Anerkennung des Prinzips der unbeschränktesten Willens¬ freiheit, die jedem das Recht gibt, sich nach seinen Überzeugungen und Gemötsneigungen zu richten, kann weder der einzelne Jude, noch die einzelne Judengruppe in einem bestimmten Lande, nicht einmal die einzelne Generation darüber entscheiden. Sie kann sich praktisch stellen, wie sie will; die Richtlinie der Gesamtheit ergibt sich aus den Gesamtbestrebungen aller Generationen. Diesen „Din" (Vorschrift) „pasket" (entscheidet) nicht Reb Israel, sondern Israel, sagt der treffende Volkswitz. Die „Synthese des Zionismus" liegt nicht darin, daß wir—die paar modernen Begriffe „Politik", „Real¬ arbeit", „Autonomie", Konzessionen" in einen allge¬ meineren Begriff zusammenfassen. Das sind wieder moderne journalistische Redewendungen, "billig wie Erd¬ beeren, Argumente, vor denen man auf einen Augenblick weicht, um dann wiederzukehren und mit einer anderen Phrase sich zur Wehr zu setzen. Die Synthese des Zionis¬ mus liegt in der gründlichen Erkenntnis und in dem feinen Nachempfinden der jüdischen Lehren, des jüdischen Dichtens und Denkens, der jüdischen Geisteskultur. Und wenn wir den Anspruch auf die Gefolgschaft des ganzen Volkes erheben, so tun wir dies nicht auf Grund irgend¬ eines Parteibeschlusses, nicht weil wir eine Partei sein wollen, und weil wir dies oder jenes herausgeklügelt haben, sondern auf Grund einer Welt- und Lebens¬ anschauung, wie sie das Judentum zu allen Zeiten in den verschiedensten Formen, durch allerhand. Symbole und unendlich mannigfaltige Willensäußerungen, in allen Graduationen, von der rührendsten Naivität bis zur härtesten statuarischen Strenge, in einem uralten Be¬ streben, in dem die Geistesströmungen der Verkünder und Träger unserer Lehren mit den elementarsten Masseninstinkten unseres Volkstums zusammenflössen, zu einem volltönigen Ausdruck, zu einer wahrhaften historischen Symphonie gebracht hat. Deshalb ist es leere Spiegelfechterei, wenn man uns mit den Waffen der Parteipolemik, die einem unsagbar engen Gesichts¬ kreis entstammen, entgegentritt. Hätten wir nur Programme und Protokolle, die wir selbst abgefaßt haben, so wären wir Don Quichots, die einen ungestümen Tatendrang in edlen, aber ziel¬ losen Abenteuern vergeuden. In der Tat aber sind unsere Programme und Protokolle Nebensache, wie auch unsere ganze Parteieinrichtung nur eine technische Not¬ wendigkeit, aber nicht unser Wesen ausmacht. Wir lesen das, was man jetzt Zionismus nennt, nicht in unseren Protokollen, sondern auf den Tafeln der jüdischen Geschichte und im Buche des Lebens. Deshalb müssen wir auch mit der Aufforderung zu dem, was wir Partei¬ fonds nennen, an die iüdische Gesamtheit herantreten. N. S. REISEEINDRÜCKE IN UND UM PALÄSTINA I. Spaziergänge durch Damaskus Die Eisenbahn von Beirut nach Damaskus, zum .Teil Zahnradbahn, braucht für die nur etwa 150 km lange Strecke nicht weniger als 9 Stunden.. Sie hat allerdingis auf diesem Wege in ungefähr 1400 m Höhe den Libanon und den Antilibanon zu überschreiten, zwischen welchen beiden Gebirgen sich die von den Alten Cölesyrien genannte Hochebene erstreckt. Die Aussicht von der Bahn ist sehr abwechslungsreich; fast 2 Stunden hat man den Rückblick auf Beirut und das Meer, dann sieht man auf die schönen libanesischen Ortschaften, in denen die reichen Beiruter vor der schrecklichen Hitze, die im August und September in Beirut herrscht, Zuflucht suchen, und auf den Dschebel Sannin, den schneebedeckten höchsten Berg des Libanons. Die Abhänge des Gebirges sind bis weit hinauf vor¬ züglich angebaut. Neben Ölbaumpflanzungen sieht man Pinienwälder, Maulbeerkulturen und Weinberge mit Stöcken, die nicht aufrecht stehen, sondern am Boden liegen. Je näher man Damaskus kommt, um so wasser¬ reicher und fruchtbarer wird die Gegend. Hohe Pappeln stehen am Rande der Bäche, gewaltige Nußbäume wechseln mit Feigenhainen und andern Obstbäumen ab. Die nächste Umgebung von Damaskus ist geradezu ein Paradies für Vegetarier: Weintrauben mit Beeren von der Größe einer Pflaume, Pfirsiche, Feigen, Melonen von wunderbarem Wohlgeschmack, Äpfel und Birnen sind in unbegrenzter Menge und erstaunlicher Billigkeit . vorhanden. In Damaskus selbst, begrüßt den Ankommenden . wenig angenehm der furchtbare Staub, der auf der vom • Bahnhof zur Stadt führenden ungepflasterten Straße herrscht. Mehrere Zentimeter hoch ist die Straße von ; dem feinen Staub, der von. jedem Pferdehuf in Massen aufgewirbelt wird, bedeckt. In der Stadt selbst sind die Straßen meist gepflastert und der Staub weniger störend. Dafür stellen sich als eine andere Plage die Hunde ein, die in ganzen Rudeln auf den Straßen herum¬ lungern und bei jeder möglichen Gelegenheit ein schreck¬ liches Geheul vollführen. Besonders des Nachts ist ihr Gekläff geradezu unerträglich. Die Stadt ist die einzige in ganz Syrien — Beirut wird allerdings in nächster Zeit folgen —, die eine elektrische Straßenbahn hat. Sie geht von der Vorstadt Selahyc durch die ganze Stadt bis zur Vorstadt Meidan. Die von auswärts kommenden Beduinen und insbesondere das Vieh, das sie durch die Straßen treiben, sind an die Bahn noch nicht gewöhnt, und es finden in den engen Straßen fortgesetzt Kollisionen statt, die aller- > dings meist gut ablaufen. Hier wird ein junges Pferd mit sanfter Gewalt vom Wagen beiseite geschoben, dort bekommt ein Esel einen energischen Klapps auf sein Hinterteil; ein Hund karamboliert mit dem Tritt- . brett und hinkt heulend zur Seite; eine alte taube Frau wird von Passanten von der Fahrbahn fortgezogen usw. Jedenfalls ist es eins der schwierigsten Ämter, Schaffner eines elektrischen Wagens in Damaskus zu sein; es gehören eiserne Nerven und eine geradezu unerschöpf¬ liche Geduld dazu. Sein charakteristisches Gepräge erhält Damaskus außer durch seine" zahllosen Moscheen mit ihren Minarets durch seine großen Basare. Es gibt deren mehr als ein Dutzend mit einem gewaltigen Menschengedrange und einer Gesamtlänge von mehreren Kilometern. Die meisten sind mit einem gewölbten, in Eisen konstruierten Dach versehen, andere haben noch die alte rohe Holz¬ bedachung. Zu kaufen gibt es alle möglichen europäischen |