volkes der Erde hat sie gefunden. Das Völkerrecht hält es ebenso für möglich, dass eine Person als -Mitglied zweier Staaten betrachtet werde, wie es die Möglichkeit zugibt, dass jemand ausserhalb jedes Staatsverhandes stehe. Tritt doch manchmal der Fall- ein, dass ein Staat jemanden als ausgetreten betrachtet, während noch kein anderer Staat diesem Individium seine Staatsbürgerschaft zu¬ erkennt. Dieser Fall hat bis jetzt eigentlich bloss in der Theorie eine grosse Bedeutung gewonnen, praktisch ist er wohl selten als Massenerscheinung aufgetreten. Erst die Judenfrage hat das Dilemma aus einem theoretischen zu einem praktischen gemacht. Wie ist nun eine solche Persona nullius civitatis zu behandeln? Wenn auch alle Kulturländer, also insbesondere ganz Europa mit Ausnahme von Russland und Rumänien, alle Einwohner in privatrechtlicher Beziehung im Prinzipe gleich behandeln, in öffentlich-rechtlicher Be¬ ziehung wird — innerhalb gewisser Schranken — doch ein Unterschied gemacht. Kommt jemandem also nicht das Recht eines Inländers zu, wird insbesondere eine Person nicht durch die Behörden des Inlandes ver¬ treten, so muss natürlich die Frage nach dem Re¬ präsentanten aufgeworfen werden. Wie also, wenn sich kein Repräsentant findet oder der gefundene die Stell¬ vertretung verweigert? Wohl gilt im Völkerrechte die Regel, dass — innerhalb gewisser Grenzen — jeder Mensch nach den Gesetzen seines Heimatllandes zu beurteilen ist. Wenn aber dieses Heimatland ein Land ohne Recht und Kultur ist ? Kann ein Staat, in dem der Grundsatz herrscht, dass alle Menschen gleich sind, es dulden, dass die Barbarei eines Staates, der einer Gruppe von Menschen die gleiche Rechtsfähigkeit abspricht, sich auf sein Territorium erstreckt ? Gilt da der vage völkerrechtliche Grundsatz mehr als die Kultur? Der grosse russische Völkerrechtslehrer Martens sagt wörtlich: „Die eigentümlichen sozialen und staatlichen Zustände, in denen sowohl die mohammedanischen Völkerschaften als auch die heidnischen und wilden Stämme leben, gewähren absolut keine Möglichkeit, bei dem Verkehre mit diesen unkultivierten oder halb- |