DIE ELT KÖLN AM RHEIN, KAROLINGERRING 6 %/ ERSCHEINT JEDEN FREITAG ; ZENTRALORGAN DER ZIONISTISCHEN BEWEGUNG XII. JAHRG. KÖLN. 3. Janaar 1908 ;rirr dtp'n TOD d"3 UNSER PARTEIFONDS (IM LICHTE GESCHICHTLICH-JÜDISCHER VORSTELLUNGEN) IV. Partei, Vorschläge, Beschlüsse, Statuten, Einrich¬ tungen, Verwaltung u. dgl. haben eine gewisse prak¬ tische Bedeutung, sofern 1 die Bestrebungen sich zu einer Organisation verdrehten, um in bestimmte Anstalten eingegliedert zu werden und Greifbares, Exaktes zu schaffen. Das träumerische Grübeln allein macht es -nicht, das Sehnen und Hoffen, der Jenseitsflug, hinweg über Raum und Zeit, das ewige Suchen und Wollen, sofern es sich nicht in Taten umsetzte, schweben völlig haltlos in der Luft Die Enge des menschlichen Hori¬ zontes, die kalte, nüchterne, aber unentbehrliche bureau- kratische Technik, die notwendigen Äußerlichkeiten, die Mode, die heischt, das alles, was sich in das Ge¬ sichtsfeld der Tagespolitik drängt, irgendein Wort prägen muß, zwangen uns, den Populariiätsrücksichten Rechnung zu tragen, uns als Partei zu registrieren mit eigenem Namen, mit eigener Werkstatt und eigenem Haushalte. Durch dieses Zugeständnis äußerlich praktischer Natur hat sich das Verhältnis derjenigen verschoben, die, unfähig oder nicht geneigt, den Puls¬ schlag des Judentums feinfühlig zu beobachten und die Tiefe einer gewaltigen, sittlichen Macht zu würdigen, Tunsern Rahmen mit unserem Bilde, unsern Geist mit dem ihn umgebenden Gerüste, unser Wesen mit unserer äußerlichen Erscheinungsform ver¬ wechseln. Sie sehen nicht den Zusammenhang, der uns mit der ganzen Vergangenheit zu einer geschlossenen Gesamtheit fügt: das Hinstreben nach einem Mittel¬ punkt, nach einer Wurzelkraft; sie hören nicht was in den Tiefen der Volksseele rauscht. Sie sehen nur die Bläschen auf der Wasserflut, die ihnen wie Meeres¬ tiefen scheinen, und da schwingen sie die schwellenden Segel! Wenn wir „Zionisten" sind, so sind sie „Anti- " zionisten", — das Latein reicht für so manche Be¬ zeichnung. Leiten und beaufsichtigen wir unser, schwaches Beginnen, so ist das, was von uns ausgeht — „offiziell"; sehen wir die Dinge, wie wir sie sehen, so .heißt das „Tendenz". Auf den seichten Gewässern . -des. .Tagesjargons lossteuernd, befinden wir uns mit einem Male in einem flutenden Getriebe von Worten und Begriffen fremder Ursprungs und fremden Charakters____ Es schäumt und gährt: „national", „anti-national" es flattern die geflügelten Worte von Völkereinheit und Weltfrieden, es donnern die Hammerschläge der „Staats- raison" usw. und das Spezifisch-Jüdische, dessen „nationales" etwas ganz anderes ist als der Nationalismus der Völker, dessen Zion keiner Endung mit.... ismus eigentlich bedarf, wird in dieses Phrasen-Labyrinth hinein- gezerrt, wobei Wortverbindungen wie: offizieller zio¬ nistischer Chauvinismus, Tendenz zionistischer Macht¬ haber und dergleichen Narreteien hochkomischen Genres zur Geltung kommen können. So oft sich dieser Nebel zu einem Schleier ver¬ dichtet, der wie ein dunkler Flor die Augen der Menschen umhüllt, und so oft etwas Neues geschaffen werden soll, das, wie in diesem Falle unser Parteifonds, einem Ideal der jüdischen Gesamtheit dienen muß, ist es vor allem Pflicht, dieser Gesamtheit das Echtjüdische, das im Urgrund unserer Volksseele festwurzelnde, das historisch Notwendige und seit Jahrtausenden mit immer neuer Tatkraft und Gemütsstärke Auftretende in dem, was wir jetzt „Zionismus" nennen, zum Bewußtsein zu bringen. Wir sind keine Partei im landläufigen Sinne des Wortes. All die Termine der üblichen Parteibezeichnungen sind, auf uns angewandt, wertloser Plunder. Basel, oder Chowewe-Zion bilden die Marksteine in der Entwicklung der Erscheinungsformen, aber sie wären null und nichtig, würden hier nicht die tiefsten Triebkräfte des Volksgenius seit Jahrtausenden in tausendfachen Verzweigungen mit¬ wirken. Was durch Menschenlaune geschaffen war, kann Menschenlaune wieder verwehen. Wir haben nichts erfun¬ den, wir sind unserm Wesen nach keine Partei, und es ist kin¬ disch, von einer zionistischen „Tendenz" zu sprechen. Wenn wir das Äußerliche abstreifen und auf den Grund sehen, so ist Zionist gleichbedeutend mit Jude. Wir müssen, nicht aus taktischen Rücksichten, sondern aus unserer Geschichtsauffassung heraus, jeden Juden als Zionisten betrachten, gleichviel, ob er will oder nicht. Trotz der |