DIE WE LT BERLIN W15, SÄCHSISCHE STR. 8. ERSCHEINT JEDEN FREITAG ----- ZENTRALORGAN DER ZIONISTISCHEN BEWEGUNG XVII. JAHRG. BERLIN, 4. April 1913 Y'önn 'X 'jW "NX VO Nr. 14. ixjli ji i R * Das Assimilantentnm auf dem Kriegspfad — WELTCHRONIK — B. RUBSTE1N: Zerstreu- IlNn/\LI I ung oder Konzentration? — REVUE DER PRESSE — AUS DER BEWEGUNG - FEUILLETON: SCHEAR JASCHUB: Der letzte Band — Geschäftliche Nachrichten — Mitteilungen des Hanptbnreaus des Jüd. N.-F. Das Assimilantentum auf dem Kriegspfad Am 30. März d. J. fand in Berlin die Hauptversamm¬ lung des „Zentralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ statt, in der nach längeren Auseinandersetzun¬ gen über das Verhältnis des Vereins zum Zionismus folgende Resolution angenommen wurde: Der Zentralerem deutscher Staatsbürger jüdischen Glau¬ bens bezweckt nach § 1 seiner Satzungen, die deutschen Juden ohne Unterschied der religiösen und politischen Rich¬ tungen zu sammeln, um sie in der tatkräftigen Wahrung ihrer staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung sowie in der unbeirrten Pflege deutscher Gesinnung zu bestärken. Hieraus ergibt sich die Stellung des Zentralvereins zu den Zionisten. Wir verlangen von unsern Mitgliedern nicht bloß die Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten, sondern deutsche Gesinnung und die Betätigung dieser Gesinnung im bürgerlichen Leben. Wir wollen die deutsche Judenfrage nicht international lösen. Auf dem Boden des deutschen Vaterlandes wollen wir als Deutsche an deutscher Kultur mitarbeiten und unserer durch unsere Religion und unsere Geschichte ge¬ heiligten Gemeinschaft treu bleiben. Soweit der deutsche Zionist danach strebt, den entrech¬ teten Juden des Ostens eine gesicherte Heimstätte zu schaffen, oder den Stolz des Juden auf seine Geschichte und seine Religion zu heben, ist er uns als Mitglied will¬ kommen. Von dem Zionisten aber, der ein deutsches Na¬ tionalgefühl leugnet, sich als Gast im fremden Wirtsvolk und national nur als Jude fühlt, müssen wir uns trennen. Wenn bislang in zionistischen Kreisen noch irgendwo die Hoffnung bestand, mit dem „Zentralverein“ ünd seinen Geistesverwandten schiedlich friedlich auskommen 7-u können, so ist diese Hoffnung nunmehr wohl endgültig zerstört. Eine auf sentimentalen Erwägungen oder auf „brüderlicher" Rücksichtnahme beruhende Friedenspolitik wäre nach dieser Kraftleistung unserer verehrten Glau¬ bensgenossen einfach Selbstmord. Es handelt sich nicht mehr um „Differenzen" in der „Auffassung" gewisser Begriffe und historischer Er¬ scheinungen, es handelt sich um Sein oder Nichtsein des jüdischen Volkes, und da sagen wir uns von denen los, die das Lebensrecht unseres Volkes ihren Tages¬ interessen opfern wollen. Die Resolution des Zentralvereins ist — mögen die Herren sich darüber klar gewesen sein oder nicht — im tiefsten Sinne unwahrhaftig, denn sie operiert mit Be¬ griffen und Forderungen, die in dem Leben und den Bedürfnissen der Juden und Nichtjuden keine Rechtferti¬ gung finden. Es ist nicht Aufgabe des Zentralvereins, die „Ge¬ sinnung" seiner Mitglieder zu kontrollieren; eine solche Forderung ist illiberal und ganz undurchführbar. Wäre es aber den Herren vom Zentral verein mit ihrer Ge¬ sinnungsprüfung ernst, so müßten sie zunächst erklären, was sie unter „deutscher Gesinnung" eigentlich ver¬ stehen, und dann müßten sie zu vielen anderen Fragen Stellung nehmen, bevor sie zu der — für Deutschland relativ unwichtigen — Frage des Zionismus kämen. Sie müßten erklären, was sie über die internationalen Be¬ strebungen der Sozialdemokratie und des Zentrums, über die nationalen Wünsche der Dänen und Polen denken, müßten die Stellung ihrer Mitglieder zu diesen Fragen ermitteln und eine Definition des „deutschen Empfindens" schaffen. Solange der Zentralverein diesen Weg nicht betritt — und er wird ihn nicht betreten — solange gestatten wir uns, seine Forderung „deutscher Gesinnung" (die er bewußt in einen scharfen Gegensatz zur Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflichten stellt), für eine verlogene Phrase zu erklären. Immerhin lohnt es, die Terminologie des Zentralvereins ein wenig näher zu betrachten. Nach unserer Meinung hat weder der Staat noch ein politischer Verein das Recht, die „Gesinnung" der Staatsbürger zu prüfen. Der Staat hat sich damit zu begnügen, daß seine Bürger aufrichtig ihre Pflicht erfüllen. Ueber diesen formalen Rechtsstandpunkt hinaus gibt es freilich staatsbürgerliche Empfindungen der Liebe, der Anhäng¬ lichkeit, der Treue und Hingabe — aber es wäre der Ruin des modernen Staatsgedankens, wenn diese Empfin¬ dungen erzwungen würden. Ein politischer Verein kann «es sich wohl zur Auf¬ gabe machen, staatsbürgerliche Erziehung in diesem Sinne zu leisten, und auch der Zentralverein wäre hierzu be- |