Nr. 91 . Seite 14. Alle giengen nun fort, mit ihnen auch meine beiden Brüder und Herschele, der Sohn Zine-LeieS. Meine Mutter weigerte sich beharrlich mitzugehen. Sie war überhaupt keine allzugroße Freundin lärmender Vergnügungen. „Mögen sich die anderen freuen in Gesundheit", sagte sie immer, „aber was Hab' ich damit zu thun? Wozu soll ich mich aufdrängen mit meinen Leiden, wenn andere sich freuen? Ich würde nur jene stören, ohne mir selbst mein Unglück zu er¬ leichtern . . ." VIII. Nicht lange nachher gieng auch meine Schwägerin mit ihrem Kinde nach Hause; auch Zine-Leie mit ihren Kindern verließen uns und in unserem Zimmer, wo es vor Kurzem so lustig und fröhlich zugegangen war, trat wieder eine düstere Ruhe ein, düsterer und unheimlicher als je zuvor. Traurig und kalt ward e- nun in unseren Herzen, in allen Gliedern spürten wir die Kälte, vor der wir uns unter den Bettdecken zu schützen suchten. Wie ein Meteor, das am Horizonte einen Lichtbogen zeichnet und augenblicklich verschwindet, wie der mächtige Blitz, der in schwarzer Nacht die Finsternis durchbricht und für eine kurze Weile das Dunkel aufhellt, so war bei uns eine Weile Licht ge¬ wesen, um bald wieder zu verschwinden und uns die Finsternis nur noch stärker und grausiger empfinden zu lassen. . . . Sogar daS Chanukageld, das mir vor Kurzem so viel Freude bereitet hatte, zahlte ich nur ganz kalt und gleichgültig und gab es zu¬ letzt der Mutter zur Verwahrung. „Ich werde, so Gott will, morgen für das Geld Holz kaufen. Ist eS dir recht, mein Sohn?" frag mich die Mutter. „Ja Mutter!" antwortete ich. Und ich lese das Abendgebet, schmiege mich an meine Mutter »nd schlafe ein. Mir träumte: Ich gehe in die Schule, in der einen Hand eine papierene Laterne, in der anderen ein Stück Brot mit einer zerschnittenen und eingesalzenen Zwiebel. Es wird finster und in den Fenstern beginnen Lichter zu schim¬ mern. Ich schleppe kaum meine halberfrorenen angeschwollenen Füße über die gefrorene Erde. Der Frost durchdringt meinen ganzen Körper und meine Hände sind so erstarrt, dass ich sie nicht rühren kann. Ich blase und hauche aus voller Kraft auf meine erfrorenen Finger, um sie zu erwärmen. Da bin ich vor dem Hause des Müllers Wakola. Da ist der Misthaufen, hinter dem mir Wanjko täglich auflauert. Ich zittere am ganzen Körper. Allein Wanjko ist nicht da! Dank dir barmherziger Gott! Meine Freude ist so unermesslich groß, dass ich wahrlich nicht weiß, was anzufangen. Alles in mir jauchzt, tanzt und hüpft vor Freude: „Wanjko ist nicht daHeute wird er mich nicht schlagen, heute wird er mir nicht den Kopf mit Steinen ver¬ wunden, mlch nicht an den Haaren zerren!. . ." Plötzlich tritt gar Zine-Leie aus Wakolis Stube heraus, sie hält eine Schüssel voll Warenjkes mit Kasza und gibt mir zwei Warenjkes und einen ganzen Vierer. Ich ergreife hastig die WarenjkeS und das Geld und laufe schleunigst nach Hause. Kaum dass ich einige Schritte gelaufen, verspüre ich, dass etwas kaltes, nasses und glitschiges meine Hand berührt. Erschrocken blicke ich um mich: neben mir steht Wakolas großer Hund und will mir das Abend¬ essen rauben. Ich ziehe meine Hand mit dem Brot (in das sich die Warenjkes inzwischen verwandelt haben) zurück und ver¬ suche, zu Tode erschrocken, nach Hause zu entrinnen. Aber meine Füße sind centnerschwer; ich kann nicht von