Seite 4 „Die i$ Welt" Nr. 46 man sie schliesslich zu den wissenschaftlichen Unmöglich¬ keiten zählen muss. Der Gebrauch des Begriffes Cultur ist ja ganz weit abgesprungen von seiner ursprünglichen Bedeutung. Nach¬ gerade verstehen wir untei Cuitur .nicht mehr und nicht weniger, als das ganze Seelenleben in allen seinen Aeusserungsformen. Es gehört zu ihr am Ende alles, von den höchsten Kunstformen bis zum Ge¬ schmack, der sich in der Mode äussert; von den tiefsten Strömungen der Wissenschaften bis meinetwegen zu der Art, wie man bei Tisch mit Messer und Gabel hantiert. So unendlich, so unfassbar weit ist schon der Begriff Cultur an sich. Und nun gar die Grenzen einer „nationalen" Cultur. Wo will man sie abstecken? W^o will man sie ganz beson¬ ders abstecken heute, da alle Cultur ein Ex- und Import¬ artikel ersten Ranges geworden ist ? Was sozusagen in den grossen Tausch des Weltmarktes eingegangen ist, das hat von vornherein vieles von seiner Eigenart aufgegeben. Zweifellos: durch den unaufhörlichen internationalen Aus¬ tausch von Culturinhalten und Culturformen werden die Grenzen der einzelnen nationalen Culturen sehr verschiebbar. Indessen, wie gesagt, es fallt mir nicht ein, das Vorhanden¬ sein von ausgeprägten nationalen Culturen zu leugnen. Aber ich behaupte, dass der Begriff einer nationalen Cultur nur von dem Begriffe der Basse aus zu erreichen ist. Ich muss erst die Eigenart einer Rasse kennen, um für die Eigenart ihrer Cultur die charakteristischen Merkmale herauszufinden. Anders kommt man an die Sache nicht heran. Ich habe schon vor Jahren das grundlegende Problem des Zionismus als culturschaffenden Factors so ausgedrückt, dass der Zionismus, indem er uns eine auf eigenem Boden consoiidierte Nation gibt, uns damit eben zur Aus¬ prägung einer eigenartigen Cultur drängen wird. Und das ist es, was uns fehlt. Die Juden sind zweifellos in posier Anzahl Culturmenschen allerersten Ranges, aber nur im Sinne eines auserlesenen abstracten Europäerthum^. Der Erdgeruch des Autochthonenthunis fehlt ihren Culturinhalten vollständig. Wer von den jüdischen Culturmenschen — höheren Stils — das leugnet- der hat zu wenig tief in seine eigene Seele geblickt. Gewiss hat Lublinski recht, zu behaupten, dass er mehr deutsche Bildung und meinetwegen auch deutsche Cultur schlechthin „in seiner Seele trägt", als irgendein brutaler Geselle, „der in gerader Linie von Hermann dem Cherusker abstammt". Damit hat er aber schon den tief¬ gründigen Unterschied ganz unwillkürlich ausgedrückt: jener rohe Geselle trägt in seiner Seele wenig, aber seine Seele wird getragen. Der Jude nimmt die Lultur von draussen in sich auf, beim Urgermanen wächst sie organisch von innen heraus. Der Grundirrthum in allen diesen Selbst¬ täuschungen liegt in der Verwechslung von Bildung und Cultur schlechthin, präciser: von Ueberbau und Wurzel. Diese Wurzel eben muss von Hermann dem Cherusker kommen, wenn nicht in gerader, so doch wenigsens in einer Zweiglinie. Denn hierin ist ausschliesslich die Rasse, das Blut und die anderen „dunklen Mächte" bestimmend. Und wirklich, wen ich mich an Lublinski er¬ innere, wie er mit mir vor Jahren halbe und ganze Nächte durchdiscutierte — nachdem wir die Sitzungen im „Jung- Israel" veriiessen wie er sprunghaft und hitzig über all¬ gemeine Probleme speculierte, als ob er beide Talmude, mit allem, was daran und darum hängt, in seinem Gehirn trüge — dann könnte ich fast schwören, dass von uns beiden keiner ein Germane war, obwohl wir in uns mehr deutsche Bildung und Bildungsinteressen hatten, als mancher bier- besoff^ne urgermanische Geselle, der in uns sofort — ohne viel Nachdenken — die Juden erkannte und uns darum an¬ stänkerte. Nein, von urdeutscher Culturherkunft ist Dublins kis ganzer geistiger Habitus nicht. Entschieden nicht. Aber dass eine solche schwache, durchsichtige Selbsttäuschung genügen kann, damit ein Lublinski innerlich vom Zio¬ nismus abfallen kann, ist eine jener seelischen Anomalien, die