2 Und jene Versicherung Jehovas, uns immer wieder aus den Händen unserer Feinde zu befreien, sie erzeugt Stolz und Zuversicht. Dieser alte Jehova, das ist kein Herr v. Ehegestern; seine Versprechungen, sie wurden seit jenem Auszuge aus Mizraim oft und oft erfüllt. Er hat sich für diese Geschehnisse ein grosses Merkbuch angelegt, eine lebendige Chronik. Das ganze Werk heisst: „Das Volk Israel", und wir alle, die wir an diesem Tische sitzen, und zur Erinnerung an die Leiden Pharaos rothen Wein verspritzen, wir sind Blättlein des alten Buches, athmende Beweisstücke für die Grosshenlichkeit und Treue des alten Juden¬ gottes. Wie ich Blatt um Blatt in diesem köstlichen Oster- büchlein wende, wird mir 's klar, dass ich ein Stück Agada bin, ein Blatt des alten Volkes vom grossen Buche; ich möchte aulschreien vor Wonne ob meiner adeligen Sippschaft und vor Wuth über Mischko und seinen Hund, die mich trotz meiner Verwandtschaft mit Jehova täglich beschimpfen und anbellen. Morgen ist noch Pessach. Uebermorgen auch. Aber in einer Woche, da ist es zu Ende mit meiner Geduld. Hüte Dich, Du armer Geselle, und all Ihr Hunde zittert. Ich bin erfüllt von der Grösse meines Volkes, ich bin der Enkel Mosis, der Nachkomme Davids, der den Goliath besiegte. Ich hatte mich in eine seltsame Erregung hinein¬ geträumt. Vater begann das Hallel anzustimmen; ich vergass mitzusingen. Meine helle Stimme war beliebt im häuslichen Chor. Vater gab mir einen wohlgemeinten Klaps. Das war der erste Schlag, den mir mein Gefühl für nationales Judenthuni eintrug. Wie oft habe ich es seither bedauert, dass meine Stimme so hell ist. Damals vergass ich bald jede Kränkung. Wer könnte auch grollen angesichts duftender Suppenschüsseln voll lecker gefügter Mazzosknödelchen. 0 diese Juden. Sie haben in der Uebung jahr¬ tausendealten Zwanges gelernt, aus dem Brote des Elends Delicatessen zu bereiten, aus ihren ungesäuerten Befreiungsbroten Bäckereien zu formen, die so munden, wie moderne Hefebäckerei des Exils.---Einst hatte' ein Arzt angekündigt, dass er künstliche Hühner¬ augen einsetze, die so schmerzen wie natürliche, und der Mann wurde verhöhnt. — — — * * * An jenem Sederabende, da wusste ich von all dem noch nichts; ich sah in der Assimilierung der Mazzos eine wohlschmeckende Verbesserung unseres Loses, und ich glaubte auch an den Elihu hanuvi, an den feurigen Geist im glühenden Wagen. Der Tisch wurde abgeräumt, der vierte Becher war getrunken, der grosse Augenblick nahte. Der ältere Bruder stand auf. Wir blickten alle voll Spannung auf den Becher voll duftenden Rothweines, der einem geheimnisvollen,unsicht¬ baren Gaste eingeschenkt ist. Der Brud- r öffnete die Thüre, damit der grosse Prophet ungehindert kommen könne, seinen Becher zu trinken. Wir fühlten den kalten Luftstrom ins Zimmer dringen. In diesem Lufthauche war er, der geheimnis¬ volle Gast, der ungesehen, ungekannt unier den Menschen wandelt, die Bösen zu strafen, die Guten zu belohnen. Bevor man die Thüre geöffnet hatte, war es voll schmerzhafter Freudigkeit erklungen: „Leschono habo bijeruschulajim!" Es musste ein geheimnisvoller Zusammenhang bestehen zwischen dem Wunsche, im nächsten Jahre in Jerusalem zu sein, und zwischen Elihu hanuvi. , Wir lagen im Bette, mein grosser Bruder und ich, wir starrten ins Nebenzimmer auf den seltsam funkelnden Becher. Vorhin, bei-Tische, da hatte er sich vor uns gescheut, der hohe Gast, aber jetzt endlich musste er den Becher neigen, ihn leeren, und dann, so sagte mir der Bruder, würde sich das grosse Wunder erfüllen, wir kommen alle nach Jerusalem, wo Milch und Honig fliesst. „Wo es lauter Juden gibt," jauchzte ich, wo man Mischko, den Bösewicht, nicht fürchten muss." Jerusalem, das war der heisse Traum meiner jugendlichen Oster-Phantasie. 