der Stelle. Der Hund springt auf mich los und bald liege ich in einem Sumpfe, der nur mit einer dünnen Schichte Eis bedeckt war. Ich beginne nun mit Händen und Füßen mich herauszuarbeiten. „A ty tot“ schreit plötzlich Wanjko und ergreift mich an den Haaren. „Mutter, Mutter!" ich brach in ein Jammergeschrei aus und erwachte. Ich konnte kaum athmen vor Schreck. Ich blickte verwirrt umher; ich befand mich in den Armen meines Bruders Süsie, der mich nach meiner Lagerstätte, die aus mehreren Sesseln in der Nähe tzes Ofens bestand, hintrug. „Süsie", fragte ich, meinen Bruder mit beiden Händen um¬ schlingend, unter Schluchzen. „Süsie, nicht wahr, heute ist Chanuka?" „Ja, meine Seele." „Und jetzt geht man nicht bei Nacht in die Schule?" „Nein Leibele." „Und Wanjko wird mich jetzt nicht schlagen?" „Nein, nein." „Warum schlägt er mich denn immer so heftig?" „Weil er eben Wanjko ist." Und mit dem Gedanken schlafe ich em; dass Wanjko immerfort schlagen wird. .. . Heran-gr-er: ysvl 77ascha«,r. Derautworllickle Redycteur: V?. $• Bücherwrlt. Die erste Flugschrift, die von der zionistischen Jugend von Drohobycz im Verlage des Agitationscomitss des „Zion" erschien, zerfällt in zwei Theile. Der erste bespricht die Aufgaben und die Pflichten der zionistischen Jugend, und den Modus, durch welchen die zionistische Jugend von Drohobycz diesen gerecht werden will Den zweiten Theil bildet eine Allegorie, em Fragment, wie sie der Verfasser Menachem nennt, unter dem Titel „Die Mutter Zion und ihre Kinder". Nicht die Allegorie an und für sich ist bemerkenswert. Erfreulich ist es vor allem, darin wieder ein Beispiel zu finden, wie die Lebensanschauung des Zionismus überall die schlummernden Kräfte weckt, Geist und Herz der Alten wie der Jungen mit neuen Ideen und Gefühlen von bisher unbekannter Kraft und Schönheit erfüllt, und so recht schon jetzt, noch lange vor seiner Erfüllung, den Juden jenen mächtigen, inneren Halt, jene Entfaltung aller ihrer Fähigkeiten bringt, die den mächtigsten Be¬ weis für seine Richtigkeit und Nothwendigkeit bilden. — w — Girre mustergültige Länderkunde. Von dem großen geo¬ graphischen Sammelwerk „Allgemeine Länderkunde" ist vor kurzem der fünfte (Schluss-) Band „Australien und Ozeanien" *) von Professor Dr. Wilhelm S i c v e r s zur Ausgabe gelangt. In die Reihe der rühmlichst bekannten, der Popularisierung des modernen Wissens gewidmeten Publikationen aus dem Verlage des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Wien tritt dieses vornehme Werk vollkommen ebenbürtig ein. und die Verlagshandlung blickt mit gerechtem Stolz auf die glückliche Ausführung gerade dieses schwierigen Unter¬ nehmens, dem die deutsche Literatur nun eine der besten und nam¬ haftesten Erscheinungen auf geographischem Wissensgebiete verdankt. Der Herausgeber, Professor Dr. Wilhelm Sievers, im Bunde mit einer Reihe Gelehrter von klangvollen Namen, als: Dr. E. D eck er t, Pro¬ fessor Dr. W. Kükenthal. Dr. R. von Lendenfeld, Professor Dr. L. Neumann, Dr. A. P h i l ip p s o h n, und die Verlags¬ handlung haben mit erstaunlichem, schier unerschöpflichem Aufwand von Wissen, Arbeitskraft und Mitteln gemeinsam an einer Aufgabe gearbeitet, deren Lösung überhaupt nur unter diesen Voraussetzungen denkbar war. Einem von jedem Gebildeten getheilten Bedürfnis, einem zwingenden Erfordernis unserer