immer wieder beweisen, wie wenig tief mancher west¬ europäische Jude den Zionismus in sich aufsaugt. Aegyptisch-Palästina. Von B. Ebenstein. Der bevorstehende Congress dürfte zu einem Arbeits- Congresse werden, wiekeiner der bisherigen. Die Eröffnung der Bank, der durch die Jahreszeit bedingte schwächere Besuch, eine verbesserte Geschäftsordnung und vieles andere er¬ möglichen eine sachlichere Behandlung der auftauchenden Fragen, so dass wenigstens alle Vorbedingungen gegeben sind, die zu ernsteren Resultaten führen können. Eines der wichtigsten Themata des kommenden Congresses möge hier eine Art Vorbesprechung finden. Es steht zu hoffen, dass diejenigen, von denen es erwartet werden muss, eine angemessene Kenntnis des Landes und seiner Verhältnisse mit auf den Congress bringen werden. Sicher aber ist, dass die grosse Masse, welcher bisher Palästina nur mit dem Gefühl gesehen hatte, welche der blosse Name der alten Heimat ein süsser Klang und für die der gegenwärtige Zustand des Gebietes von recht untergeordneter Bedeutung war, dass diese Masse er¬ staunlich neue Dinge vernehmen wird. Zum erstenmale seit Zionistengedenken wird die Frage in der grossen Oeffentlichkeit eiörtert werden: Was ist Palästina, welches sind seine Grenzen, unter wessen Oberhoheit oder Verwaltung steht das Land, mit wem haben wir zu verhandeln ? Auf den ersten Blick wird es scheinen, als seien diese Fragen längst beantwortet — in Wirklichkeit waren sie nie gestellt. Und jetzt, da die Frage laut und klar gestellt wird, werden wir ganz neue Antworten erhalten. Zunächst die Frage: War Palästina immer das gleiche, gleich begrenzte Land? Hier stocken wir schon. Es gibt und gab kaum ein kleines Ländchen, kaum ein Weltreich, das zu allen Zeiten gleich gross war und die gleichen Grenzen hatte. Wie ist Griechenland, Rom, das Deutsche Reich, wie sind diese Länder klein gewesen, gross geworden, wieder kleiner geworden und wieder ge¬ wachsen im stetigen Wechsel der Geschichte ? Und Palästina sollte nur ein gleichgebliebenes Gebiet sein, soll eine Be¬ zeichnung sein, bei der jeder sich nur die gleichen Grenzen denken kann? Wir wissen: Dem ist nicht so — wir wissen, dass es mehrere Grenzen gibt — wir wissen, dass die übliche Auffassung ein Gebiet abgrenzt, welches zu keiner Zeit in genau diesem Umfange das historische Palästina war. Wir wollen hier aber keine zwecklosen Erörterungen vorführen. Wir wollen heute nicht von den Grenzen sprechen, wie sie in der Verheissung an Abraham zu finden sind, denn wenn wir vom Nil und Euphrat als Grenzen sprechen, so verlieren wir uns ins — mindestens momentan — Unpraktische. Wir wollen noch weniger heute von den Grenzen des jüdischen Landes sprechen, die zu den letzten Zeiten unserer nationalen Geschichte bestanden, als das jüdische Volk durch Zerstreuung und Auswanderung in die Nachbarländer und durch ein erneutes Erstarken und friedliche Expansion zu einem geschlossenen nationalen Ganzen geworden war, welches weit über die Grenzen des eng gewordenen kleinen Stammlandes hinausgewachsen war — auf das Palästina der üblichen Auf¬ fassung wollen wir unsere heutige Erörterung be¬ schränken und hier Entdeckungen machen! Palästina grenzt an ägyptisches Gebiet. Zwischen beiden Ländern ist keines anderen Herrn Land und auch kein herrenloses! Da, wo die Grenz* Palästinas ist, hört auch der unmittelbare Besitz dps Sultans auf. Türkische und palästinensische Grenze sind an dieser Stelle ungefähr identisch. Nur ungefähr — nicht ganz! Ganz identisch waren sie bis zum Jahre 1887. In diesem Jahre fand eine sehr unbedeutende Grenzregulierung statt. Aegypten bekam etwa 1000 km 2 des türkischen Gebietes an der Meeres¬ küste; ein etwas grösseres Stück bis dahin ägyptischen Gebietes, das mehr im Innern lag, wurde dafür türkisch. Wie gesagt, eine sehrunbedeutende Grenzregulierung — wenigstens für zwei Länder wie Aegypten und die Türkei mit ihren uuermesslichen Gebieten. Anders sieht die Sache für uns aus. Das Stück Türkei |