0, die einzige, herrlich leuchtende, ewige Stadt Gottes und der Propheten, du geheiligte Stätte, wo steter Friede herrscht, wo es keine Bösewichter gibt und keine Sünde. Ich war seither in Jerusalem, ohne den Frieden zu finden, und ich habe dort manches Gesicht gesehen, das dem des Mischko glich. Und ich fürchte, ich fürchte, wenn wir erst alle Juden hinbringen, dann wird . es auch Hunde geben in den heiligen Mauern von Zion, menschliche Köter, Leute mit Hundesrelen, welche aus alter Gewohnheit die Zionisten in die Waden beissen werden. * * * Noch sitze ich am Sedertische des Exils, und schon jetzt hebe ich die Füsse hoch. Sonderbar, wie ich sie ausstrecke, da stosse ich auf Widerstand, ich fühle eine schauerliche Kälte mir durchs Bein zittern. Es ist jenes erschreckende Gefühl, das den Rabbi von Bacharach in die Flucht trieb. Das Scheker bilbul liegt unter dem Tisch. Zwei Männer, als Juden verkleidet, haben den edlen Rabbi aus dem reizenden Städtchen am Rhein vertrieben, und Heinrich Heine, unser grosser Dichterahne, lief ihm nach. Das ist jener Heinrich Heine, von dessen Brosamen die deutschen Schriftsteller leben, wenn sie geistreich sein wollen, und den viele dann schmähen, wie eben kle r ne Geister ihren Brot¬ herrn beschimpfen. Heinrich Heine lief mit seinem Rabbi bis ins Ghetto von Frankfurt, dort Hess er den Gelehrten mit seiner schönen Frau zurück, während er weiter eilte und weiter, bis er dem Judenthum entlaufen war. Mein grosser Namensvetter ist ein Meschumed ge¬ worden. Das geschah aber bloss durch einen unglück¬ seligen Zufall. Er gieng auf die Suche nach seiner Nation, er konnte nicht leben ohne Boden für die Wurzeln seines Stammes, ohne Halt für seine Seele. Er feierte das Judenthum, und er fand in dem herrlichen Leichnam vertrocknete Seelen alter Schamussim. Er suchte im Weltmeere, er befuhr alle Ströme und Flüsse Europas, er neigte sich über jeden Quell. Schliesslich kam er ans Taufbecken, von dessen erlösender Kraft er so viel gehört hatte. Er bückte sieh zu tief und fiel hinein Bei diesem Falle hat er auch das Gleichgewicht seiner Seele verloren. Ach, wenn er doch nur einen Augenblick lang an Elihu hanuvi geglaubt hätte, das Unheil wäre nie, nie über ihn gekommen. Aber er war ein arger Frevler, ein Skeptiker und Spötter, der selbst im feurigen Wagen gen Himmel fahren wollte. So kam es, dass er sich den Rücken verbrannt hat und viele Jahre seines Lebens im Siechbette ver¬ brachte. Vor etwa zwei Jahren habe ich ihm das alles persönlich zu Gehör gebracht, da unten in Korfu. Er war bleich wie der Tod als ich so vorwurfsvoll zu ihm sprach, aber er blieb regungslos auf seinem Marmor-Postament. * * * Das Feenschloss Achilleion leuchtete herunter, das Meer rauschte empor, die Berge von Albanien schieden mit ihren sanften Wellenlinien die himmel- |