Zeit, der Zusammenfassung unserer heutigen Kenntnis von der Erdbeschreibung in einheitlicher, übersichtlicher Form bei Be¬ schränkung des riesigen Stoffes auf den Kern des absolut Wiffens- werthen,^ rn gemeinverständlicher Darstellung und bildlicher Anschauung kommt die „Allgemeine Länderkunde" wirksam entgegen. Seitdem besitzen wir, was wir uns lange wünschten, einen Sammelpunkt unseres geo¬ graphischen Wissens, ein Werk, das, zuverlässig und maßgebend, den Fachmann von der niederdrückenden Bürde des Gedächtnisballastes zu entlasten sucht und dem Laien nicht nur die bisherigen Schwierigkeiten bei der Information über geographische Fragen aus dem Wege räumt, sondern jede gewünschte Belehrung in der ansprechendsten Form ertheilt. Kein anderes Culturvolk erfreut sich eines gleichen oder zum mindesten ähnlichen Werkes. Der neu erschienene Band „Australien und Ozeanien", der sich in allen Theilcn möglichst eng an dre vorhergehenden vier Bände über die übrigen Erdtheile anschließt, sucht wiederum das Wissenswerteste unter Berücksichtigung des neuesten wissenschaftlichen Materials zu bieten. In meisterhaften Strichen entwirft uns Sievers ein lückenloses, farbenreiches Bild der weiten Inselwelt des großen Occans wie des australischen Festlandes und bringt dadurch den fernen Erdtheil unserem geistigen Auge greifbar nahe. Sievers Führung vertrauend, begleiten wir ihn von den den Golddurst reizenden, doch wasserarmen Goldfeldern des austra¬ lischen Westens an die wüsten Salzseen und Salzsümpfe des Innern bis zu den Blauen Bergen im Südosten dieses Erdtheiles. Wir staunen ob der großartigen Alpenlandschaften und wunderbaren Gletscher der Südinsel Neuseelands und lernen dann auf unserer Wanderung-die überaus merkwürdigen, durch ihre verheerenden Naturereignisse berühmten Vulkangebiete der Nordinsel kennen. Und weiter geht es über gefährliche Nisse und die Atolle mit ihren Lagunen zu den unzähligen Jnsel- schwärmen Polynesiens, die wahrhafte Perlen landschaftlicher Schönheit bergen, bis wir im äußersten Norden und Osten bei der politisch inter¬ essanten Hawaii-Gruppe und der Osterinsel mit ihrer alterthümlichen Cultur angelangt sind. Den Schluss des Ganzen bildet eine übersichtliche Schilderung der gerade gegenwärtig im Vordergründe der Aufmerksam¬ keit stehenden, starren Südpolarländer. Getreu ihrem alten Grundsatz, dem Wort als Stütze das Bild zu geben, hat die Verlagshandlung auch dieses Buch mit Bildern fast über¬ reich ausgcstattet. Und welche Bilder! Dem nach ganz neuen, bisher noch nirgends veröffentlichten Photographien hergestellten Illustrations- Material gehen die künstlerischen Leistungen eines Compton, von Eckenbrecher, Heubner und Kuhnert voran, und die vollendete Wiedergabe dieses Bilderstoffes im Druck gereicht den tech¬ nischen Officinen des Bibliographischen Institutes zur hohen Ehre. *) Australien und Ozeanien. Eine allgemeine Landes¬ kunde. Von Professor Dr. Wilhelm Sievers. Mit 137 Abbildungen im Text, 12 Karten und 20 Tafeln in Holzschnitt und Farbendruck. In Halbleder gebunden 16 Mark oder in 14 Lieferungen zu je 1 Mark. Aas Hriginak der Illustration „Licht" von I. M. Okin (in der Größe 59 Ctm. lang. 43 Ctm. breit) ist ver¬ käuflich. Anträge nimmt die Administration der „Welt" entgegen. ovnS Wmttt. Druck von Jacob Dnr SBien. VIII.. Laudongasse Nr. 57. |